laut.de-Kritik

Mannheims Antwort auf A$AP Ferg.

Review von

Chimperator ist immer wieder für eine Überraschung gut. Oder hat vor 2011 jemand damit gerechnet, dass Lila im Büro am Rotebühlplatz in Stuttgart einmal ganzjährig Farbe der Saison wird, um mit Keemo zu sprechen? Andererseits muss man einem Label, das 2010 Maeckes' "Graustufenregenbogen" via SchülerVZ gedroppt hat, nichts erzählen über Businessmoves, die ihrer Zeit voraus sind.

Aggro Berlin war tot und der Kadaver hatte schon zu Lebzeiten begonnen zu stinken, deswegen ließ man den frischen Wind des Zeitgeistes hinein und Cro auf die Charts los. "Easy" war so etwas wie die Rache Stuttgarts an Berlin für zehn Jahre Hustle im kommerziellen Abseits, die wir gleichwohl alle zu spüren bekamen, weil man Panda-Carlo dank Viva und Radio, Beanies, Longboards und dreieckiger Formen praktisch nicht entkommen konnte.

Den hat es mittlerweile vom Label weg und auf große Sinnsuche gezogen, auf der er "Benz in Weiß" auf "Unendlichkeit" reimt. Neben den verdienten Orsons-Veteranen Tua, Bartek, Kaas und Maeckes sowie Teesy, der halt macht, was er macht, für die Leute, die das halt hören, stehen momentan einige Namen auf der Gehaltsliste, bei denen (noch) nichts klingelt. Und OG Keemo, bei dem es nicht klingelt, sondern kracht.

So klang es vor dem inneren Ohr, als "Neptun" vor ungefähr einem Jahr eine ganze Menge Blätter aufwirbelte, weil der scheineschmeißende Existentialist OG Keemo im Genre aufschlug. Das kann diese Erschütterung zur Zeit gut vertragen. So ein freudloser Hang zum deutschen Mittelmaß hat sich einmal mehr im Gangstarap breitgemacht, schon rein visuell.

Während im atlantischen Jenseits Travis Scott im "Stop Trying To Be God"-Clip auf Drachen reitend Krieg mit Gott führt, schneiden sie hier, wie es vor zwei, drei Jahren drüben Mode war, Video für Video das Frame ins Frame ins Frame ins Frame ins Frame ins Frame ins Frame (Farbwechsel) ins Frame und man sieht ein Auto.

Musikalisch, textlich, muss man das eigentlich gar nicht mehr beschreiben, so sehr ist es in kürzester Zeit Klischee geworden: Autotune, 808, Bauchtasche, Anglerhut, irgendein Rauschmittel, was sich grad halt reimt. Gibt's wahlweise in weggetreten oder grimmig und auch in vegan. Schmeckt schon irgendwie, aber im Wesentlichen immer gleich. Mahlzeit.

Dabei haben wir doch alle eigentlich via diesem Internet den selben Zugang zum Wissen, dass es auch kreativer geht. Aber diejenigen, die den sicherlich auch nutzen, weil sie das professionell betreiben, enthalten es offenbar denjenigen vor, die sonstwie genuscheltem Rapenglisch nicht folgen können oder wollen und von den Machern des Genres in ihrer Deutschrapblase im Frame im Frame im Frame im Frame im Frame zurückgelassen werden. So lange der Schekel stimmt, wird's aufgewärmt.

Zum Glück geben sich Chimperator und OG Keemo damit nicht zufrieden und demonstrieren, wie das mit Gangstarap auf Deutsch auch laufen kann. Fast wie in einem verspäteten Nachtreten gegen Aggro stellen sie mit "Skalp" unter Beweis, dass die dunkle, kalte, vom Gemüt erhitzte Straße nicht durch Berlin, sondern den Südwesten führt. Man hätte nicht darauf gewettet.

Allerdings lässt OG Keemo auf dem Tape alles andere als schwäbischen Pietismus walten, denn er kommt nämlich aus Mannheim, steht zudem in weiter Distanz zu allem, was man mit launigem Hipedihopedi aus Stuggitown verbindet. Statt puritanischer Erbauung zieht es ihn hin zu Hennesy, Raubzügen und Blowjobs, den durchaus klassischen Themen also.

