laut.de-Kritik

Kacken Sie bitte neben die Blumen.

Review von

Konfrontiert mit der Insane Clown Posse verzweifelt man schnell. Alle, die sich nun erwartungsfroh zurück lehnen und sich auf hämisches Nachbohren des Kalibers "Fuckin' magnets - how do they work?" nebst empörtem Aufschrei ob der - vermeintlich - inhaltsleeren, dafür aber bluttriefenden Texte freuen: In! Yo! Face!

Existiert eigentlich noch eine andere Crew, die so penetrant und unverschämt ignorant misszuverstehen sich eine breite Öffentlichkeit offenbar mit aller Gewalt entschlossen hat? Woher kommt nur all der Hohn, die Verachtung, die blindwütige Ablehnung? Warum haben sich all die selbsternannten Sittenwächter und Genrepolizisten ausgerechnet die Insane Clown Posse als Paradebeispiel für tumben, jugendgefährdenden Brutalo-Rap ausgekuckt?

Ich verstehs nicht - und kopfschüttele mir schon wieder ein Schleudertrauma zusammen. Kritiker, die diese Punkte ins Feld führen, können noch nicht einmal einen flüchtigen Blick auf das Schaffen der Clowns geworfen haben. Oder aber es fällt schlicht zu komplex für ihren zwergenhaften Verstandeshorizont aus. Dabei springen einem die positiven, teils geradezu philosophischen Botschaften eigentlich im Rudel mit den nackten Hintern voran ins Gesicht. Ich extrahiere dennoch für alle Fälle die Kernaussage von "The Mighty Death Pop!": "This is your life, you better respect it." Wie plakativ braucht ihr es noch? Was sollte daran verwerflich, verachtenswert oder dumm sein?

Was genau ist unsinnig, hohl, menschenverachtend an dem ganzen "Joker's Card"-Konzeptalben-Konzept, zu dem mir weder in der Hip Hop-Geschichte noch in der ganzen Musikhistorie ein vergleichbar durchdachtes, auf ähnlich lange Sicht angelegtes und zugleich so moralisch einwandfreies Projekt einfällt? Erklärt es mir, bitte. Ich höre - und erzähle meinerseits so lange ein wenig über die jüngste Trumpfkarte aus dem Ärmel der Insane Clown Posse.

Die erste Runde von sechs "Joker's Cards" war längst ausgespielt, die Sache eigentlich gelaufen. Violent J und Shaggy 2 Dope legen trotzdem nach, teilen inzwischen zum zweiten Mal aus. "Bang! Pow! Boom!" eröffnete 2009 die Fortsetzungsrunde. "The Mighty Death Pop!" erweitert den "Dark Carnival"-Mythos nun um eine weitere Dimension.

Man muss schon mit zwei ausgestochenen Augäpfeln auf das Geschehen blicken, um die Texte auf "The Mighty Death Pop!" als marktschreierische Aufrufe zum blutrünstigen Berserkieren durch die Nachbarschaft fehlzudeuten. Shaggy und J erzählen viel mehr Geschichten von gepeinigten, geschundenen, teils schlicht kranken Gemütern unter Druck und davon, was passiert, wenn sich dieser Druck entlädt.

Wenngleich man das der Insane Clown Posse zweifellos wieder in die Schuhe schieben will: Niemand, der nur halbwegs alle Tassen im Schrank hat, wird nach dem Genuss von "Night Of The Chainsaw" mit Holzfäller-Equipment durchs Viertel marodieren. Niemand wird des Nachbarn Wohnzimmer, wie "Bazooka Joey", mit einem Raketenwerfer vergrößern oder nach "Shooting Stars" ernsthaft ein Attentat auf Chris Brown planen - auch wenn viel Schönes in der Vorstellung (!) steckt, dass dieser dreckige Frauenschläger, anstatt von den Medien ungebrochen den Arsch geküsst zu bekommen, zur Abwechslung einmal eine angemessene Quittung für sein Handeln kassierte.

Was weite Teile von "The Mighty Death Pop!" so ungemein gruselig macht: All die ausgebreiteten Schreckensszenarien liegen - gerade in einer waffenstarrenden Gesellschaft wie der US-amerikanischen, wo Papi neben den Crack-Brocken vermutlich tatsächlich die Knarre im Schrank stehen hat - so nah. Die Linie, die geistige Gesundheit vom Wahn trennt, ist haarfein, der Übergang fließend. Die Verrücktheit kann jeden Moment über uns hereinbrechen. Jederzeit.

