laut.de-Kritik

Mit dem zweiten Anlauf der Szene in den Arsch getreten.

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"Feminin as fuck, meine nicht Alice Schwarzer": Es dauert nicht einmal eine Sekunde, bis Shirin David ihr seit dem Durchbruch so sorgsam gepflegtes Image in hohem Bogen aus dem Fenster schmeißt und mit Schmackes die Tür eintritt. Da ist sie also, die neue Shirin, die rappende Shirin, die harte Shirin, die 'echte' Shirin. "Bitches Brauchen Rap" knallt sie der Szene als musikalisch emanzipierendes Statement vor den Kopf und stilisiert sich damit selbst zum Gegenpol der Modus Mio-Streaming Hölle mit Testosteron-Überschuss. Dieses Album, das sagt sie an gleich mehreren Stellen, sei nicht das, was das Label von ihr wollte, sondern einzig und allein ihre musikalische Vision und die ihrer Wegbegleiter.

Diesen Wegbegleitern war während des Rollouts dann auch ein Großteil der öffentlichen Aufmerksam gewidmet. Laas Unltd. schreibt für sie, daraus macht Shirin David kein Geheimnis. Wo diese Offenheit an anderer Stelle jedoch gelobt wird, dämpft sie in ihrem Fall den Spott lediglich auf ein ertragbares Maß ab. Auch 2021 scheint die Welt des Hip Hop noch die Fantasie zu fetischisieren, dass RapperInnen inmitten von zerknülltem Papier allein im stillen Kämmerchen sitzen und ihre Texte mit abgebrochenen Bleistiften auf Notizblöcke kritzeln. Dass auch in der goldenen Ära des Hip Hop üblich war, sich beim Schreiben von Leuten unter die Arme greifen lassen, die darin einfach wesentlich talentierter sind als man selbst wird hingegen gerne ignoriert. Ice Cube schrieb für Eazy E, Gangsta Boo für die gesamte Three 6 Mafia, und die halbe Welt für Kanye West, Diddy oder Dr. Dre. Von Deutschrap wollen wir diesbezüglich gar nicht anfangen. Es ist vollkommen egal, wieviel Köpfe hinter einem Song stecken, wenn das Endprodukt gut ist, ist es gut. Punkt.

Ein gutes Album ist "Bitches Brauchen Rap" jedoch nur unter Vorbehalt. So fokussiert das Projekt auch ist, so sehr tut sich zwischen einzelnen Tracks ein Qualitätsgefälle auf. David versucht sich an verschiedensten Gangarten von Hip Hop, von donnernden Bass-Monstern aus dem dreckigen Süden, straight gespieltem Trap, 2000er R'n'B Throwbacks und lasziven Pop-Rap. Musikalisch klingt das alles überraschend kohäsiv, nur stimmlich stolpert die gebürtige Hamburgerin hin und wieder über die Ansprüche, die mit den Stimmungsbildern dieser Subgenres einhergehen.

Ihre Hook auf "Ich Darf Das" klingt aufgesetzt und unbeholfen, ihrem Trash-Talk auf "NDA's fehlt der stimmliche Nachdruck, und die 'Ting'-Reime auf der Schmonzette "Heute Nicht" waren schon peinlich, als Drake vor zwei Jahren meinte, UK Drill machen zu müssen. In ihrem Fall grenzt es schon fast an Fremdschämen. Es sind zugegebenermaßen wenig wirkliche Fehltritte, die sich die Hamburgerin auf ihrem zweiten Album leistet, in der Tracklist finden sich auf der Kehrseite jedoch nur gerade so ausreichend Standouts um die Waage am Ende bedeutend ins Positive zu kippen. Ein Großteil von "Bitches Brauchen Rap" ist solide, sehr solide sogar, scheitert aber in allerletzter Konsequenz oftmals daran, einen wirklichen Mehrwert zu bieten, der über interessante musikalische Blaupausen hinausgeht.

Bestes Beispiel dafür ist der neunminütige Closer "Bramfeld Stories". Darin erzählt Shirin in akribischen Details von ihrem Werdegang, unterbrochen von Nachrichtenmeldungen und Gossip über sie und ihren Erfolg. Vom in der Schlange stehen beim Arbeitsamt mit ihrer Mutter, ihrem Durchbruch auf YouTube, ersten musikalischen Gehversuchen, Besuchen von Arafat Abou Chaker und ihrem Porträt in der Forbes. Ist das gut geschrieben? Ja. Ist das gut gerappt? Ja. Rechtfertigt der Song seine Länge, oder bietet wirklich intime Einblick? Nein. Ihre Version der 'Started from the bottom now we're here'-Geschichte ist eben nicht allzu aufregend, wenn sich die Hälfte davon nur darum dreht, wie viele Brand-Deals sie sich über die Jahre angeln konnte, und das Drama rund um "Affalterbach" den größten Konfliktpunkt darstellt.

