Es geht der Mythos, der Begriff Krautrock gehe auf Amon Düüls LP "Psychedelic Underground" zurück. Darauf befindet sich ein Stück mit dem Titel "Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf". Dieser wiederum soll den britischen Radiomoderatoren John Peel zur Wortschöpfung Krautrock inspiriert haben. Gesicherte Fakten zu dieser Überlieferung gibt es nicht.

Unumstößlich wahr ist jedoch die Tatsache, dass der Begriff Krauts aus dem zweiten Weltkrieg stammt und eine geringschätzige Bezeichnung für deutsche Soldaten darstellt. Ebenso wahr ist, dass Krautrock Ende der 60er, Anfang der 70er seine Geburt feiert. Und ebenfalls wahr ist, dass Amon Düül daran in erheblichem Ausmaß beteiligt sind.

Der erste schriftliche Beleg geht indes auf die Hamburger Band Faust zurück. Sie veröffentlichte 1973 eine LP, deren Eröffnungstrack "Krautrock" heißt. Ihr Label Virgin übernimmt daraufhin den Begriff als Genrebezeichnung für psychedelisch angehauchten, deutschen Art-Rock.

Womit wir mitten im Zentrum des Themas wären. Psychedelisch ist das Wort der Stunde. Für eine gehörige Portion Bewusstseinserweiterung lassen sich die Krautrock-Musiker gern von toxischen Substanzen inspirieren. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf den musikalischen Output. Mal davon abgesehen, dass man sich auf LSD fühlt, als sein man das Zentralsexualorgan des Universums, erhöht Lysergsäurediethylamid auch das Kreativitätspotential um sagenhafte 980%.

Kein Wunder also, dass just zu der Zeit, als alle halbwegs zeitgemäßen Heranwachsenden und jungen Erwachsenen Timothy Leary lesen, sich eine Musik Bahn bricht, die das Potential der Bewusstseinserweiterung voll auszuschöpfen weiß.

In anderen Ländern werden diese tonalen Orgien Art-Rock genannt und von Ikonen wie David Bowie, Yes oder Pink Floyd zelebriert. International etabliert sich Krautrock als Gattungsbezeichnung für Art-Rock deutscher Herkunft. Hier wie da ist das entscheidende Erkennungsmerkmal die Neigung zu komplexen Songstrukturen und eine Affinität für die damals neuartige synthetische Klangerzeugung.

Die dazugehörigen Band schießen wie Psilocybin-Pilze aus dem Boden. Ganz oben mit dabei: Can, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, Embryo, Guru Guru, Hölderlin, Kraan, Kraftwerk, Cluster, Neu! und Popol Vuh. Allen gemeinsam ist zwar die geografische Herkunft, die verwendeten musikalischen Zutaten sind jedoch recht unterschiedlich und kennen keine Grenzen. Jazz, Rock, Elektronik, Avantgarde ... erlaubt ist, was gefällt. Und Gefallen findet neben der musikalischen Innovationsfreude auch die politische Positionierung: Links schlägt das Herz, wie es Ton Steine Scherben in ihren Texten deutlich auf den Punkt bringen.

Trotz allem verklärt auch dieser Versuch einer Genrebeschreibung im Nachhinein etwas die Tatsachen. Denn lange Zeit war Krautrock eher ein Sammelbegriff und geringschätzig gebrauchter Ausdruck für alles was teutonisch, also hölzern und sperrig, vor sich hin stampfte. Alles Deutsche war Kraut! Die Intellektuellen bevorzugten seinerzeit zwar Bands wie Amon Düül, Faust oder Kraan. Aber auch handfeste Rock-Gruppen wie Jane oder Birth Control wurden unter diesem Label abgefeiert. Erst später und im nachhinein bezeichnete man die experimentelle Abteilung deutscher Rockmusik als Krautrock.

Mitte der 70er endet der Krautrock-Boom so spontan wie er begann und es dauerte zwei Jahrzehnte, bis man sich der damaligen Qualitäten erinnert. Denn "seit sich viele Techno-Musiker in der zweiten Hälfte der 90er auf die Experimentierlust der Krautrocker berufen und man auch hier zu Lande wahrnimmt, welch großen Einfluss diese Musik im Ausland hinterlassen hat, erlebt der Krautrock eine Renaissance. Genährt wird das Revival von diversen Wiederveröffentlichungen alter Platten auf CD: Repertoire veröffentlichte schon 2001 die ersten Amon-Düül-II-Platten wieder, Neu! erfuhren auf Herbert Grönemeyers Groenland-Label eine liebevolle Wiederveröffentlichung, in diesem Jahr startete SPV eine Serie mit Wiederveröffentlichungen des Popol-Vuh-Katalogs", beschreibt Stern-Autor Markus Schwarz das Geschehen. Abgerundet wird das Revival durch Remix- und neue Alben. Kraan positionieren sich mit "Through" (2003) und "Psychedelic Man" (2007) erneut am Krautrock-Himmel. Die dazugehörigen Live-Auftritte von Hattler und Konsorten lassen nicht nur die Herzen von Alt-Hippies höher schlagen.