15. August 2016

"An Drogen kamen wir nicht ran"

Interview geführt von

Stock Aitken Waterman waren in den 80er Jahren das eingetragene Markenzeichen für erfolgreiche Popmusik. Rick Astley und Kylie Minogue wurden mit Hits des Produzententrios zu Superstars. Wir erreichen Pete Waterman in London.

"Was hältst du von einem Stock Aitken Waterman-Special?", fragte Kollege Kabelitz vor Monaten. Rhetorisch. Er weiß natürlich, dass auch ich einen soft spot für den himmelschreienden Optimismus-Pop habe, den diese drei britischen Produzenten in den 80er Jahren verbreiteten und der ziemlich genau mit dem Beginn des Folgejahrzehnts und einer alles andere als optimistischen Bewegung namens Grunge jäh und schmerzvoll endete.

Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman sind die Helden dieser unglaublichen Geschichte, in der Rick Astley, Kylie Minogue oder auch Dead Or Alive zu Stars heranreifen und mysteriöse Begegnungen wie mit Judas Priest der Allgemeinheit verschwiegen werden. "Was hältst du von einem Interview mit Pete Waterman?", fragte Kabelitz kurz nach Erscheinen seines Artikels "Die 25 wichtigsten SAW-Acts?" Leichter gesagt als getan. Der 69-jährige Brite, der nach Gerichtsprozessen gegen seine beiden Ex-Kollegen heute das musikalische Erbe verwaltet, ist ein vielbeschäftigter Mann. Er sitzt in Castingshows, tritt als Experte der britischen Eisenbahngeschichte auf oder - er produziert. Immer noch.

Weiteres Problem: Ohne ein konkretes, zu bewerbendes Produkt geben Künstler in der Regel keine Interviews. Kabelitz war es egal, er recherchierte drauflos, fragte hier nach, mailte dort hin, bis es plötzlich hieß: "Pete is happy to assist with your request. When is your deadline?" Wir tanzten Ringelreihen, wie es die Klänge von "Never Gonna Give You Up" schließlich einfordern, ratterten unsere Fragen runter und lernten seine Studio-Telefonnummer auswendig. Als der Tag gekommen war, riefen wir pünktlich an und er war es scheinbar wirklich: "Hi, hier spricht Peter Waterman." Wahnsinn. We should be so lucky. And damn, we are! Im Internet lasen wir noch, dass Waterman die immer gleichen Fragen nach den 80ern eigentlich satt hat. Aber da war es schon zu spät.

Hi Pete, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Es ist uns wirklich eine große Freude. Wobei stören wir dich gerade?

Pete Waterman: Äh, warte mal eine Sekunde, das andere Telefon klingelt.

Petes Assistentin: Sorry, der Anruf sollte später kommen, da muss er rangehen.

Klar. Seid ihr im Studio?

Nicht direkt, wir sind in einem Gebäude in The Vineyard, das ist an der Stelle des alten Studios, wo früher alle großen Hits aufgenommen wurden. Hier ist jetzt unser Büro. Ah, da kommt er wieder. Ich hoffe, er beantwortet dir alles, was du wissen willst (lacht).

Pete Waterman: Tut mir leid, die Versicherung wollte meine Stimme hören.

Kein Problem. Woran arbeitest du zur Zeit?

Ach, weißt du, alle kommen immer wegen der alten Sachen zu mir, dabei will ich doch nach vorne schauen. Leider finde ich im Moment grade niemanden, der interessante Ideen hat. Mit Kylie haben wir letztes Jahr eine Weihnachtssingle gemacht ("Every Day's Like Christmas", Anm. d. Red.), und sogar sie wollte, dass es so klingt wie 1988. Das finde ich langweilig. Gut, die Arbeit mit Kylie war natürlich nicht langweilig.

Du warst mit dem Ergebnis also nicht ...

Oh doch, oh doch, ihr Album hat sich über Weihnachten gut verkauft. Aber wenn du im Hitsingles-Sektor groß geworden bist, tust du dich schwer mit Albumtracks, auch wenn es letztlich um eine Weihnachtssingle geht ... Naja, wir leben heute einfach in einer anderen Welt.

