laut.de-Kritik
Techno ist anders.
Review von Franz MauererPaul Kalkbrenner ist gerade mit grundsympathischen (wenn auch gut getimten) Neuigkeiten in den Zeitungen: Der Lichtenberger Fußballclub seines Herzens benennt sein Stadion nach ihm, als Dank für die jahrelange Unterstützung. Man möchte also nette Dinge über "The Essence" sagen, das erste Album des Berliners seit sieben Jahren – man kann nur nicht.
Der DJ war seit "Self" nicht mehr richtig gut, aber mit "The Essence" ist nun ein seelenloser Tiefpunkt erreicht. "Es ist ein Album ohne Filler, nicht einmal ein Filler-Moment", sagte Paul im Vorfeld des Releases. In Wirklichkeit ist es ein Filler ohne Album. Es herrscht eine Einfallslosigkeit vor, die schon wieder bemerkenswert ist. Stumpf und lustlos lässt der DJ simpelste Versatzstücke ablaufen, bis die Tracks eben vorbei sind.
Schon der Opener "Ninety-Two" macht mit seinem dämlichen Bummsbeat unmissverständlich klar, dass das hier Musik ist für Leute, die elektronische Musik mögen wollen, es aber eigentlich nicht können. Simpler und langweiliger kann man einen Song gar nicht mehr schreiben, als Patient schriebe dieses Ding mit seinen beschissenen Flöten jeder Notarzt ohne Umschweife hirntot.
"Die Stübernitze" ist derselbe Song, nur der Titel ist anders. "Der Schlörheinz" ist derselbe Song, nur der Titel ist anders. Und "Spigito Bite" und "Mein Freund Onze" auch: Es beginnt recht forsch, schnell sind Beat und Melodie da, der Beat treibt bassig, der sehr einfache, kurze Melodiebogen scharwenzelt so fröhlich wie repetitiv dahin, nach zwei Dritteln des Songs bekommt die Melodie ein wenig Auslauf, und der Song darf sich wieder in die Boxen verkriechen.
"The Essence" hört sich an wie ein erster Versuch eines Produzenten auf einem modernen Synthesizer, als hätte jemand im Hobbykeller versucht, der Sache mal auf Albumlänge eine Chance zu geben als Ausgangsbasis für die weitere Arbeit am rauen Stein. Nicht mal eine aalglatte Politur verpasste man dem AAA-Album eines der erfolgreichsten deutschen Künstler überhaupt, es erdrückt hier nicht der Kommerz, die Anbiederung an den Mainstream, sondern die schiere Lustlosigkeit. Es ist nicht Techno, aber das ist nicht das Problem - das Problem ist, was es ist.
"Wonderful Life" und "Die Trompeten Von Berlin" haben mal nicht dieses Muster, dafür fährt das Letzteres schrille Quasi-Trompeten auf. Beide Tracks wummern recht markig durch, ohne weitere Vorkommnisse. Für "Dreaming On" geben Depeche Mode ein Sample frei, was sie selten bis nie tun, und auch dieses Sample setzt Kalkbrenner lieblos ein. Man möchte Martin Gore am Schopf packen und ihn zwingen, sich das anzuhören.
Die Einbindung des eh schon langweiligen Stromae in "Que Ce Soit Clair" gelingt nicht besser. Der Belgier hat scheinbar auch nicht so recht Lust und sein eckiger Sprechgesang quetscht sich in runde Formen. Ein Soundtrack für einen alternativen Take von "The Martian", bei dem Damon schwerelos zwei Stunden tot in einer Kapsel schwebt, so spannend ist das.
"Klettermaxe" ist kurz ein ganz kleiner Lichtblick, bevor das wirklich unerträgliche Sprachsample einen in die fast schon körperliche Ablehnung zwingt. Die billigstmögliche Metapher für Karriereversessenheit, die je auf Scheibe gepresst wurde, so stupide und billig, dass sich die Nackenhaare sträuben. "Cronitis Boy" ist nach Labelangaben der "Album Focustrack" und langweilt fürchterlich.
11 Kommentare mit 10 Antworten
"Das Cover ist gut, das nehmen wir. Damit verkaufen wir richtig viele Alben."
Ein neues Phil Collins Album? Das kam jetzt unerwartet.
Langweilig. Wertung geht absolut klar.
Es ist schon verdammt belangloser Gefälligkeitselektro, der tatsächlich nur die merkwürdigsten Wandtattoo-Menschen anzieht, aber die Wertung von einem Stern, sollte doch wirklich der beschissenen Musik vorbehalten bleiben. Das er ein Depeche Mode-Sample verhunzt, ist schon legendär beschämend, aber genau das biedere Mittelmaß, welches ich von einem Kalk Paulbrenner, oder wie auch immer der heißt, erwarten würde.
Für die Erkenntnis dass Franz Mauerer die neue Paul Kalkbrenner wahrscheinlich nicht so gut findet hätte ich nicht extra nen Text gebraucht.
Elektronische Musik ist eine sehr schnelllebige Sache: Anders als bei anderen Genres sitzt man dort stärker an den neuesten technischen Innovationen in puncto Hardware und Software. Selbst ich als Fan würde vielen alten Werken zwar ihre Kredibilität zusprechen, aber gemessen an aktuellen Releases sagen, dass vieles davon schlecht gealtert ist. Der Grund, dass so viele EDM-Klassiker immer wieder neu geremixt oder neu produziert werden ist dabei gar nicht mal der Cashgrab-Aspekt, sondern eher, dass viele Originale einfach nicht mehr in ein zeitgenössisches Set vom Mixing her passen.
Nach 7 Jahren Pause in diesem Genre ein neues Album zu releasen ist damit schon eine größere Herausforderung. Paul Kalkbrenner war hier leider ein bisschen zu bequem. Die Clubszene hat sich verändert und sehr viel elektronische Musik ist heutzutage streberhaft überkomplex, ja, auch im Minimal-Bereich, eben da der Zugang zur Produktion über die aktuellen DAWs und YouTube-Tutorials einfacher geworden ist. Es ist ein wenig so, wie wenn ein Party-Zauberer aus der Prä-Internet-Zeit noch versucht, mit einfachen Kartentricks Eindruck zu schinden, wären die Kinder heutzutage Zitronen aus Plastikbechern zaubern, in denen vorher ein Gummiball gewesen ist.
Ich würde dem Hobbykeller-Vergleich der Review schon zustimmen: Das klingt alles wie von einem Anfänger, der noch nicht weiß, wie man Spannung durch fließende Übergänge in den Synthesizern kreiert oder eine vernünftige Bridge baut. Dieser Anfänger hat aber das Glück, jemanden mit einem Tonstudio zu kennen, der ihm das ganze mit ein paar Korrekturen rettet. Ich habe CDs in ähnlicher Qualität tatsächlich von Freunden gekriegt, die einfach mal Spaß mit ihrer Kunst haben wollen, aber ja, das hier ist Paul Kalkbrenner, schon jemand mit Rang und Namen.