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Next Level

Falls ihr euch übrigens gefragt haben solltet, wie repräsentativ meine Meinung für K-Pop-Fans generell ist: nicht sehr. Ehrlicherweise liege ich gerade bei kleineren Releases oft im massiven Clinch mit der gängigen westlichen Meinung. Liest man in Foren oder auf Reddit quer, sind Leute zum Beispiel sehr happy mit Sachen wie dem Yuqi-Debüt, das mich völlig kaltgelassen hat. Dieses neue Aespa-Comeback wurde dagegen völlig zerrissen. Ich widerspreche: Ich halte es für ein verkapptes Meisterwerk.

Dabei verstehe ich von vornherein jede Kritik. Ja, es ist ein Flickenteppich-Song - und zwar kein harmloser. "Next Level" schlägt in Sachen Beatdrop-Wahllosigkeit gleich neben "I Got A Boy" von Girl's Generation auf, dem wohl spektakulärsten Song-Chaos der K-Pop-Geschichte. Nach zwei Minuten Cyberpunk-Bass-Geschrubbe fadet alles aus, für über eine Minute kommt ein völlig anderer Beat dazu, der nach klassischen Hip Hop mit funky Bassline klingt, darauf wird erst gebeltet, dann gerappt, dann fadet der Beat wieder aus und Song A kehrt zurück, als wäre nichts gewesen.

Keine Frage, beim ersten Hören wird man um Verwirrung nicht herumkommen. Aber auch der Rest hat polarisierende Elemente. Der Chorus ist sehr low-key, fast unaufällig im Vergleich zu sonst gigantischen K-Pop-Hooks, und auch die futuristische Aufmachung könnte man sehr gut für meine Fantasy-Film-Kritik des letzten Slides heranziehen.

Aber jetzt allen Spaß beiseite: Das hier ist ein Jahrhundertsbanger. Klar, man muss sich erst einmal darauf einlassen, aber am Ende fusioniert hier ein elektronischer Bass-Beat mit maximalem Impact und wunderbaren Flow mit ein paar sehr geschmackvollen Tropes der Hip Hop-Gegenwart. Der grundlegende Groove könnte genauso von Produzenten wie Take A Daytrip für etwas verwendet werden, das in einem Song von Travis Scott, Lil Nas X oder Post Malone gelandet wäre - und die hätten die Hook für größtmögliche Effektivität und Wiederhörbarkeit genauso gehandhabt. Aber es bleibt bei diesem tödlichen Grundgroove nicht, der Song entwickelt sich subtil und unsubtil mannigfaltig weiter.

Jeder Refrain bringt seine eigene kleine Afterhook, vor dem Beatbreak baut sich ein gesanglich bockstarker Rise auf, der bei öfterem Hören überraschend smooth in den Beatbreak einleitet. Der ist natürlich am Ende die ultimative Hook des Songs, die Performances, die Stimmen, die Energie sind ohne Parallelen, die Rückkehr in den ersten Refrain dann eigentlich nur noch das Sahnehäubchen. Ja, "Next Level" ist kein Song, der sich anbiedert oder wie tausend Dinge klingt, die man kennt. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie innovativ und der Kurve voraus K-Pop-Songwriting sein kann - und ein heißer Anwärter für die Comebacks des Jahres.

Wertung: 5/5

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