Gibt es weitere Pläne mit Kylie?

Im Moment nicht. Wir saßen jetzt lange zusammen, da sie bald mit BMG arbeiten will und mir alle Rechte an ihren alten Songs gehören. Damit ihre Pläne aufgehen, habe ich sie BMG bzw. Kylie gegeben.

Letztes Jahr ging mit "A Life In Song" eine große Retrospektive zu deinen Ehren in der Londoner Royal Festival Hall über die Bühne, wo Hazell Dean und Claire Richards von Steps die einzigen bekannteren Namen waren. Wo waren die anderen alle?

Rick Astley wollte auch kommen, aber er musste zum 85. Geburtstag seiner Mutter nach Dänemark. Und um ehrlich zu sein, finde ich es einfach spannender, wenn junge Künstler diese alten Songs singen. Das Problem ist halt, dass die Leute, die sich ein Ticket kaufen, die Stars von damals sehen wollen. Aber mir gefällt die andere Variante besser. Darüber kann man natürlich ewig diskutieren.

Ich sage am besten gleich, dass wir noch einige Fragen zu deiner Vergangenheit stellen wollen ...

Natürlich. Kein Problem.

Die beste Popmusik ist simpel. Ist dieser Satz so etwas wie die Formel eures Erfolgs?

Ja und nein. Wenn ich in meinem Leben eine Lektion gelernt habe, dann diese: Den Eindruck entstehen zu lassen, etwas sei einfach, ist unglaublich kompliziert. Das trifft hundertprozentig auch auf Musik zu. Es ist kaum möglich, einen Song mit drei Akkorden, sagen wir C, F und G, zu schreiben, der nicht an einen Rock'n'Roll-Song aus den 50ern erinnert. Um mit all dem angehäuften Wissen über veröffentlichte Musik, das heute in unserem Unterbewusstsein umherschwirrt, noch etwas zu schreiben, das über einen einfachen Kindervers hinausgeht, musst du schon clever sein.

Rick Astleys Hit "Never Gonna Give You Up" war 1987/88 auf Platz 1 in 25 Ländern, 40 Millionen Platten hat Rick bis heute verkauft ...

Ein gutes Beispiel. Jeder denkt: Was für ein einfacher Song (singt: Da da da da daaa daaa daaa, da da da da daaa daaa daaa), aber die Akkorde sind unheimlich kompliziert. Ich kenne unzählige Musiker, die diesen Song covern wollten und es nicht hingekriegt haben. Tatsache. Der Clou ist: Um den Eindruck zu erwecken, dass der Song einfach ist, musst du um die Melodie herum Dinge anders arrangieren. In Ricks Song bewegt sich der Bass kaum, im Vergleich zu anderen Popsongs dieser Zeit ein elementarer Unterschied. Das Bassmotiv ist praktisch nur ein Basisriff. Das ist die Kunst. In der klassischen Musik taucht dieses Motiv regelmäßig auf.

Am Anfang unserer Karriere haben wir drei uns hingesetzt mit der Frage, warum manche Dinge funktionieren. Wir hörten uns Beatles- und Motown-Songs an und versuchten, hinter das Geheimnis zu kommen. Gerade Beatles-Songs sind extrem schwierig konstruiert, obwohl die meisten ja glauben, es seien die einfachsten Songs. In Motown-Songs lernten wir viele schwarze Noten kennen, die weiße Künstler nie benutzt hätten. Die Akkorde sind völlig anders. Danach hatten wir mit den Beatles und Motown quasi Erkenntnisse in europäischer Kirchenmusik und Gospelmusik gesammelt und versuchten diese Unterschiede für unsere Arbeit heraus zu arbeiten. ABBA waren in diesem Gebiet übrigens absolute Genies.

"Geld ist die Wurzel allen Übels"

Erinnerst du dich an den Moment, als euch klar wurde, dass euer schüchterner Londoner Studio-Teebursche Rick Astley ein globaler Superstar werden könnte?

