laut.de-Biographie
Gary Numan
Wer im Mai 1979 die britische TV-Kultsendung Top Of The Pops einschaltete, wurde Zeuge eines spektakulären Auftritts: Auf der Bühne stand ein wasserstoffblonder Jungspund, der den fremdartig klingenden, rein elektronisch erzeugten Song "Are Friends Electric?" in grellem TV-Licht performte, von nicht minder ungewöhnlichen Showstar-Bewegungen begleitet.
Es gab zwar schon vorher einige Elektro-Hits, die kurzzeitig zu Ruhm gelangten, allen voran Kraftwerks "Autobahn" 1975, doch der Ex-Tubeway Army-Sänger gilt bis heute als erster Synthesizer-Popstar. Zu dieser Zeit verrät er auch sein Erfolgsgeheimnis: "Mein einziges Talent ist es, Geräusche aneinander zu reihen". Ein Rezept, mit dem nach ihm Dutzende von Elektronik-Freaks praktisch ein neues Genre salonfähig machen sollten.
Tatsache ist, dass Numan einen nachhaltigen Einfluss auf die noch im Schülerband-Kokon befindlichen, späteren 80er-Stars wie Depeche Mode, OMD und The Human League ausübte, indem er ihnen zeigte, dass auch ein 21-jähriger Ex-Punk und Nichtmusiker mit Hilfe von Synthesizern an die Spitze der Charts stürmen kann.
Als kurz darauf auch noch der Song "Cars" sowie das Album "The Pleasure Principle" zur Nummer Eins wird, ist Numan Englands heißester Act. Bis zum Album "Dance" 1981 bleibt er seiner eigenen Mischung aus kühlem Neonröhren-Style und androidem Posing erfogreich treu. Mittlerweile lässt Numan allerdings wie schon auf dem Debüt "Tubeway Army" wieder nicht-elektronische Instrumente in seinen Soundmix einfließen.
Um diese Zeit erklärt er seinen Rücktritt von der Bühne und inszeniert drei melodramatische Abschiedskonzerte in Londons Wembley Arena. Dieser Abgang geht einher mit sinkenden Absatzzahlen und in den folgenden Jahren braust Numan lieber mit seinem Ferrari umher, als sich im Aufnahmestudio blicken zu lassen. Musik gerät erst recht zum Teilzeit-Hobby, als Numan die Fliegerei für sich entdeckt. Zeitungen berichten Mitte der 80er lediglich noch von seinem Rund-um-die-Welt-Flug, bis er auch für die Klatsch-Rubriken uninteressant wird.
Es folgt eine orientierungslose Phase, in der er seinen Plattenvertrag verliert und somit wie ein Newcomer neue Songs an diverse Labels verschickt. Die wenigsten davon machen sich die Mühe, überhaupt ein Antwortschreiben aufzusetzen. Hin und wieder findet er doch ein Label, auf dem er neue Platten veröffentlicht, die jedoch nicht an alte Qualitäten anknüpfen können. Selbst als sein beachtliches '94er Werk "Sacrifice" erscheint, nimmt kaum jemand Notiz von der Legende.
Dies ändert sich, als Mitte der Neunziger plötzlich anerkannte Alternative-Größen wie Beck, die Smashing Pumpkins oder gar Marilyn Manson den New Wave-Vorreiter als Vorbild preisen. Trent Reznor lässt verlauten, dass er während der Aufnahmen zum NIN-Debut "Pretty Hate Machine" fast ausschließlich Numans "Telekon"-Album gehört habe. The Prodigys Liam Howlett findet, dass Numan "die abstrakte und seltsame Seite von Musik" aufgedeckt habe, Afrika Bambaataa behauptet, Numans Song "Films" sei Anfang der 80er einer der ersten Breaks für die Hip Hop-Community gewesen. Genauso haben damals schwarze Jugendliche mitten in der South Bronx zu "Cars" gefreestyled.
