laut.de-Kritik

Ein rauschendes Fest im Gewand eines Debütalbums.

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Kaum merklich pirscht es sich heran, das vibrierende Reverb, das Toys Debütalbum eröffnet. Man muss die Anlage schon aufdrehen, um es überhaupt gebührend wahrnehmen zu können. Die nur Sekunden währende Hinführung in den ersten Song, der sich zu einem zwischen Halbtönen tändelnden Rausch auswächst, lässt erahnen, woraus sich die Quintessenz der Platte zusammenfügt: verhallte Gitarren, unbestimmt mäandernde Synthieflächen, dominante Basslinien, stoisch gleichmütiger Gesang.

Auf den ersten Blick mag "Toy" das mehr oder weniger klassische Schema eines Debüts vieler junger Non-Mainstream-Bands erfüllen: Gegründet vor zwei Jahren, folgt den Monaten auf kleinen Clubbühnen die Veröffentlichung des ersten Songs, den Web-Trendradare im UK jubelnd auf den Schirm nehmen. Man kommt beim Indie Heavenly Records unter Vertrag und nimmt den ersten Longplayer auf - 12 Songs, selbstbetiteltes Album, Vorabsingle mit schickem Video.

Dabei ist das Erstlingswerk von Toy alles andere als konventionell. Ausufernde, experimentell progressive Zwischenparts und geräuschhaftes Spielen mit der Effektbox erschaffen eine schummrig psychedelische Atmosphäre, die sich wie ein schwerer Teppich über die Stücke legt. Schemenhaft treten hier und da einzelne Instrumente aus dem Soundnebel hervor und wieder hinein. Tom Dougalls Gesang verschwimmt in dichten Klangschichten, Stimmen und Worte fließen ineinander. Allem haftet etwas Entrücktes an.

Ist der Opener ein schallend brausendes Saitenfest voller Widerklang und neben der Spur schlängelnden Nebentönen, besticht der Folgetrack durch seine geradezu harmonietrunkene Tonsprache. Der Synth-Refrain, der, aus seinem Kontext entnommen auch die Drombuschs anmoderieren könnte, klingt gerade deshalb so verdammt catchy und umschließt den Song wie eine Klammer.

Ähnlich euphonieverliebt zeigt sich die Band auf "My Heart Skips A Beat". Herzschmelzender Pop, Pathos im Gewand von Indierock, liebesleidender Shoegaze, all das mit glockenhellen Arpeggios, Streicherklängen und den sonor melancholischen Lyrics angefüllt.

Ohnehin beeinflusst der polyphone Vintage-Synthesizer, ein Korg Delta aus den 70ern, die Richtung des Toy-Sounds wesentlich. Seit Alejandra Diez ihn bedient, ist er das bescheidene Kernstück der Arrangements. Das hat nicht zuletzt auch substantielle Wirkung auf das Songwriting.

Flächig, melodieselig und sinfonisch fallen die Stücke der Briten aus. Fließende Überleitungen und berauschende Mehrstimmigkeit verweisen auf die Nähe zum Postrock und dadurch auch zu Elementen klassischer Musik. Die Band nimmt sich Zeit, ihre Songs langsam zu entwickeln. Repetitive Rhythmusmuster und stete Wiederkehr von Motiven bewirken einen Zustand leicht besäuselter Trance, in den sich der Hörer gern fallen lässt. Man fühlt sich ein wenig benommen, als wäre man unter Wasser, in Watte gepackt.

Strophe-Refrain-Strukturen sind zwar vorhanden und befördern einen leichten Zugang, verwischen jedoch oftmals unter der Dichte von Instrumentierung und Partitur. Frühe Elektronika der 70er ist dabei ebenso Referenzpunkt wie der Postpunk von Joy Division.

Frönen Toy auf "Dead & Gone" mit seinen verwaschenen Gitarren und dem gleichförmig pulsierenden Krautrock-Beat noch der dezenten Koketterie mit Laut-Leise-Dynamik, hallen auf "Lose My Way" metallisch verfremdete Chorstimmen-Samples im Hintergrund. Mittelstück bildet das gesanglose "Drifting Deeper", das den Hörer unter dunklem Wummern und üppigem Feedback dröhnend in den Abgrund zieht.

Artwork und Sound konstituieren ein kohärentes Ganzes, ähnlich wie auch die Platte als Gesamtwerk funktioniert. Die Songs, wenn auch jeder seine eigene Geschichte erzählt, verschmelzen ineinander, wodurch das Album eine einnehmende Dramaturgie entwickelt. Zugleich bietet es eine Vorstellung von der Vehemenz, die Toy offenbar auf der Bühne transportieren - Konzerte in der Heimat sind stets bestens besucht bis ausverkauft.

Den entsprechend furiosen Abgang bietet "Kopter": Eine fast zehnminütige Melange aus prägnant galoppierender Bassline, unscharfem Gitarrentaumel, vagen My Bloody Valentine-Momenten und stakkato-artigem Kugelhagel aus Perkussion und Saitengefecht, das in Wiederhall und Distortion endet. Es lärmt und tost, haucht und wispert, heult und windet, am Ende genauso wie am Anfang genauso wie dazwischen. Ein rauschendes Fest im Gewand eines Debütalbums.

Trackliste

  1. 1. Colours Running Out
  2. 2. Reasons Why
  3. 3. Dead & Gone
  4. 4. Lose My Way
  5. 5. Drifting Deeper
  6. 6. Motoring
  7. 7. My Heart Skips A Beat
  8. 8. Strange
  9. 9. Make It Mine
  10. 10. Omni
  11. 11. Walk Up To Me
  12. 12. Kopter

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11 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Was zählt, ist der Vortrag. Wenn man keine Stimme wie Heidi Klum hat und die Lyrics auf eine ergreifende Art und Weise vortragen kann, bringt das in der Wirkung sehr viel mehr als eine langjährige Gesangsausbildung oder eine perfekte Intonation. In Zeiten von DSDS sieht man das freilich anders.

  • Vor 11 Jahren

    Mich erinnert die Stimme an bisschen an New Order, obwohl die Musik natürlich nichts damit zu tun hat. Ich find sie jedenfalls nicht schlimm, aber wie du sagst, ist das eine subjektive Sache. Und was Ragism sagt stimmt natürlich; es gibt haufenweise geile Bands deren Sänger nicht im klassichen Sinn gut singen können. Ein Urteil über Toy erlaub ich mir jetz mal noch nicht, kenn erst zwei drei Songs von YouTube.

  • Vor 11 Jahren

    Die hören sich an, als seien im Proberaum öfters mal The Horrors, was den Soundnebel betrifft: hier und da auch mal HEALTH, gelaufen...