Ha, ich erinnere mich, wie ich Mike Stock und Matt Aitken überzeugen musste, dass Rick so gut sein würde, wie ich ihn mir ausmalte. An seiner Stimme habe ich nie gezweifelt. Andere schon, denn Rick war eine Herausforderung. Er hat eine sehr tiefe und füllige Stimme und Mike warf immer wieder zu Recht ein, dass Popsänger keine Baritonstimme haben können. Aber ich musste an ein Gespräch mit Lamont Dozier (vom Motown-Produktionsteam Holland/Dozier/Holland, Anm. d. Red.) denken, der mir erzählte, wie er Four Tops-Sänger Levi Stubbs immer einen Ton höher transponierte, damit dessen Stimme aufregender klang. Das Ergebnis war, dass sich Levi Stubbs, genau wie Rick Astley, immer beschwert hat, dass seine Songs in der falschen Tonart gespielt würden. Gesungen haben sie sie aber immer so, denn es klingt einfach gut (lacht). Wir veränderten einfach die Tonhöhe und machten Rick das Leben schwer, dafür lief er dann aber zu voller Größe auf.

Bleiben wir bei Rick: Das Internet-Phänomen Rickrolling war vor einigen Jahren ein riesiges Thema. Angeblich 150 Millionen User wurden im Netz unwissentlich zu Rick Astley-Videos geführt. Google soll euch dafür aber nur 12 Pfund überwiesen haben. Wie ist das möglich?

Well, ich glaube mittlerweile reden wir von einer Milliarde Klicks und ich habe etwa 36 Pfund bekommen. Bei ihm ist es ja so, dass er danach bezahlt wird, wie lange die Leute auf der Seite bleiben. Ob er dann bezahlt wird, ist natürlich die andere Frage. Es existiert in der öffentlichen Meinung diese Rechnung: Für eine Million Klicks erhält der Künstler 1000 Pfund. Absolut lächerlich. Nicht mal annähernd. Ich stehe auch diesem Marvin Gaye-Plagiatsprozess (gegen Robin Thicke und Pharrell Williams, Anm. d. Red.) immer noch fassungslos gegenüber: Die Erben klagten auf 15 Millionen US-Dollar. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie so eine Zahl zustande kommt. Rickrolling war eine unglaubliche Nummer im Netz. "Never Gonna Give You Up" spielt also in einer ähnlichen Liga. Aber 1000 Pfund für eine Million Klicks? Nicht mal zehn.

Wie ist denn euer Verhältnis heute? Hast du Ricks neues Album "50" gehört?

Ja ja, klar. Ich traf ihn und seine Mutter bei seiner Show und hatte ihn auch als ersten Gast in meiner BBC-Radiosendung. Rick musste diese Platte machen, um sich zu beweisen, dass er es kann. Der Song "Angels On My Side" ist fantastisch. Damals war er übrigens derjenige, der unbedingt Platten in Deutschland veröffentlichen wollte. Frag mich nicht warum. Und ich glaube ihr habt damals auch zwei Rick Astley-Alben bekommen, die nirgendwo sonst auf der Welt veröffentlicht wurden.

Trotzdem sind Rick und Kylie ja irgendwann zu anderen Produzenten gegangen und sprachen davon, endlich erwachsen werden zu wollen. Wie weh tat es, so etwas immer wieder lesen zu müssen?

Überhaupt nicht. Es ist doch so: Alle Kinder werden irgendwann 16 Jahre alt und halten das, was du ihnen bis dahin erzählt hast, plötzlich für Blödsinn. Sie meinen, sie kennen alle Antworten und wollen von zuhause weg. Das nennt man Erwachsenwerden. Dass Kylie und Rick 30 Jahre später noch derart erfolgreich sind, ist unglaublich.

War es euch damals eigentlich recht oder eher unangenehm, wenn Musiker im Studio mit eigenen Ideen ankamen?

