laut.de-Kritik

Nichts kommt Wu-Tang näher als Griselda.

Review von

Es gibt einige große Passionen im Leben Alvin Lamar Worthys alias Westside Gunn. Offensichtlich ist da natürlich zuerst einmal die Musik, die er auf seinem eigenen Label Griselda Records veröffentlicht. Auch Wrestling steht bei ihm hoch im Kurs. Er ist beispielsweise Teilhaber von House Of Glory Wrestling und gründete 2019 die Marke Fourth Rope, mit der er Wrestling-Merchandise vertreibt.

Und dann sind da noch Kunst und Mode, zwei Disziplinen, die kaum eine andere Stadt so sehr verkörpert wie Paris. So lud Virgil Abloh, Modeschöpfer aus dem Hause Louis Vuitton, Gründer des Mailänder Modelabels Off-White und zeitgleich großer Fan von Westside Gunns Musik, eben diesen nebst Begleitung ein, seiner Runway-Show im Rahmen der Paris Fashion Week beizuwohnen, um hautnah mitzuerleben, wie die Models zum Song "Perfect Plex" die neue Kollektion präsentierten.

Das Resultat dieser Reise ist das Album "Pray For Paris", sein Opener "400 Million Plus Tax" ein reiner Soundmitschnitt der Versteigerung des Gemäldes "Salvator Mundi" von Leonardo da Vinci im Auktionshaus Christie's, das 2017 für 400 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. Man befindet sich also direkt in einer Welt von Reichtum, Dekadenz und absurden Geldsummen, bevor Westside Gunn den Hörer im zweiten, von DJ Muggs produzierten, Track "No Vacancy" mit einem gebrochenen "Bonjour" begrüßt.

"I whipped it with the left, I whipped it with the right, three quarter mink at the Tank fight": Die Dekadenz ist also nicht nur im Hause Christie's zu finden. Westside Gunn trägt sie sogar in der sonst nicht gerade für Modebewusstsein bekannten Eishockeyhalle.

Neben DJ Muggs liest sich die Producerliste wie das Who-Is-Who des Rap-Untergrunds. The Alchemist steuert unter anderem den Beat zu "Claiborne Kick" bei, auf dem auch Griselda-Neuling Boldy James zu hören ist. Dass dieser auf einem Alchemist-Beat gut funktioniert, zeigte ja auch schon deren gemeinsames Januar-Release "The Price Of Tea In China".

Tyler, The Creator komponiert "Party With Pop Smoke" und glänzt zudem noch als Featuregast im von Camoflauge Monk produzierten "327". Darauf singt neben Joey Bada$$ in der Strophe noch Billie Essco, der Westside Gunn auf der Parisreise begleitet hatte, die Hook.

Sogar DJ Premier gibt sich die Ehre mit "Shawn Vs. Flair". Der Song ist noch aufs Album nachgerückt, weil Preemo nach Bekanntgabe aller Producer unbedingt noch einen Track beisteuern wollte. Wer würde da schon nein sagen?

Natürlich darf auch der obligatorische Daringer-Beat zu "Allah Sent Me" nicht fehlen. Darauf wechseln Conway The Machine, Benny The Butcher und Westside Gunn sich stellenweise von Zeile zu Zeile ab und stellen unter Beweis, dass Griselda wohl das ist, was dem Wu-Tang Clan bisher jemals am nächsten gekommen ist.

Überhaupt reiht sich auf der Platte Highlight an Highlight. "George Bondo", ein Griselda-Track wie in alten Zeiten, stammt vom Buffalo-Produzenten Camoflauge Monk. Freddie Gibbs eröffnet "500 Dollar Ounces", ebenfalls von The Alchemist produziert, mit seiner unverkennbar rauen Stimme. Er schwelgt in Erinnerungen an Drogendealerzeiten. Ihn löst Roc Marciano ab, dessen doppeldeutige Zeile "The MAC-11 hit your melon and crack it" vielleicht der beste Vers der ganzen Platte ist.

"Versace" bietet zur Abwechslung ein drumloses Gospel-Sample, auf dem Westside Gunn unterstützt von den typischen Griselda-Adlibs ("boo-boo-boo-boo-boom", "brrrrrrrrr" etc.) beispiellos flowt. Wer hätte zuvor gedacht, dass Social Media Star Jay Versace auch ein feines Händchen fürs Beatbauen hat? Selbst Wale, dessen Stil sonst natürlich ein vollkommen anderer ist, funktioniert auf dem Boom-Bap von "French Toast" einwandfrei, getragen vom Gesang von Joyce Wrice. Der erinnert entfernt an die Neo-Soul-Produktionen der Jahrtausendwende.

