laut.de-Kritik

Konflikte, Kurskorrekturen und rechte Kulturkämpfe.

Review von

Die Lobhudelei zeigte keine Wirkung. Nachdem Fler die Review zu "Cancel Culture Nightmare" gelesen hatte, stieß er die ausgestreckte Hand brüsk zurück. "laut.de geben mal Props. Nice! Sollen trotzdem ihre Mütter ficken!", schrieb er mit poetisch-spitzer Feder auf Twitter. Radau verschafft eben Aufmerksamkeit und bleibt verkaufsfördernd. "Ich sag' immer, was ich denke, spiel' mit offenen Karten. Ihr habt euch hochgeblasen, ich hab' mich hochgeschlagen", wie er es wenig sentimental in "Teure Narben" formuliert. Mit "Welle Vol. 1" schiebt er nun selbige mit Rosa und Bass Sultan Hengzt.

Als musikalischer Leiter kredenzt Simes Branxons den drei Rappern in "Vol. 1" eine Ringkampf-Atmosphäre, über die sie sich angemessen angriffslustig bewegen. "In meiner Gegend ist das ganze Leben ein Test. Mann, ich hab' eingesteckt und ich hab' ausgeteilt", boxt sich Fler durch den gelegentlich zu privat geratenen Representer. Bass Sultan Hengzt knüpft in der Schärfe an seine "Zahltag"-Tage an. Und Neuzugang Rosa betont in Zeiten des Machtmissbrauchs, sich ihren Vertrag mit Leistung zu verdienen: "Bei Maskulin werden deine Träume wahr. Ohne meine Beine breit zu machen, werd' ich Star."

Dass die Rapperin überhaupt zum Team gehört, lässt sich schon als Fler'sche Kurskorrektur an den Zeitgeist betrachten. Noch 2018 gewährte der Berliner auf dem Reeperbahn Festival Einblicke in seine Gedankenwelt, in der rappende Frauen keinen Platz finden. Lina Burghausen motivierten seine damaligen Aussagen zur Blogreihe "365 Female MCs" und schließlich zum Label "365XX", das sich Talente wie Yetundey und Satarii angelte. Fünf Jahre später hat selbst Maskulin eine Frauenquote. Rosa fügt sich mit selbstbewusstem Vortrag ein, der sich deutlich am Flow ihres arbeitsamen Chefs orientiert.

Rosa bedient sich eines recht direkten Dirty Talks, wobei sie noch unentschlossen scheint, ob ihr die dominante oder devote Rolle eher liegt. In einem Moment will sie sich würgen lassen und stellt Vorbau und Kehrseite als ihre größten Vorzüge dar, im nächsten distanziert sie sich von sexuellen Gefälligkeiten, die ihre Konkurrenz gegen eine Karriere eintauscht. Ihre Vorliebe für Rosalía bringt sie häufiger zum Ausdruck, doch sonst fehlt es an weiblicher Solidarität. Mal attackiert sie Nina Chuba, mal klaut sie Liz die Rolle der "Hood Mona Lisa": "Sag, welche deutsche Rapperin hat so viel Sexappeal?"

Zwischen "Hood Mona Lisa", das glatt von DJ Reckless stammen könnte, dem zuversichtlichen Sound von "Teure Narben" und dem Suspense-Instrumental zu "Welle" stellt sich Simes Branxons breiter auf als bei den Soloalben Flers. Der bedankt sich, indem er den Produzenten auf das Cover hebt und den vollständigen Sampler auch in der Instrumental-Version online stellt. "Simes, kei'm schuld' ich so viel wie dir. All Day, all Night, du bist immer hier", drückt er seine vorbildliche Wertschätzung in "Day Ones" aus. Der Gewürdigte unterlegt den konzentrierten Redefluss dafür mit einem bedächtigen Beat.

Im selben Song vergibt er seinem Langzeitrivalen Farid Bang. "Ich war bereit, mit dir mein Brot zu brechen. Ich hab' nicht gecheckt, wie gleich wir doch sind. Hätt' ich das gewusst, hätt' ich mit dir im Heim schon gechillt", erklärt er mit geradezu katholischer Nachsicht. Hand in Hand treten sie dann auch in "Bitches & Beyda" ans Mikrofon. "Wir zwei sind Legenden im Bizz. Und wenn du gendern vergisst, ja, dann canceln sie dich", rappt der Banger unbeirrt in der Opferpose weiter, obwohl er weitaus größere Verbrechen auf dem Kerbholz hat. Die Cancel Culture erweist sich leider erneut als zahnlos.

Neben dem asozialen Marokkaner hat auch Bass Sultan Hengzt die Rolle als rechter Kulturkämpfer für sich entdeckt. "Ich muss nicht in Prenzlberg in irgendso'nem linken Schuppen Klinken putzen", nölt er in "Geht Mit Der Zeit". Naserümpfend rappt er von der Fensterbank gegen Hafermilch und Dinkelstuten an. "Hip-Hop-Journalisten - alles riesen Opfer", schmäht er in "Warrack" die Presse, auf deren Vertreter er in "Blei" bei Bedarf einschlägt. Und die "vegane Schlampe" halte sich ohnehin für "was Besseres". Selbst wenn es ihr missfällt, fährt er seinen Beamer stolz spazieren. "Was will Greta tun?"

Nicht gerade mit Ruhm bekleckert sich Bass Sultan Hengzt auch, wenn er auf das grenzwertige Narrativ der Clan-Kriminalität einzahlt ("Kudamm Cowboyz") oder damit droht, Rappern aus dem Umfeld ersguterjunges die "Fickmäuler" zu stopfen ("Geh Mit Der Zeit") oder gar ein "Attentat auf Baba Saad" zu verüben ("Bullet Holez"). So geraten die gelungenen Ansätze wie die prominente Platzierung von Rosa und der aufgeschlossenere Sound wieder in den Hintergrund. Fler bevorzugt reaktionäre Einfältigkeit - ganz im Sinne des Zeitgeists, denn "wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit."