Das belegt schon die überaus beklemmende Vertonung der Geschichte des kanadischen Wrestlers Chris Benoit: Er tötete eines Freitags im Jahre 2007 im Streit seine Frau, tags darauf seinen siebenjährigen Sohn und erhängte sich am Sonntag, nachdem er diverse kryptische SMS an seinen Wrestlingverband abgesetzt hatte, in seinem Keller. Die schockierendsten Storys entspringen niemals irgendjemandes schräger Phantasie. Die schreibt das Leben.

Um so wichtiger ist es, sich der Endlichkeit seiner Existenz bewusst zu sein, sein Handeln zu reflektieren und sich verdammtnochmal um sein Seelenheil zu sorgen. "Catch wisdom, try to gain brains", denn es stimmt doch: "Happiness is in your head." Das erklärte Ziel: "No regrets when my death goes pop."

Statt sich angesichts hässlicher Umstände in Verzweiflung zu verlieren, gilt es, die kleinen Dinge wertzuschätzen - das Gänseblümchen im Trümmerfeld, den Regenbogen über der Hood, die Magie des Alltags. Klingt kitschig? As fuck! Aber so ist es doch: "How much positivity are you blind to? Only live once I'll remind you / So we make the best of good times, we stuck on play, we can't rewind."

Klar lösen Shaggy 2 Dope und Violent J mit "Where's God?" nicht im Vorbeigehen die Theodizee-Frage, an der Theologen seit Generationen herumnagen. Selbstverständlich kann man ihre Erkenntnisse und Tipps als banal brandmarken. Das macht sie aber weder weniger wahr noch weniger wirkungsvoll.

Das große Kunststück der Insane Clown Posse besteht ohnehin darin, dass sie ihre Moral - und es gibt immer eine, lasst euch bloß nichts anderes erzählen! - nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Die Platten machen schlicht einen Scheißspaß. "Party is what you chose", und ihr kriegt sie - Faygo-Fontänen inbegriffen.

Die Fan-Gemeinde bekommt schon allein, was die Aufmachung betrifft, ein Mörderpaket geboten. "The Mighty Death Pop!" erscheint in drei Ausgaben mit jeweils unterschiedlicher Bonus-CD: Die Version mit dem weißen Cover birgt eine Remix-Platte von Produzenten Mike E. Clark, für die unter anderem Ice Cube, die Swollen Members, die Three 6 Mafia und die Geto Boys vorbei schauen. In der roten Ausgabe steckt das Cover-Album "Smothered, Covered & Chunked", die schwarze birgt zusätzliche "Freaky Tales".

Wer ein bisschen aufgeschlossen und mit der nötigen Ironie bewaffnet an die Sache herantritt, muss vor der Frechheit, mit der das Duo Rockgitarren, Country, Boogie-Woogie-Revue-Sound, Kirmes-Klänge und schauderhaften Mainstream-Hippie-Pop unterschiedslos umarmt, andächtig auf die Knie sinken. Nicht umsonst samplet der Titeltrack stimmig Hot Chocolates "Everyone's A Winner".

Zu den ausgefuchstesten Technikern werden die Clowns nie gehören. Das fällt besonders ins Auge, wenn sie sich für "Skreeem!" neben Hopsin ausgerechnet Maschinengewehr-Maul Tech N9ne ins Boot holen. Ist aber egal: Überspanntheit bis hin zum ausgewachsenen Irrsinn und mitgröl-taugliche Hooklines wiegen fehlende Skills meistens mehr als auf.

Wer das immer noch anders sieht, kann gerne seine Rosinchen kacken gehen - aber bitte neben die Blumen. Die übrigen treff' ich ohnehin irgendwann, beim größten Juggalo-Gathering von allen: "We just wanna see us all together / After forever / Off in Shangri-La."

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. The Mighty Death Pop
  3. 3. Night Of The Chainsaw
  4. 4. Chris Benoit
  5. 5. The Blasta
  6. 6. Kickin' Kickin'
  7. 7. Bazooka Joey
  8. 8. Shooting Stars
  9. 9. Juggalo Juice
  10. 10. Hate Her To Death
  11. 11. Skreeem! feat. Hopsin & Tech N9ne
  12. 12. Ghetto Rainbows
  13. 13. When I'm Clowning
  14. 14. Dog Catchers
  15. 15. Daisies
  16. 16. Where's God?
  17. 17. Forever

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LAUT.DE-PORTRÄT Insane Clown Posse

Sie gelten als eine der meistgehassten Bands der Welt. "Pubertär, primitiv, gewaltverherrlichend!", krakeelen ihre Gegner - und haben nicht genau hingesehen.

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