12. Dezember 2022

"Ich kann Police-Songs spielen, ohne dass Sting mich anpöbelt"

Interview geführt von

Stewart Copeland meldet sich aus seinem Studio, als ich ihn per Zoom anrufe. Während unseres Gesprächs dreht er mehrere Runden durch die Räume und bietet so einen kleinen Sneak Peak auf seinen Arbeitsraum. Checkt unser Video-Interview.

Copeland ist schwer beschäftigt. Es steht nicht nur eine Reunion seiner Band Animal Logic an (neben Copeland mit dabei Bass-Legende Stanley Clarke und Sängerin/Keyboarderin Deborah Holland) — sein derzeitiges Hauptprojekt The Police Deranged For Orchestra führt ihn mit diversen Orchestern quer durch die Kontinente. Dabei, der Name deutet es bereits an, "derangiert" er Stücke des legendären Trios und spielt sie mit großer Besetzung. 2023 stehen mit dem Projekt auch zwei Deutschland-Shows an: Bremen (20.Juli 2023) und Frankfurt (22. Juli 2023).

Warum das alles viel angenehmer ist, als mit Sting in einer Band zu spielen, warum bei ihm immer Jazzmusiker dran glauben müssen und wie es sich so mit Orchester arbeitet, erklärt Copeland gut gelaunt im Interview.

Stewart, du hast natürlich jede Menge Erfahrung mit der Arbeit mit Orchestern. Wenn du allerdings so populäre Stücke wie die von The Police orchestrierst, wie gehst du an die Sache heran?

Mit größtmöglicher Respektlosigkeit! Wenn ein Orchestrator einen Pop-Song aufnimmt und orchestriert, ist das in der Regel sehr originalgetreu. Dabei kommt die Kraft des Orchesters nicht so richtig zur Geltung, weil sie versuchen, den Song auf die Pop-Art zu spielen. Also habe ich mit viel Liebe und Respektlosigkeit im Herzen die Songs hergenommen und sie völlig verunstaltet. Ich habe aber gar nicht mit dieser Absicht angefangen. Das Ganze entstand, weil ich einen Film mit dem Titel "Everyone Stares" gemacht habe, der aus Filmen besteht, die ich damals mit meiner Super-8-Kamera gedreht habe, ich habe diese ganzen 52 Stunden Filmmaterial von der Band gedreht, und gezeigt, wie sie aufgestiegen ist… bis hin zu den Stadien.

Dann habe ich den Film vergessen, denn mit Super 8 kann man ja nichts machen. Man kann ihn nicht bearbeiten. Jedes Mal, wenn man ihn nur anschaut, zerkratzt man ihn. Dann, eines Tages, erfand man den Computer. Mit Computern konnte ich das Filmmaterial digitalisieren und den ganzen Tag lang bearbeiten. Also habe ich diesen Film gemacht. Die Musik für diesen Film war natürlich The-Police-Musik. In meinen 20 Jahren als Filmkomponist habe ich gelernt, wie man Musik einsetzt, um die Geschichte zu unterstützen. Aber Sting hat keine Filmmusik geschrieben, "Roxanne" geht nicht nach links, er stürmt vorwärts, aber der Film geht nach links. Also musste ich die Police-Songs so umschneiden, dass sie zum Film passten. Als ich das Schneidmesser rausholte, begann die Orgie. Ich habe ja alle Multitracks der Studioalben, ich habe die Multitracks von Live-Konzerten und Jams, die wir gemacht haben. Ich habe all diese verschiedenen Elemente falsch zusammengeschnitten, um diese Derangements zu kreieren. Arrangements wären zu schön, ich nenne sie also Derangements. Sie sind im Dienste des Films entstanden, haben aber eigentlich eine eigene, coole Logik.