Auch Griseldas First Lady Keisha Plum gibt auf "Party Wit Pop Smoke" wieder ihre Spoken Word-Fähigkeiten zum Besten. Warum der Song "Party Wit Pop Smoke" heißt? Der mittlerweile ermordete Rapper war ebenfalls geladener Gast auf der Fashion Show. Die LP weist noch etliche weitere Anspielungen auf die Parisreise auf. So deutet der Titel "327" auf die New Balance-Schuhe hin, die Westside Gunn zur Show trug. "Le Djoliba", der letzte Song der Platte, heißt wie ein Restaurant in Paris.

Das Ende des Liedes und somit das Outro der Platte bietet eine Stepptanzperformance von Cartier William auf - in Anlehnung an die Fashion Show von Virgil Abloh, auf der die Models ebenso zum Sound von Stepptanz über den Laufsteg liefen. Der Designer entwarf auch das Cover des Albums, basierend auf Caravaggios Gemälde "David mit dem Haupt des Goliath".

Das Album wirkt stimmig von Anfang bis Ende, die Beatauswahl ist hervorragend, was bei den Producern auch kaum überrascht. "Pray For Paris" ist Westside Gunns ambitioniertestes Werk, es ist nicht so düster wie "Supreme Blientele", nicht so rau wie "Flygod", es gerät polierter, vielfältiger und abwechslungsreicher.

Sollte man überhaupt etwas bemängeln wollen, dann das zweifelhafte Downpitchen der Stimme in "Claiborne Kick" (aber selbst das kann man noch durchgehen lassen, erinnert es doch an ältere "Hitler Wears Hermes"-Zeiten), oder der inbrünstig schiefe Gesang Westside Gunns in "French Toast" und "Allah Sent Me", der selbst Biz Markie noch wie Marvin Gaye aussehen lässt.

"French Toast" endet augenzwinkernd mit den Worten des Wrestlers Shawn Michaels: "Alright, I'll admit, I'll admit, I'm no singer, but what I am is a showstopper, the headliner, the main event, the icon." Dem bleibt dann auch einfach nichts mehr hinzuzufügen.

Trackliste

  1. 1. 400 Million Plus Tax
  2. 2. No Vacancy
  3. 3. George Bando (ft. Conway The Machine & Benny The Butcher)
  4. 4. 327 (ft. Joey Bada$$, Tyler the Creator & Billie Essco)
  5. 5. French Toast (ft. Wale & Joyce Wrice)
  6. 6. Euro Step
  7. 7. Allah Sent Me (ft. Conway The Machine & Benny The Butcher)
  8. 8. $500 Ounces (ft. Freddie Gibbs & Roc Marciano)
  9. 9. Versace
  10. 10. Claiborne Kick (ft. Boldy James)
  11. 11. Shawn Vs. Flair
  12. 12. Party wit Pop Smoke (ft. Keisha Plum)
  13. 13. Le Djoliba (ft. Cartier William)

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6 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Schöne Review zu einem herausragenden Album. Für mich heißer Anwärter auf AOTY. Westside hat sich nochmal gesteigert und ist noch mehr on point.
    Die Beats sind zeitlos und fresh und wirken wie die Blaupause zum Griselda Sound.
    Die Features passen perfekt, besonders Tyler und Joey.
    Highlights - wenn man überhaupt welche benennen kann - sind 327 / Versace / Shawn vs Flair / Clairborne Klick.

  • Vor 3 Jahren

    Ich würde wegen Beats und Features 3/5 Punkten geben.

    Der Sound kommt schon gut, auch wenn mir persönlich diese Schiene mehr zusagt, wenn die Beats ein bisschen mehr scheppern.
    Leider halte ich Westside Gunn für einen der am meisten überbewertesten Rapper derzeit. Das geht mit der nervigen Stimme los, mit den noch nervigeren Adlibs weiter und mündet darin, dass der nix rappt, was man nicht schon x-mal besser gehört hat. Ich kann ja verstehen, dass Leute das feiern, die diesen Boom-Bap Sound hochalten wollen, aber ich dachte für die bringt Roc Marciano mindestens einmal im Jahr ein Album raus.

    Den Wu-Tang Vergleich kann ich auch nicht nachvollziehen. Selbst wenn man davon schweigt, dass die Griselda Jungs charisma- und raptecnisch höchstens mit U-God und Capadonna mithalten könnten, hatte der Clan immer deutlich dynamischere Beats. Das hier kann man im Fitnesstudio ja höchstens zum Abschwitzen hören und kann sich dann wahrscheinlich der Frage nicht erwehren, ob einem der eigene Schweiß oder der Sabber, den Westside bei seinem "BR BR BR" produziert, den Rücken runterläuft.