Kann ich dir sagen: 1968 habe ich im Musikgeschäft angefangen. Seither kam ein einziger Künstler mit eigenen Ideen zu mir: Pete Burns von Dead Or Alive. Ah, Moment, Bananarama auch. Also diese zwei. Klar, hier und da gab es immer Leute, die am Ende eines langen Studiotages noch dies oder das vorgeschlagen haben. Aber es war nie ein entscheidender Dreh für den Song. Die Ideen von Matt und Mike waren besser. Deshalb haben Pete Burns und Bananarama aus Stock Aitken Waterman das Beste herausgeholt. Obwohl es mit letzteren nicht gerade einfach war zu arbeiten. Aber wir hatten auch Künstler wie Donna, die kam vorbei, hörte sich ein paar Tracks an und wusste sofort, welche sie singen wollte. Sie war mit ganzem Herzen Sängerin und wollte auch nie etwas anderes sein. Es war magisch.

Ist "You Spin Me Round (Like A Record)" von Dead Or Alive die beste Platte deines Lebens?

Das Besondere daran ist sicher, dass sie heute noch so frisch klingt wie 1985, als wir sie produziert haben. Das kann man nicht von allen Platten sagen. "Venus" klingt auch noch total modern oder "Better The Devil You Know" von Kylie. Aber es ist wie im richtigen Leben: Die Zeit ist nicht zu allen Songs gut.

Zu welchen denn beispielsweise nicht?

Naja, es gibt diese Songs für den Augenblick, das war doch dieses 80er Ding. Wenn ich mir heute die Top Ten aufschreibe und sie in zehn Jahren runterlese, kennt auch kein Mensch die Songs und schon gar nicht die Interpreten. Da fallen alle durch. Manchmal produzierst du Songs, bei denen der Künstler wichtiger ist als der Song, aber zehn Jahre später kennt den Künstler keiner mehr, also war wohl auch der Song nicht so wichtig.

Du hast euer Team stets als Außenseiter im Popgeschäft bezeichnet, verblüffenderweise zu einer Zeit, als ihr das kommerziellste Label in England wart. Wie passt das zusammen?

Ganz einfach: Weil wir kommerziell sein wollten und die anderen nicht. Die anderen fuhren lieber die trendy Künstler-Schiene. Damals hast du noch den NME und den Melody Maker gebraucht, um in die Charts zu kommen. Wir haben unsere Künstler da erst gar nicht hingeschickt. Wir sind gleich zu Smash Hits gegangen.

Habt ihr damals immer im Auge gehabt, was sonst so passiert im elektronischen Bereich, sei es nun Madonna oder Depeche Mode?

Depeche Mode klangen nicht wie wir, Madonna schon. Die war allerdings bei Warner unter Vertrag und dort wäre man nie auf die Idee gekommen, außenstehende Produzenten wie uns zu kontaktieren. Das verstehe ich ja bis heute nicht: Wie konnten die großen Plattenfirmen uns das Feld damals so gnadenlos überlassen? Warum hatten wir keine härtere Konkurrenz? Deshalb auch der Begriff Außenseiter. Was herrschte da für eine Arroganz in den Führungsetagen?

Ich glaube 1988 waren wir die zweitgrößte Firma der Welt. Mit einer Handvoll Angestellten. Ich muss mich manchmal immer noch kneifen, wenn ich mir das vor Augen führe. Wir fingen an mit 50 Pfund und vier Jahre später konnten wir unser eigenes Studio bauen, hatten die erfolgreichsten Künstler in England unter Vertrag und Rick Astley verkaufte 27 Millionen Platten. Das macht mich immer noch fertig.

Was ändert sich, wenn der große Erfolg eintritt?

Alles. Geld ist die Wurzel allen Übels. Am Anfang arbeitest du wie ein Besessener, um an diesen Punkt zu kommen, und wenn du da bist, willst du Golf spielen. Das Problem ist nur: Während du Golf spielst, kannst du keine Hits schreiben. Das ist die traurige Wahrheit. Jeder fällt darauf rein. Man hat seine erste Million verdient und will ein großes Haus, ein Auto, ein Boot und noch ein Haus im Ausland. Und wenn man das schon besitzt, will man dort auch eine Weile leben und arbeitet weniger. Das ist der Moment, an dem dich jemand anderes überholt.

Es gibt die Geschichte, dass ihr damals eine Studiosession mit der noch unbekannten Kylie Minogue vergessen habt. Da sie wieder nach Australien zurück musste, wart ihr nach Ankunft am Studio gezwungen, in sehr kurzer Zeit einen Song für sie zu schreiben. Das wurde dann "I Should Be So Lucky". Wahre Geschichte?

