laut.de-Kritik

Nach 20 Jahren steht der Rapper im Zenit.

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Es gibt international wenig Rapper, die eine so konsistente Karriere vorweisen wie Ghetts. Der Brite schafft es auch in Jahr 20 nach seinem ersten Release nicht nur (kommerziell) relevant zu bleiben, sondern seinem Werk noch weitere Facetten hinzuzufügen. "On Purpose, With Purpose" geht locker als eines seiner besten Alben durch - das muss ihm nach so vielen Jahren im Game erst mal einer nachmachen.

Ghetts' Geheimnis: Qualität über Quantität. Statt die Fans im Jahresrhythmus zufriedenzustellen, feilt der Londoner an seinem Sound, um eine runde Platte zu veröffentlichen, die im besten Fall auch noch neue Hörer*innen dazugewinnt. Auch wenn dies auf Kosten des regelmäßigen Release-Turnus geht.

Ghetts gilt als einer der Vorreiter und Pioniere des Grime, dem aber außerhalb der Genre- und Landesgrenzen nie die Anerkennung eines Skepta oder Dizzee Rascal entgegengebracht wurde. Ob es an seinem Straßenbezug liegt, seinen unregelmäßigen, unangepassten Releases oder seinem Hitzkopf lässt sich schwer sagen.

Klar scheint aber, dass sich der MC mit seiner aufbrausenden Art und seiner Knastvergangenheit häufig selbst im Weg stand. Nicht umsonst wurde er zunächst unter dem Namen Ghetto bekannt. Das bringt den Vorteil, dass die Erwartungshaltung an ein neues Album nicht an einen bestimmten Sound geknüpft ist, sondern nur an ein Merkmal: Qualität. Den einstmals wilden Grime hören wir auf "On Purpose, With Purpose" kaum noch, und trotzdem klingt es sehr nach Ghetts.

Nach einem aufbauenden Intro lässt es sich der Künstler trotzdem nicht nehmen, seine Legacy zu untermauern. "Mount Rushmore" ist ein Gipfeltreffen mit den beiden Langzeitpartnern und Grime-Legenden Kano und Wretch 32. Ein chorales Sample und ein bedrohlich marschierender Beat schaffen die Atmosphäre, die die drei Rapper brauchen, um ohne Hook ihren Status zu zementieren.

Im Laufe der Spielzeit folgen noch weitere solch aggressiver Tracks, wobei Ghetts die übersteuert-kreischende Vortragsweise seiner Anfangstage fast komplett gegen dunkle Trap-Flows und Bassstimme ausgetauscht hat. Das erinnert an die Opium-Bewegung um Playboi Carti, was auch das starke Feature mit Lancey Foux ("Stylish Nxxxa") untermauert. Eine absolut nachvollziehbare Weiterentwicklung im Sound von Ghetts. Ebenfalls in diese Richtung hervorzuheben sind Songs wie "Blood On My Hands" mit Unknown T und "Laps" mit der Südafrikanerin Moonchild Sanelly.

Seine wirklich herausragenden Momente hat das Release allerdings, wenn Ghetts eher melodiöse und soulige Töne anstimmt. Den Übergang schafft der Track "Mine" mit Shakka. Hier werden die trappigen Rhythmen mit einer gefühlvoll gesungenen Hook kombiniert. Anschließend bedient sich Ghetts an Dancehall-, Amapiano- und Afrobeat-Sounds und kombiniert diese mit seinem britischen Flavour. Unterstützung kommt u.a. vom südafrikanischen Künstler Muzi ("Blessings") und Jamaikas Dexta Daps ("Hallelujah").

Die absoluten Highlights finden sich allerdings am Anfang und am Ende der Platte. Die Vorabsingle "Double Standards" verblüfft mit reduziertem Soul und einer Hook von Ausnahmesänger Sampha, der viel Schmerz in seine Stimme legt, während Ghetts sich mit den Widersprüchlichkeiten einer rassistischen Gesellschaft auseinandersetzt.

In eine ähnliche Richtung weist auch der letzte Song vor dem Outro: "Jonah's Safety" mit der talentierten Sängerin Pip Millett. Der Track beschäftigt sich auf sehr eindringliche und einfühlsame Weise mit den Problemen von jungen Müttern, die in der Gesellschaft oft alleine gelassen werden. Er handelt von Überforderung, postnataler Depression und daraus resultierendem Suizid, von Vergewaltigung und strengen Abtreibungsgesetzen, toxischen Beziehungen und finanzieller Abhängigkeit. Bei diesem plastisch geschilderten Text bleibt einem kurz das Essen im Hals stecken.

Zudem beweist Ghetts zum Abschluss noch einmal seine Vielschichtigkeit als Rapper. Mit "On Purpose, With Purpose" gelingt ihm der Spagat zwischen hartem Straßenrapper und empfindsamem Alltagspoeten, dessen Stärke in den Details liegt. Seine Beobachtungsgabe wird dem Briten auch in Zukunft helfen, in sich stimmige Alben mit aktuellen Themen aufzunehmen und diese zeitlos zu verpacken.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Mount Rushmore feat. Kano & Wretch 32
  3. 3. Double Standards feat. Sampha
  4. 4. Anakin (Red Saber)
  5. 5. Blood On My Hands feat. Unknown T
  6. 6. Stylish Nxxxa feat. Lancey Foux
  7. 7. Laps feat. Moonchild Sanelly
  8. 8. Twin Sisters feat. Skrapz
  9. 9. Mine feat. Shakka
  10. 10. More Than I Required (Interlude) feat. Jay Angelo
  11. 11. Hallelujah feat. Dexta Daps
  12. 12. Gbedu feat. Harry Aye
  13. 13. Tumbi
  14. 14. Blessings feat. Muzi
  15. 15. Grateful (Interlude)
  16. 16. Street Politics feat. Tiggs Da Author
  17. 17. Jonah's Safety feat. Pip Millett
  18. 18. Expiry Date (Outro)

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