"Depressionen Im Paradies" münzt dieses biographische Vakuum jedoch auf interessante Art und Weise um und stellt die Frage "Wann ist genug genug?". Jeden Morgen Avocados zum Frühstück im Hotel mit Meerblick alleine macht eben nicht glücklich. Das ist keine sonderlich tiefsinnige oder neue Erkenntnis, es gefällt aber, wie Shirin David sie an den Mann bringt. Um ihre Sucht nach immer höheren Highs, größeren Zahlen und neuen Erfolgen macht sie keinen Hehl. Im Gegenteil: Sie verpackt es mit genau der richtigen Menge Pathos und wählt trotz ihres Superstar-Statuses Worte, die man auch ohne Millionen auf dem Konto nachvollziehen kann.

"Shirin David macht das Fass der Feministin auf": Ohnehin tut die lyrische Ungeschöntheit gut, die David im Verlauf von "Bitches Brauchen Rap" an den Tag legt. Egal ob Greta Thunberg, Kamala Harris, Sophia Thiel oder Bibi Blocksberg: In Shirin Davids Welt sind sie alle 'Bad Bitches'. Nichts von dem was sie rappt, erfindet das Emanzipations-Rad neu, Recht hat sie deswegen trotzdem. Besonders "Man's World" und "Schlechtes Vorbild" sind diesbezüglich zu erwähnen. In letzterem Song schildert sie im Stile des Eminem-Klassikers "Stan" einen Nachrichtenaustausch mit einem Fan, der Alltagssexismus, ungesunde Schönheitsideale und die Diskreditierung weiblicher Blickpunkte erstaunlich pointiert offenlegt: "Mein Sportlehrer sagt, deine Texte wären sexistisch / Doch beim Handstand mein'n Arsch berühr'n, findet er echt witzig" - Das ist eine ebenso simple wie effektive Gegenüberstellung, weil sie wahrscheinlich genau so heute bereits mehrmals passiert ist.

Weitere Momente, in denen wirklich alle Zahnrädchen ineinander greifen, heißen "Juicy Money" oder "Be A Hoe/Break A Hoe". Mit Young Mesh, Juh-Dee, Going To Ghana und Geenaro stehen mitunter die begabtesten Produzenten die dieses Land aktuell so hergibt an den Reglern. Wo ihre Beats allerdings Shirin an anderer Stelle vermehrt die Show stehlen, ergibt sich hier eine hervorragende Symbiose aus Charisma und Instrumental. Die 808s scheppern, der Bass boomt, Shirin flowt wie eine junge Göttin, und wenn sie dann in der Hook die Phrase "Ich will den James Bond-Sportwagen, Bitch!" von Luciano-Adlibs begleitet brüllt, mag man daran zweifeln, ob hier wirklich die gleiche Person hinter dem Mikrofon steht, die vor zwei Jahren "Supersize" veröffentlichte. Selbst der Pop-Rap, den sie darauf so uninspiriert ausschlachtete, gelingt ihr hier mit "Bae" um Längen besser.

Auch wenn ihr zweites Album sie nicht an die Speerspitze der deutschen Hip Hop-Szene katapultiert, so ist es ein hörenswerter zweiter Anlauf, mit dem sie nicht nur in jener Szene Fuß fasst, sondern ihr auch ordentlich in den Arsch tritt. Was darüber hinaus der Diskurs rund um die Person Shirin David und ihren Zweitling zeigt, ist dass die deutsche Musiklandschaft von einer Person wie ihr nur profitiert, charakterlich wie musikalisch. Denn sie hat absolut Recht: Bitches Brauchen Rap - und damit sind in allererster Linie die männlichen Kollegen gemeint.

Trackliste

  1. 1. Babsi Bars
  2. 2. Depressionen Im Paradies
  3. 3. Last Bitch Standing
  4. 4. Ich Darf Das
  5. 5. NDA's (feat. Shindy)
  6. 6. Juicy Money
  7. 7. Lieben Wir
  8. 8. Man's World
  9. 9. Bae
  10. 10. Be A Hoe/Break A Hoe (feat. Kitty Kat)
  11. 11. Dior Sauvage
  12. 12. Heute Nicht
  13. 13. Bitches Brauchen Rap
  14. 14. Schlechtes Vorbild
  15. 15. Bramfeld Stories

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