    • Vor 3 Jahren

      Findest du? Ich habe ehrlich gesagt noch von keinem gehört, der Westside überbewertet, eher im Gegenteil. Meist wird er doch ziemlich stark kritisiert und immer als schwächster MC aus dem Camp dargestellt. Wobei ich ihn vom Stil her am prägnantesten finde und auch die Adlibs mag.

      Vom Charisma gebe ich dir recht, wobei das auch mit der Zeit, dem Alter und Social Media zusammenhängt. Das entzaubert noch ganz andere.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, dem RZA auf Twitter zu folgen kratzt auch ein paar Kerbchen in den 36 kämmrigen Tempel, den der Clan in meinem Herzen bewohnt. Wobei das ja humble erscheint, im Vergleich dazu, wie sich die Griselda Jungs auf Social Media einen runterholen.

      Und hier wird WSG von dir, Django und co. ja schon ziemlich abgefeiert. Ich hab jetzt auch noch keine schlechte Review gelesen und Griselda kriegt generell ziemlich viel Aufmerksamkeit dafür, dass die den Roc Marciano Stil in deutlich eingängiger fahren.

      Da fand ich letztes Jahr zum Beispiel Your Old Droog und das Albumvon L'Orange und Jerimiah Jae, die beide ziemlich unter dem Radar geflogen sind, deutlich gelungener.

      https://www.youtube.com/watch?v=uK7YeO4z_qc

      https://www.youtube.com/watch?v=3rWL6ObYQN4

    • Vor 3 Jahren

      Droog und Roc höre ich auch gerne, sind mir aber auf Dauer zu monoton/trocken. 'Nen Album kann man sich schon gut von denen anhören und die liefern ja auch immer gut ab, aber nach dem Album reicht es dann meist auch.

      Griselda ist da noch etwas facettenreicher.

      Und wenn man so will, fahren ja alle den Raekwon Style.

      Wie WSG hier wahrgenommen wird kann ich gar nicht genau sagen, da das hier die erste Review zu ihm auf Laut ist. Generell ist mein Eindruck, dass gerade auf US Seiten immer ziemlich stark kritisiert wird, aufgrund der Stimme, den Adlibs und diesen High Fashion Themen.

      Fand ihn ehrlich gesagt, anfangs auch recht nervig, was sich aber dann irgendwann gelegt hat.
      Aber er ist auch weit davon entfernt, mein Lieblingsrapper zu sein, aber wie Django schon schreibt "seine Alben sind die besten vom ganzen Camp. Er pickt immer interessante Beats und Features, die Mischung/Vibe passt einfach".

    • Vor 3 Jahren

      Die Aufmerksamkeit hängt mit dem Shady Deal viel zusammen. Wobei Westside Gunn ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal für mich bieten kann. Es sind doch wirklich so Überladene Adlips die ich schon eher den Newschool Künstlern zutrauen würde. Es ist aber mit der idgaf Einstellung am Mic einfach Gangster. Griselda ist die erste Gruppe seit meiner Abizeit, wo es Black Hippy waren, die ich wirklich wieder todes abfeiern kann ohne dass mir dabei langweilig wird.
      Und sorry für das "Gangster" als Adjektiv, ich kann es aber nicht anders in Worte fassen

  • Vor 3 Jahren

    Gewohnt gute Flygod-Qualität! WSG ist zwar technisch der schwächste/gewöhnungsbedürftigste Griselda-Rapper, aber seine Alben sind die besten vom ganzen Camp. Er pickt immer interessante Beats und Features, die Mischung/Vibe passt einfach. Wäre echt schade drum, wenn er nächstes Jahr wie angekündigt das Mic am den Nagel hängt :(

    Sein schiefer Gesang ist aber echt schwer zu ertragen teilweise, das stimmt :D

  • Vor 3 Jahren

    Fan seit Hitler wears Hermes 4. Bin ziemlich überrascht über die Credits hier. Dachte so einen Sound gibt sich in Deutschland wirklich niemand. Meinen Geschmack trifft die gesamte Griselda Crew todes. Benny für mich der beste Rapper, Supreme Blientele aber das beste Soloprojekt allter. Stabile 4/5

  • Vor 3 Jahren

    Leider kann ich den Hype hier nicht nachvollziehen. Die Musik/Beats finde ich sehr langweilig und die Stimme von Westside Gunn ist unerträglich. Einzig Benny The Butcher sticht aus der Crew hervor. Der Track ''Da Mob'' zum Beispiel ist ein Hammer und klingt nach Wu Tang. Das Album hier nicht. Wenn die Feauters nicht drauf wären, könnte ich mir das nicht anhören. Aufgrund dessen gibt es von mir trotzdem 3/5.