laut.de-Kritik
Djent mit Popcore-Geschmack.
Review von Yan Vogel1822: die Hyroglyphen werden übersetzt. Die griechische Revolution schlägt über. Das mutmaßlich erste Galopprennen wird ausgetragen.
2022: Corona geht ins dritte Jahr. Das Klima wird immer beschissener und die Ukraine zum Spielball der Großmächte. Wie naheliegend wäre es, mit Blick auf einen Zeitsprung 200 Jahre in der Zukunft die absolute Zerstörung anzunehmen?
Kurzer Einschub 2112: Rushs Prog-Monument erzählt von der freien Kunstausübung im Widerstreit mit Kontrollwahn.
"2222" siedeln die Alternative Progger Chaosbay ihren Protagonisten an, der sich in einer vermeintlichen Utopie wiederfindet. Die Geschichte der Kriege ist auserzählt, die Menschen leben in Frieden. Ungesunde Lebensweisen der Marke 'Krieg und Fritten' gehören der Vergangenheit an. Inwieweit Perfektionismus und Kuschelpädagogik das Leben erträglicher machen, darüber herrscht im Laufe der losen Handlung Dissenz. Auch übermäßige Kontrolle im Orwellschen Sinne ist dem Freiheitsstreben abträglich.
Musikalisch lautet die Überschrift: Djent mit Popcore-Geschmack. Dazwischen tummeln sich Hüpfburgen-Brecher, epische Arrangements und sphärische Passagen. Vergleichbare Bands finden sich hierzulande mit The Intersphere und Dioramic oder auf internationalem Parkett Agent Fresco. Wobei im aprupten Wechsel aus Kawumm und Kuscheln sowie der damit einhergehenden Terrassendynamik ein Markenzeichen der Gruppe liegt. Die feine Klinge im Sinne der Stilvielfalt geht Chaosbay bisweilen ab, wobei "Avalon" eine Ausnahme dieser Annahme darstellt. Dennoch sorgen die technischen Feinheiten sowie die monströse Produktion für weitere Highlights.
"2 Billion" und "All This Beauty Can't Be Real" stehen paradigmatisch für das musikalische Wechselspiel aus Chaos und Kosmos. "Catch 22" führt zum Finale in Form eines Medleys die eingängigsten Momente der Platte zusammen.
Drei Features finden sich auf dem Album: Das hymnisch-hochfliegende "What Is War" mit Mirza Radonjica von der dänischen Band Siamese. "Home" mit Alexia Rodriguez von der US-Band Eyes Set To Kill ist ein schlicht gestalteter Track mit emotionalem Tiefgang und erinnert an Pure Reason Revolution oder Steven Wilsons balladeske Beiträge mit Ninet Tayeb. "Passenger" mit Jake Oni von der kanadischen Band Oni ist wieder klassische Krachkunst.
Es gibt keine Schablone für ein gutes Leben. Etiketten sind wandelbar. Es zählt das Herz, die Leidenschaft und das Vertrauen auf den eigenen Weg. Der düster lärmenden Fantasie setzt das Quartett eine positive Grundstimmung entgegen. Kontraste prägen das Leben. Derzeit vor allem in Extremen und nicht in Zwischenstufen. Insofern passen Chaosbay sehr gut in die heutige Zeit.
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