1996 erscheint ein mit Big Names gespicktes Tribute-Album, Numan nimmt den Klassiker "Cars" mit den Prügelknaben von Fear Factory neu auf und auch die Industrial-Helden der Nine Inch Nails huldigen dem Engländer und knöpfen sich seinen Song "Metal" für eine B-Seite vor. Der Geehrte selbst nimmt 1998 das vielbeachtete Album "Exile" auf und veröffentlicht im Milleniumsjahr "Pure", das mit seinem Mix aus düsteren Endzeitsounds und hartem Gitarrenstakkato deutlich Spuren der jüngsten Numan-Verehrer in des Meisters Klangbild hinterlässt.
Nach seinen ersten Deutschland-Auftritten seit langer Zeit, erscheint im Frühjahr 2001 eine Tour-Edition, die außer dem aktuellen Album eine zweite CD mit Remixes und Livetracks der 2000er London-Show enthält. Mitte April 2001 spielt Numan drei Wochen vor Fans in Nordamerika. Anfang 2003 erscheint mit "Exposure - The Best Of Gary Numan 1977-2002" die längst fällige Best Of, die einen schönen Einblick in Numans wechselhafte Karriere bietet. Mittlerweile ist auch die öffentliche Verehrung Numans weiter voran geschritten: die Sugababes veröffentlichen mit "Freak Like Me" eine Nummer Eins-Single, die zu großen Teilen auf Numans '79er-Song "Are Friends Electric?" basiert, Basement Jaxx samplen ihn für "Where's Your Head At".
Das weitgehend untergegangene Doppelalbum "Hybrid" bot zum 25-jährigen Jubiläum 2003 vorwiegend Neueinspielungen alter Hits, an denen die Produzenten Andy Gray, Flood, Alan Moulder sowie Curve mitwirkten. Kurz darauf kommt das Doppel-Livealbum "Scarred" auf den Markt, das Numans erwähnten Auftritt in der Londoner Brixton Academy 2000 dokumentiert. Erst im Frühjahr 2006 erscheint "Jagged" hierzulande bei Cooking Vinyl, einem Label, das schon alte 80er Kollegen wie Soft Cell wieder in die Spur brachte. Musikalisch ist es eine konsequente Weiterführung des 2000er Albums "Pure", düster, rockend und sehr industriallastig. Für zwei Songs gewinnt Numan den Ex-Nine Inch Nails-Drummer Jerome Dillon und integriert damit erstmals seit 20 Jahren wieder Live-Drums auf eine Platte. Außerdem ist mit Rob Holliday der Gitarrist von The Prodigy dabei.
Ab 2011 schlägt Numan qualitativ ein neues Kapitel auf. "Dead Son Rising" gießt galligen Spott über die Religionen dieser Welt, besonders das Christentum. Zu den gewohnt starken Melodien gesellt sich ein peu a peu steigender Anteil filmmusikalisch klingender Passagen. Den Weg setzt er 2013 auf "Splinter" fort. Die Platte kommt bei Fans und Kritikern gleichermaßen gut an und schenkt ihm eine Chartnotierung auf Platz 20.
Die Konzeptplatte "Savage (Songs From a Broken World)" markiert 2017 vorläufig den Gipfel seines Katalogs. Es geht um postfaktische Klimawandel-Leugner und die extremistischen Religioten dieser Welt. Harter Stoff, dabei aber so massentauglich wie lange nicht mehr. Das Album erreicht Platz 2 der britischen Albumcharts und ist Numans größter Erfolg seit 1981. Nach dem Livealbum "Savage (Live At Brixton Academy)" bleibt es eine Weile ruhig.
Erst mit "Intruder", zu großen Teilen noch vor Einsetzen der Pandemie geschrieben, meldet sich Numan im Frühjahr 2021 zurück. Es ist seine fünfte Kooperation mit dem Londoner Techno-DJ und Produzent Ade Fenton. "Intruder" hält Numan im Erfolgssattel und chartet erneut auf Platz 2 in UK und sogar auf Platz 15 in Deutschland. 2022 tritt er erstmals nach 41 Jahren wieder in Londons Wembley Arena auf.
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