Die setzt er derart frisch, energiegeladen und kompromisslos um, dass auch sein zweites Release durchweg auf höchstem Level begeistert. Es lässt sich der Vergleich zu Kollegah auf dem Höhepunkt seines frühen Schaffens ziehen, da sich Keemo ähnlich technikverliebt präsentiert und dabei, wie der olle Kolle anno dazumal, Maßstäbe setzt, die das Level der durchschnittlichen Konkurrenz weit überflügeln. Vier-, fünf, sechs-, siebensilbige Reimketten haut er in einem Flow raus, als wären sie ihm just in dem Moment vorm Mikrofon spontan zugeflogen. Worin er sich vom Rest und vor allem von Kollegah und Konsorten unterscheidet, ist, dass bei aller Lust an der Virtuosität diese nicht im Selbstzweck verharrt. Vielsilbige Reime um der vielen Silben Willen, "Pumpgunpatronenshots" und ähnlichen Unsinn hat er nicht nötig.

Rapper sind Writer, Keemo ist Maler. Auf "Skalp" verfeinert er weiter das Bild des finsteren Antihelden, das er bereits auf "Neptun" zeichnete. Neben der Lieblingsfarbe Lila neigt er vor allem der dunklen Seite der Farbpalette zu. "Ich war 12 und klaute Kassen von der Stadtbibliothek": Ich habe OG Keemo im starken Verdacht, dass er da noch andere Dinge getan hat, als sein Taschengeld aufzubessern. Auf dieses sprachliche Level kommt man nicht, ohne in das ein oder andere Buch gelinst zu haben.

"Skalp" kommt ohne akademischen Diskurs und Abitur aus, bringt dafür aber eine ordentliche Portion Hirnschmalz mit. Ein bisschen wie Prezident ohne den Stock im Arsch und dieses völlig unerträgliche Dozentengehabe. Wie Keemo Sprache handhabt, ist virtuos, ohne sich dessen selbst ständig versichern zu müssen. Wenn er meint, dass ihn "Hennesy zum Philosophen" macht, ist das zudem nicht nur eine Zeile, die ziemlich gut klingt, es ist ein Anspruch.

"In so einer Welt finden Babys auf gar keinen Fall einen Platz / Deshalb ertränk ich meine Kinder im Hals einer Slut". Das meint auch nur einen Blowjob, aber wie er das meint, liegt meilenweit über dem kreativen Genrestandard. Wie er da in nur zwei Lines seinen düsteren Existentialismus mit Hedonismus und einer ordentlichen Portion "Scheiß drauf"-Attitüde verknüpft, steckt lyrisch ganze zeitgenössische Alben in die Tasche.

Ein neues Fremdwort hat er mir auf "Trap" auch beigebracht: "Niggas leiden vor der Polizei schon an Melomanie". "Melomanie" bedeutet soviel wie "Musikbesessenheit", meint im Kontext höchstwahrscheinlich, dass sie sehr gern singen. Uff, es macht klick im Kopf. Der Topos ist bekannt? Allerdings. Kenne ich einen deutschen Rapper, der das schon mal so virtuos ausgedrückt hat? Nein.

Besagter Track ist der Stärkste des Tapes: Mit dem Bassdonner des "Trap"-Beats setzt das "Raus aus dem Körper, rein in den Moshpit"-Gefühl ein, das an die ganz brutalen Brecher eines A$AP Ferg gemahnt. Diese schiefe Geige kratzt mir seit Tagen im Kopf herum. Hausproduzent Funkvater Frank hat sichtlich Wert darauf gelegt, das bewährte Rezept von "Neptun", klassisch klingende Samples mit modernen Trapdrums zu kombinieren, nicht einfach zu wiederholen. Stattdessen produziert er mit "Trap", "Training Day" oder "Klepto" düstere Gewaltmärsche, zu denen man sicherlich hervorragend durch eine Backsteinwand gehen kann, wenn er nicht wie in "Vorwort" wieder den melancholischeren Klängen frönt oder sich auf "Nani (Skit)" gleich ganz der Oldschool hingibt.

