laut.de-Kritik

Wo Pop und Hip Hop Stehblues tanzen.

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Wenn das Intro "Off" heißt, und dafür der Rausschmeißer "On (Back Together)", lässt das schon ahnen: Hier sind wahrscheinlich nicht planlos "Besoffene Lover" am Werk. Eher schon steckt Strategie dahinter. Tatsächlich liefert die Wiener Crew mit dem passend gewählten Namen ein Konzeptalbum ab, das eine in den letzten Zügen liegende Beziehung beschreibt.

Halt, nein, das trifft es nicht. Genau genommen porträtieren und sezieren Diskoromantik einen emotional ungefestigten Schwebezustand, die Zeit, in der das Ende so greifbar in der Luft liegt, dass es jede Tätigkeit, jede Unternehmung überschattet. Ihre besoffenen Lover stolpern - auf der Flucht oder auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer oder der nächsten, vielleicht dann der großen Liebe - über diverse Tanzflächen und kullern durch verschiedene Betten, nur, um am Ende wieder in den Armen der anfangs abservierten Person zu landen. Bereit für ein weiteres, diesmal vielleicht das allerletzte Aufbäumen dieser Pärchenstory.

Diese (vermutlich den meisten unangenehm vertraute) Rahmenhandlung packen Hip Hop Joshy und Jonas Herz-Krawall zusammen mit ihrer verstümmelten Hand voll Gäste in derart treffende Worte, dass man unentwegt vergisst, welche Schwammigkeiten und welche unausgegorene Unentschlossenheit sie da eigentlich auf den Punkt bringen.

Wirklich jeder Zustand, der da zur Sprache kommt, lässt sich unmittelbar nachempfinden. Leider, wie gesagt: Es ist nicht immer angenehm, wie zum Beispiel bei der trägen Suhlerei in leisem Selbstekel in "Schade": "Ich bin meinen Eltern, meinen Freunden, meiner Alten eine Last." Man fühlt sich schlecht dafür, entschuldigt sich, ändert original gar nichts an seinem Verhalten und hasst sich dafür gleich noch ein bisschen mehr: Wer kennt das nicht?

Oder das hier: "Ich kaschier' mit coolen Sprüchen, dass ich eigentlich Angst hab'." Sich aus schlichtem Schiss vor dem Unbekannten die vertraute, vermeintlich gute alte Zeit zurück zu wünschen: Auf diesen nachvollziehbaren, aber trotzdem dummen Mechanismus sind wir doch auch schon alle rein- und damit auf die Nase gefallen. Bloß dass keiner von uns zuvor gemischtes Eis mit gemischten Gefühlen assoziiert hat: Punkt für Diskoromantik.

Alle, die alt genug sind, um sich an Zeiten zu erinnern, in denen es noch ein Nachtleben gab, kennen die Reaktion, die ganze kulturelle Angebotspalette für Lieferpizza vor der Glotze links liegen zu lassen. Für "bisschen lustlos ficken, danach bewusstlos kiffen" schaut die auch hier wieder wunderbar verstrahlte Hunney Pimp vorbei. Die Wunschvorstellungen mögen anders ausgesehen haben, aber ... ach ... eigentlich ist es doch ganz okay so und man selbst ohnehin zu faul, um groß etwas umzukrempeln.

Alle, die alt genug sind, um sich zu erinnern, kennen aber auch die fiebrige, nicht nur unterschwellig verzweifelte Kontaktsuche aus "1 Vs 1", falls man doch einmal den Schritt vor die Tür und (als das noch relativ gefahrlos möglich war) unter Menschen gewagt hat. "Du ein Wrack, ich ein Wrack, und Wracks werden abgeschleppt": Auf diese Formel ließ sich da manch eine unbefriedigende Nacht herunterbrechen.

Für die zugleich angenehm und unangenehm vertraute Geschichte baut Melonoid einen zur Abwechslung durch und durch angenehmen, allzeit stimmigen Rahmen. Der macht dem Crewnamen wirklich alle Ehre, auch wenn das Disco-ideste Stück auf diesem Album wahrscheinlich das vom Titel dahingehend eher unverdächtige "Schlafzimmerblick" ist.

In Melonoids melancholisch-melodischen, mit treffsicher gepickten Sprachsamples gepimpten Produktionen tanzen Synthiepop und Hip Hop Stehblues. Die Beats fangen die schräge Dämmerstimmung einfach perfekt ein. "Du brauchst Zeit? Du sollst sie haben", säuselt es aus dem Opener. Um sich willenlos in dieses wattig-warme Soundbett fallen zu lassen, braucht man davon allerdings maximal zwei Takte.

In "Metronom" fügt er wuchtige Bässe, orientalisch gefärbte Melodien, einzeln angeschlagene Klavierakkorde und stechende Synthieklänge, Versatzstücke, die auf den ersten Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben, zu einem zwingenden Gesamtbild. Das Zwischenspiel "Drunk Texting" klingt mindestens so angeschickert wie der Verfasser der titelgebenden Nachrichten.

In "Früher War Alles Besser" scheppert die Gitarre noch, am "Kinodienstag" quakt sie, funky ver-wah-waht, leise im Hintergrund. "1 Vs 1" ist ein astreiner Synthiepop-Banger, für die "Balztänze auf der Tanzfläche" wie geschaffen. Der Überhit mit wirklich cooler 80er-Schlagseite im Vibe, heißt "Nichts".

Den ewigen Falco-Vergleich, der immer fällt, sobald ein Österreicher irgendetwas Musikalisches vom Stapel lässt, lassen wir ausnahmsweise stecken (obwohl Herr Hölzel den Einstieg zu "Metronom" wahrscheinlich auch nicht viel anders gestaltet hätte und die Hybris, die aus Zeilen wie "Du liebst mich. Ich mich auch" spricht, durchaus auch auf seinem Mist gewachsen sein könnte). Tatsächlich drehen Diskoromantik hier ein ganz eigenes Ding mit, wenn man es zulässt, äußerst betörender Wirkung.

Trackliste

  1. 1. Off (Intro)
  2. 2. Metronom feat. Dirtysanchez
  3. 3. Schade
  4. 4. Drunk Texting Interlude
  5. 5. Früher War Alles Besser
  6. 6. Kinodienstag feat. Hunney Pimp
  7. 7. Aber
  8. 8. Ich Mich Auch
  9. 9. Sirenen feat. EDWIN, Gloriettenstürmer & JerMc
  10. 10. 1 Vs 1
  11. 11. Schlafzimmerblick
  12. 12. Nichts feat. Yugo
  13. 13. On (Back Together)

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