Ja, aber man muss dazusagen: Zum Zeitpunkt von "I Should Be So Lucky" waren Matt, Mike und ich in voller Fahrt. Wir waren eine extrem gut geölte Maschine. Jeder einzelne in unserem Team wusste, was er zu tun hatte. Es stimmt, dass wir den Song in einer Stunde geschrieben haben, aber es hat Jahre gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Als wir diesen Song geschrieben haben, waren wir schon ein Formel-1-Rennstall: Jeder hatte ein Rad und wir konnten die Welt in Millisekunden verändern.

Zu einer obskuren Gruppe von damals: The Reynolds Girls. Die hatten damals mit euch nur einen einzigen Hit, "I'd Rather Jack“, und das trotz geradezu visionärer Textzeilen: "Can't they see that every generation / Has music for it's own identity? / But why the DJ on the radio station / Is always more than twice the age of me?" Außerdem werden Rock-Dinos wie die Stones und Fleetwood Mac als veraltet geschmäht. Wie kommt man auf so etwas?

Die Aussage dieses Songtextes ist Wirklichkeit geworden. Das macht mich immer noch traurig. Der Text basiert auf meinen Erfahrungen als Radio-DJ. Damals wurde die in Australien konzipierte Erfindung The Selecter als die Rettung des Radios gepriesen.

Es handelte sich um eine Maschine, die die einzelnen Songs für eine Radiosendung ähnlich einer Jukebox programmierte. Dieses Ding hat das Radio getötet. In den Jahrzehnten davor hat man in allen Sendern die Attraktivität eines neuen Songs daran gemessen, wie oft das Telefon danach klingelte. Das erste, was Radiosender getan haben, die diese Selecter-Maschinen bestellt hatten, war, die Telefone rauszuwerfen. Auf die Reaktion der Hörer wurde keinen Wert mehr gelegt. Anrufe stören schließlich den Sendungsflow. Was ist das für ein Schwachsinn? Musik muss aufregend sein. Wenn ich einen tollen Song höre, will ich den Menschen davon erzählen.

Wie ging es mit den Reynolds Girls, einem klassischen One-Hit-Wonder, weiter?

Sie wohnen wieder im Süden von Irland, haben geheiratet und so. Sie sind wahrscheinlich die einzigen unserer Künstler, mit denen ich seit damals nicht mehr gesprochen habe. Nachdem sie unsere Firma verlassen hatten, sind sie gleich wieder zurück nach Irland.

"Judas Priest hatten Angst um ihre Credibility"

Eine andere mysteriöse Geschichte um Stock Aitken Waterman ist eure 3-Tage-Session mit den Metal-Göttern Judas Priest. "You Are Everything" hieß einer der Songs, die inzwischen im Netz gelandet sind. Wieso wurden die Songs der Sessions damals nicht veröffentlicht?

Ganz einfach: Die Band hatte Angst, der Song würde auf Platz eins einsteigen. Die Jungs meinten, das wäre das Schlimmste was ihnen passieren könnte, weil sie dann ihre Credibility als Rockband verlieren würden. Auch das waren die 80er. Judas Priest waren eine Stadionband und deshalb der Meinung, ein Song auf Platz eins wäre der Anfang vom Ende. Aber Gott, haben wir gefeiert. Unglaublich. Das waren eben Rock'n'Roller. Unsere Popstars haben wir nie so feiern sehen wie Judas Priest. Für Mike, Matt und mich war es auch eine tolle Herausforderung, eine Metal-Band zu produzieren. Wenn niemand was dagegen gehabt hätte, hätten wir sicher ein Album zusammen gemacht.

Noch mal zu der Partystory mit Priest: Was genau habt ihr so getrieben?

Am Tag wurde hart gearbeitet, von 10 bis 19 Uhr nonstop. Dann sind wir zurück ins Hotel, denn wir haben in Paris aufgenommen. Abends gings dann mit der Band auf die Piste. Die Jungs haben ausschließlich Champagner getrunken. Das war eine völlig neue Welt für uns. Wir dachten: Ah, so funktioniert also die Rock'n'Roll-Welt.