"Ich ess den Schwertfisch inmitten der Bourgeoisie am Hafen", heißt es dort. Wie ein Schoolboy Q ist OG Keemo in dem Sinne nicht politisch, weiß aber um den entsprechenden Kontext, beziehungsweise bewegt er sich geistig in einer Welt außerhalb vom Frame im Frame im Frame im Frame und Rapupdate und schlechtem Dancehall. "Mein G / ich kick ne Strophe und sie gehen in die Knie / wie Colin Kaepernick", ist so ein Beispiel, wie er das lässig mit dem Image des ignoranten Gangsters verbindet. Dazu kommt ein kräftiger Schuss schwarzes Selbstbewusstsein, wenn sich der selbsternannte "Riese aus den Tiefen Afrikas" auf Denzel Washington genauso wie auf Jean-Michel Basquiat beruft.

Manchmal sind es auch nur ganz kurze Einwürfe mit maximaler Wirkung, die beeindrucken: "Hänge ab im Bando mit dem Hennyblick", da braucht man gar nicht mehr zu hören, um zu wissen, was abgeht. "Mein Kopf aus dem Fenster wie Heath Ledger in Dark Knight": Sofort hat man nicht nur den besten Shot dieses Films vor Augen, sofort ist diese unbarmherzige, gleichwohl spielerisch überlegene Stimmung da, die er anstrebt. So könnte man jetzt Line für Line für Line weitermachen. Er ist einfach grandios.

Es bleibt noch zu sagen, dass OG Keemo und Frank Trap auf Deutsch auf einem Level machen wie kaum ein Anderer. Er unterscheidet sich gravierend von jenen, die wie etwa Casper in der Theorie durchaus wissen, wie das funktioniert, in der Umsetzung aber trotzdem scheitern, weil sie es schlicht nicht überzeugend verkörpern. "Ich verdoppel wenn ich trappe / ich mach lila wenn ich schlaf", da muss man gar nicht genau wissen, was da genau verdoppelt wird. Diese Energie, das Assoziative auf diese Weise zu handhaben, hat man, oder hat man nicht.

Will man das Bild des schurkischen Intellektuellen OG Keemo verstehen, muss man vor allem auf den Rahmen achten: "Vorwort" und "Nimbus" bilden die persönliche Klammer von "Skalp". "Was nimmst du einem Sohn der keine Mum mehr hat / unterschrieb den Vertrag am Tag/ nachdem ich sie begraben hab". Wie besagter A$AP Ferg lässt er immer wieder durchblicken, warum er so ist, wie er ist. Aus dem Schmerz und der Scheiße kommt die Wut, aber auch der Wille.

Wir wollen unterdessen hierzulande eine Art Rap, die sich nicht damit begnügt, die Kopie vom Bite von der Wiederholung der mäßig synchronisierten Serie aus den USA zu sein. Keemo und Frank marschieren voran. "Skalp" ist aber auch absolut überzeugend darin, gar nicht erst den Eindruck zu vermitteln, als wolle es Teil dieses Theaters sein. "Ich krieg nichtmal mit wenn sie gegen mich schießen." Wofür man den beiden jetzt genau auch in die Suppe spucken wollte, ist mir schleierhaft. OG Keemo und Frank stehen für sich, haben weiter an ihrem hohen Anspruch gefeilt.

"Neptun" war noch etwas mehr aus einem Guss, dafür ist "Skalp" härter, wo es hart ist, detaillierter, emotionaler, wo es an die Macken der Figur OG Keemo geht, dabei stets ungebrochen virtuos in seiner Rapkunst. Wenn zum Jahresende nicht noch überraschend etwas aus Frankfurt kommt (Hanybal, mach hinne), reichen Keemo diese neun Tracks für den Titel "Bester deutscher Gangstarapper" 2018 locker.

Trackliste

  1. 1. Vorwort
  2. 2. Hennyblick
  3. 3. Training Day
  4. 4. Tag 7
  5. 5. Nani (Skit)
  6. 6. Trap
  7. 7. Klepto
  8. 8. Mammut
  9. 9. Nimbus

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