Ich hatte vor einiger Zeit ja auch schon in Deutschland mit Orchester gespielt. Ein paar Police-Songs waren dabei, instrumental allerdings. Die hatten so eine Wirkung, dass ich mir dachte, warum das Ganze nicht auch mit Sängern spielen — und die Lieder, die jeder kennt, performen? Ein Grund, warum ich das bislang nicht gemacht hatte, ist, weil Künstler Angst davor haben, zurückzublicken. Es sieht nicht gut aus, rückwärts zu gehen. Aber in diesem Jahr hatte ich eine brandneue Oper, die in Italien uraufgeführt wurde, und im Jahr davor hatte ich eine brandneue Oper, die am Dortch National Theater mit einer der schicksten Operntruppen der Welt uraufgeführt wurde. Ich bin also sehr zuversichtlich, dass ich nach vorne gehe, was mir den Luxus erlaubt, auch mal über die Schulter zu schauen. Ich schaue gerne zurück, denn ich bewege mich sehr stark vorwärts. Das beruhigt mich, und deshalb schaue ich zurück. Ich bin also glücklich.

Übrigens gibt es noch einen weiteren guten Grund, nämlich dass das Publikum die Lieder liebt. Ich habe sie in ganz Amerika gespielt, und ich habe sie auch in Europa gespielt. Sie bringen jeden Abend das Haus zum Brennen. Man erkennt die Hooks und die Hits. Ich habe drei Soul Sisters, drei Frauen am Mikrofon, die sie singen. Das klappt immer. Wenn ich auf die Bühne gehe, weiß ich, dass wir einen Riesenspaß haben werden.

"Wie wäre es mit einer Punkband?“

Die Arbeitsweise, die du vorhin erwähnt hast, klingt schon fast nach Collage, nach Cut-up-Technik.

Ja, es ist viel Cut-up dabei. Ich zerschneide aber nicht alle Songs. Einige von ihnen, wie "Message In A Bottle", sind wie ein Diamant. Man kann ihn nicht zerschneiden. Man kann ihn nicht schneiden, er ist einfach da!

Wir reden hier natürlich über Songs, die eine Menge Grooves enthalten, eine Menge Off-Beats, spezielle Feels. Ist es einfach, klassisch trainierte Musiker dazu zu bringen, diese Art von Grooves zu spielen?

Auf jeden Fall, man muss es nur auf das Blatt schreiben. Das Schöne an Orchestern ist, dass sie sich sehr genau an das halten, was sie auf dem Blatt sehen. Wenn ich eine Artikulation vorschreibe, werden sie sie spielen, wenn ich eine falsche Note vorschreibe, werden sie sie spielen. Wenn ich eine wirklich großartige Note einfüge, spielen sie auch diese. In der Partitur steht also nicht nur, welche Noten sie spielen sollen, sondern auch, wie sie diese spielen sollen. Es spielt keine Rolle, ob sie jemals eine Reggae-Platte gehört haben oder nicht. Wenn es auf dem Blatt steht, werden sie es spielen.

Also liegt es an dir, deine Hausaufgaben zu machen und ihnen das Ergebnis zu präsentieren.

Ganz genau. Es geht nur um die Hausaufgaben. Wenn ich dann auftauche, probe ich ein paar Stunden lang. Sie lesen es vom Blatt ab und wir können am selben Abend eine Show spielen. Das ist ein echtes Wunder. Meine Rock'n'Roll-Kollegen können es nicht glauben, aber ich kann jeden Abend mit einem anderen Orchester spielen. Und das nach nur zwei Stunden Probe! Rockbands machen ja schon einen zweistündigen Soundcheck, und die Proben dauern oft sechs Wochen! Mit The Police haben wir ganze vier Monate geprobt. Dann haben wir uns umarmt und geküsst und am Abend gesungen und getanzt. Gut, aber erst nachdem wir uns den ganzen Abend angeschrien hatten. Vielleicht hat es deshalb vier Monate gedauert! Aber mit dem Orchester? Zweieinhalb Stunden und wir sind bereit für die Show!

Du spielst mit verschiedenen Orchestern. Bemerkt du einen Unterschied zwischen den einzelnen Orchestern?