Champagner und Drogen?

An die Drogen kamen wir nicht ran, aber der Champagner war erstklassig genug.

Ihr habt damals mit Samantha Fox und Sabrina aufgenommen. Das ist ungefähr so, als hätte man Oasis und Blur unter Vertrag, oder?

(lacht) Kann man sagen. Süße Mädels. Ja, das waren die 80er. Die beiden wussten genau, dass sie gerade den Spaß ihres Lebens hatten und sie haben ihn in vollen Zügen genossen. Der Pop-Betrieb verhieß damals einfach Partytime. In den 80ern war ja fast jeden Abend eine Party. Leider waren wir nie dabei, weil wir gearbeitet haben. Ich würde aber sagen, dass Bananarama damals jeden Abend auf Tour waren. Die standen manchmal auf der Matte und kamen direkt aus dem Club getorkelt.

Rick Astley hat kürzlich in einem Interview gesagt, er sei nach sechs Monaten Millionär gewesen. Im Streamingzeitalter ist so ein Modell nicht mehr möglich. Die Wahrscheinlichkeit, seinen Lebensunterhalt mit Musik zu bestreiten, ist geringer denn je. Schaust du trotzdem optimistisch in die Zukunft?

Überhaupt nicht. Aber ich sehe trotzdem Chancen. Jemand wird dieses Format aufbrechen, in welcher Weise auch immer. Streaming ist kein dauerhaftes Erfolgsmodell. Es ist für mich vergleichbar mit Radio, nur dass die Amerikaner ihren Daumen drauf haben. Ein guter Song wird sich immer durchsetzen.

Wie erkennt man eigentlich einen guten Song?

Wenn du Gänsehaut beim Hören bekommst. (ruft seine Assistentin:) Helen, wie hieß die Band noch gleich mit dem "Sound Of Silence"-Cover? Destruction, oder? Disturbed. Genau. Klar, das Original von Simon & Garfunkel ist genial, aber diese Coverversion, faszinierend. Wenn ich diesen Song in meiner Radiosendung spiele, fragen mich die Leute, was es ist. Vor 20 Jahren hätte ich meine Zähne für die Rechte an dem Song hergegeben. Heute? Redet man einen Tag drüber und dann wendet man sich anderem zu. Das Streamingmodell wird irgendwann zusammenbrechen. Ein Modell, mit dem man kein Geld verdienen kann, ist nichts wert.

Siehst du bei aktuellen Produzenten-Stars wie Pharrell und Timbaland Parallelen zu eurer Arbeit?

Nein, ich liebe die beiden, aber der große Unterschied ist: Sie sind Amerikaner und profitieren ohne Ende vom Streamingmodell. 400 Millionen Streams in 24 Stunden? Klar. So funktioniert dieses System. Taylor Swift und Justin Timberlake sind die Stars, junge Bands bleiben auf der Strecke. Wieso sollte ein Streaminganbieter auch einen unbekannten Künstler bewerben?

Abschließend noch zum Brexit: Großbritannien hat sich in einer Volksabstimmung knapp, aber eindeutig entschieden. Was verändert der Austritt aus der Europäischen Union für dich?

Tja, der Brexit bedeutet, dass wir wieder kreativ werden müssen. Ab sofort können wir nicht mehr unsere Freunde in Europa vorschicken, die alles für uns entscheiden, das müssen wir wieder schön selber machen. Britische Geschäftsleute müssen jetzt genau überlegen, was die Leute kaufen wollen. Und wenn sie es nicht auf die Reihe kriegen, fließt kein Geld mehr aus Europa. Dann war es das.

Aber mich hat das nicht überrascht. England besteht aus zwei Teilen: London und der Rest. London ist wie ein anderer Planet. Da kostet ein bescheidenes Häuschen, sagen wir, zwei Millionen Pfund. Im Norden Englands kannst du heute noch Häuser für 10.000 Pfund finden. Oder eine Farm mit 120 Hektar und 14 Schlafzimmern für etwas über eine Million. In London kostet so etwas 26 Millionen. Das ist das große Problem und das Referendum hat diese Ungleichheit nur zutage gefördert.

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