Trackliste

CD 1

  1. 1. Vol. 1 (Fler, Bass Sultan Hengzt und Rosa)
  2. 2. Day Ones (Fler)
  3. 3. Geht Mit Der Zeit (Fler, Bass Sultan Hengzt und Rosa)
  4. 4. Hood Mona Lisa (Rosa)
  5. 5. Kudamm Cowboyz (Bass Sultan Hengzt)
  6. 6. Welle (Bass Sultan Hengzt, Fler und Crackaveli)
  7. 7. Teure Narben (Fler)
  8. 8. Trinity (Rosa)
  9. 9. Represent (Fler und Juicy J)
  10. 10. Rhythm Of The Night (Fler und Samra)
  11. 11. Warrack (Bass Sultan Hengzt)
  12. 12. Nobody (Fler und negatiiv OG)
  13. 13. Bitches & Beyda (Fler und Farid Bang)
  14. 14. Berlin (Rosa)
  15. 15. Blei (Bass Sultan Hengzt)
  16. 16. Baddest Bitch (Rosa)
  17. 17. Bullet Holez (Bass Sultan Hengzt)

CD 2

  1. 1. Vol. 1 (Instrumental)
  2. 2. Day Ones (Instrumental)
  3. 3. Geht Mit Der Zeit (Instrumental)
  4. 4. Hood Mona Lisa (Instrumental)
  5. 5. Kudamm Cowboyz (Instrumental)
  6. 6. Welle (Instrumental)
  7. 7. Teure Narben (Instrumental)
  8. 8. Trinity (Instrumental)
  9. 9. Represent (Instrumental)
  10. 10. Rhythm Of The Night (Instrumental)
  11. 11. Warrack (Instrumental)
  12. 12. Nobody (Instrumental)
  13. 13. Bitches & Beyda (Instrumental)
  14. 14. Berlin (Instrumental)
  15. 15. Blei (Instrumental)
  16. 16. Baddest Bitch (Instrumental)
  17. 17. Bullet Holez (Instrumental)

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9 Kommentare mit 35 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Warum ist eigentlich Kollegah auf dem Cover und warum wird er gar nicht erwähnt?

  • Vor 11 Monaten

    Irgendwie sind die Beats anscheinend cool und neben der absoluten Lächerlichkeit des ganzen Rumgepimmels ist es ja auch schon gut, für das, was es sein soll, glaub. Hab dann bis zu Rosa seinem Solo durchgehalten (er rappt wie 1 Frau). Da musste ich dann aber Liz ihr Albung anmachen. Das ist auch Rap und manchmal muss man grinsen, aber Badmomz ist halt auch irgendwie cooler oder Josi, Rosa klingt halt nicht wie eine coole Frau, sondern irgendwie wie eine Frau, die ein Fler sein will. Naja. Schade.
    Aber neben Fler geht wohl nicht mehr.

  • Vor 11 Monaten

    Das Cover verlockt mit finsteren Gesellen, die entfernt an die verkorkste Aggro Absage..ehmm Ansage 5 erinnern, als das Label anfing Risse zu nehmen, mit den Instantflops G-Hot und Tony D sein Filler-Line-up spickte und mit einem desinteressierten Sido nebst limitierten B-Tight langsam unterging. Fler war auch noch scheinbar dabei, doch im noch damaligen Brüllprollmodus orientierungslos zwischen chartzielsuchender Rechtspolarisierung und Heimkindstrauma.

    Jetzt hat er jedoch zumindest einen konstanten Soundfokus nach vielen Irrungen und Wirrungen mit Versöhnungen, Verleumdungen, Verschmähungen und Veränderungen quer durch die Deutschrapbank gefunden plus den zuvor solo kriselnden Hengzt aus der fast sicheren Versenkung geholt, um mit diesem die alten Heldentaten der CCN-Generation gebetsmühlenartig irgendwie heraufzubeschwören.

    ( Hengzt: supersolider Hauptschultoilettenrap der Jahre 2005/2006 - als Grup Tekkan und andere Haarsprayosmanen steil gingen - mit teils coolen Beats und markanter Stimmlage, dann softer Peak in 2007 mit Quasi-Grown-Up Tape, Rückkehr zu alten Härten in 2009...danach nichts mehr von Relevanz und massivst an selbiger über Jahre verloren, weil desaströs-dubiose Soundkonstrukte mit dem unkreativen Alias B.S.H der Marke abgeranzter Siffpop als Kläranlagenbeschallung.. sowie geflopptes Comeback 2017 mit dem gefloppten Versuch allzu schnell auf diesmal uncoolen, gefloppten Beats wieder alles und seine Leihmutter zu dissen in einer Zeitspanne, in der sich Deutschrap Richtung Horden tanzend-jammernder Anglerhutbarden verschob.)

    Nochmals zum Cover: Hier wirkt eben genau dieser zuvor mostly impotente Hengzt wie das bierernste Mastermind, die graue Eminenz, der geheimnisumwitterte Strippenzieher in geschmackvoller Schwarz-Weiß -Ästhetik. Zumindest soll das so wirken auf den eingeschüchterten laut.de-Redaktörrr.
    Ihm fest zur Seite stehen ein dezent pausbäckiger, felixblumeliger Jüngling, der in Muttis alter Lederkluft nur eine halbgute Schauerfigur abgibt, die botoxgeschwängerte Rosaschlüpferqueen übt den maskulinen Stecherblick und vorne droht ein bräsiger Wannabe-Blokkmonsta.