Ja, ich schon, aber das Publikum würde es nie bemerken. Ich habe bestimmte Dinge bemerkt, nehmen wir mal die erste Trompete her. Wow, im Milwaukee Symphony ist die erste Trompete echt, also ... wo haben sie diesen Kerl gefunden? Er ist unglaublich. Er nimmt dieses Trompetensolo und spielt genau das, was auf dem Blatt steht. Aber irgendwie mit einem ganz eigenen Flair und Gefühl. Das ist einfach super! Dann spielen wir mit einem anderen Orchester, ich nenne jetzt keine Namen, wo die erste Trompete nicht so ist wie in Milwaukee. Der Trompeter spielt, was auf dem Blatt steht, aber ohne diese spezielle Art. Aber spezielle Eigenschaften haben alle Orchester. Was ich auch noch festgestellt habe ist, dass ich mit einem Studentenorchester immer großartig gespielt habe, weil sie viel mehr geprobt haben. Sie sind besser vorbereitet als die Zweieinhalb-Stunden-Orchester.

Vor ein paar Monaten habe ich mit deinem Police-Bandkollegen Andy Summers gesprochen. Der erzählte mir, dass es ihm der Punk-Spirit zu jener Zeit verboten hatte, Virtuose zu sein und dass er deswegen eine neue Art zu spielen finden und erfinden musste. Hast du das auch so empfunden?

Er hat damit absolut Recht. Die Regeln des Punk. Es musste Anarchie sein. Es sollte die Revolution sein. Aber wie bei jeder Revolution sind die Regeln sehr streng. Du darfst keinen Song länger als zweieinhalb Minuten spielen, du darfst kein Gitarrensolo spielen, du darfst keine Liebeslieder singen. Es gab viele Gründe, warum wir diese Regeln übernommen haben. Dieses Dogma. Damit wir in diesen Clubs spielen können und ein Publikum haben, vor dem wir spielen können. Es war eine völlig machiavellistische Entscheidung, um eine Uniform der Bequemlichkeit anzuziehen und um Shows zu bekommen. Andy konnte aber nicht zurückgehalten werden. Er hatte das Zeug dazu. Es dauerte nicht lange, bis die Fassade dahin schmolz. Tatsächlich war es ein deutscher Komponist, der uns die Erlaubnis dazu gab: Wir spielten in München mit Eberhard Schoener. Wir haben ihn von der Idee überzeugt, weil er all diese verschiedenen eklektischen Zutaten in seiner Band hat. Wir meinten: "Hi, wie wäre es mit einer Punkband?". Er meinte nur: Cool. Er hatte nicht wirklich eine Vorstellung davon, dass eine Punkband nur eine Menge Lärm macht. Er kam rüber und ermutigte uns, zu spielen, weiter rauszugehen, in die Galaxie zu gehen und nach den Sternen zu greifen. Eberhard hat uns ermutigt, weiter zu gehen, weiter rauszugehen. Je wilder, desto besser. Ich hatte vorher nie realisiert, dass Andy so spielen konnte. Und dann, eines Abends, die größte Offenbarung von allen: Sting konnte Bass spielen und ein bisschen schreien, das wusste ich ja und das war alles, was ich für meine Punkband brauchte. Aber eines Abends trat der Sänger für eine Minute vom Mikrofon weg und Sting ging nach vorne. Er öffnete seinen Mund und heraus kam ein Ton, der jedes Herz im Raum brach. Andy und ich standen neben ihm und dachten: "Was zum Teufel haben wir denn hier?" Ich meine, es war fast so, als wäre er befreit, aus dem Käfig, aus den Zwängen von Punkorama. Es kam einfach aus seinem Herzen und erfüllte den Raum. Ich brauche deinen Lesern ja nichts über diese Stimme zu erzählen. Wir alle wissen, was für einen Gesang der Kerl drauf hat.

"Wir lieben und bewundern uns gegenseitig, und wir lieben das Ergebnis unseres Konflikts."

Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass es eine Reunion deiner Band Animal Logic geben wird.

Nun ja, eine Wiedervereinigung ist heutzutage keine so dramatische Sache mehr. Wir leben in verschiedenen Städten und können uns gegenseitig Aufnahmen schicken. Das ist so ziemlich das, worauf die Wiedervereinigung von Animal Logic hinausläuft. Das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr mit Oysterhead spiele. Oder mein eigenes Ding mache, weißt du, es ist eine sehr coole Sache in diesem modernen Zeitalter, dass viele Dinge gleichzeitig passieren können.

Du und Stanley Clarke, das nenne ich mal eine Rhythmusgruppe.

Wir haben einen Sommer lang eine Tournee gemacht, eine Jazz-Tournee. Und einige eurer Leser wissen vielleicht schon, dass es eines meiner Hobbys ist, über Jazz zu lästern. Einfach, weil das immer gut ankommt. Wenn man auf einer langweiligen Dinnerparty ist, kann man die Leute immer aufwecken, indem man etwas sagt wie: Das Problem mit Jazzmusikern ist, dass sie alle scheiße sind. Wow, das darf man nicht sagen. Und plötzlich haben wir eine richtig tolle Dinnerparty. Eigentlich habe ich nichts gegen Jazz. Vor allem nicht, wenn ich mit Stanley Clarke spiele. Ich habe zwei Dinge entdeckt. Erstens: Der einzige Jazz, den ich wirklich mag, ist, wenn ich ihn spiele. Das ist wirklich großartiger Jazz. Jazz ist furchtbar anzuhören, aber es macht großen Spaß, ihn zu spielen. Die andere Sache ist, dass das Jazz-Publikum das beste Publikum ist, für das man spielen kann, weshalb es vielleicht dasselbe ist wie ein Jam-Band-Publikum, denn sie sind nicht da, um die Songs zu hören. Sie sind da, um zu sehen, was du kannst. Und wenn du eine Menge kannst, sind sie sehr zufrieden. Komm schon, noch ein Schlagzeugsolo, ein Gitarrensolo, mehr und mehr und mehr. Sie wollen nicht, dass du dem Sänger aus dem Weg gehst oder geschmackvoll bist. Sie wollen alles hören, was du kannst, und es macht ihnen Spaß, für sie zu spielen.

Was ist das für ein Gefühl, sich wieder den Alben von The Police zu widmen? Man weiß ja, dass die Studioaufnahmen nie ganz einfach waren.

Das hier ist die lustige, einfache Version der The-Police-Experience. Ich kann diese Songs spielen, ohne dass mich der Bassist anpöbelt. Und ich kann das Haus mit "Roxanne", "Message In A Bottle", oder "Can't Stand Losing You" zum Kochen bringen. Und ich kann es tun, wo immer ich will. Weißt du, natürlich ist es nicht so einfach, diese Jungs zu ersetzen. Um Sting zu ersetzen, habe ich drei Soulschwestern am Mikrofon. Stell dir vor, du nimmst einen Sänger ... der arme Bastard! Das ist nicht möglich, du kannst nicht mit Sting konkurrieren. Bei Andy ist es das gleiche. Du kannst Andy nicht ersetzen, außer vielleicht mit einem großen Orchester.

Wir lieben und bewundern uns gegenseitig, und wir lieben das Ergebnis unseres Konflikts. Das heißt aber nicht, dass wir den Konflikt genossen haben. Wir haben ihn definitiv nicht genossen. Aber wir schätzen den Wert der Arbeit, der aus diesem Konflikt entstanden ist. So ist es wirklich das Beste aus beiden Welten, wenn Sting rausgeht und die Songs spielt, die er geschrieben hat, ohne dass der Dritte Weltkrieg über seiner linken Schulter stattfindet. Und ich kann da rausgehen und diese Lieder als Dritten Weltkrieg spielen. Das ist doch perfekt!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Police

The Police. Die Polizei. In den Siebzigern ist diese kleine, aber überaus feine Band ein ruhender Pol im Spannungsfeld zwischen dem Artrock-Gedudel psychedelischer …

LAUT.DE-PORTRÄT Stewart Copeland

Stewart Copeland ist Akteur der Punkwelle, aber auch ein Zeitzeuge: Nachdem The Police schon etwas 'sophisticated' musizieren, ist ihr Drummer genau der …

Noch keine Kommentare