laut.de-Kritik

Das progmetal gewordene "Bohemian Rhapsody".

Review von

Bereits seit 2019 arbeiten die britischen Progmetaller von TesseracT am Nachfolger von "Sonder", das, kaum zu glauben, auch schon wieder fünf Jahre auf dem Buckel hat. Wie beim Vorgänger packen sie einen thematischen Überbau obendrauf, der sich um Angst dreht, die direkt von den Auswirkungen der Covid-Pandemie her rührt, die die Band ausbremste. So zumindest Bassist Amos Williams.

Wenn man so lange an einem Projekt arbeitet, wirft das mitunter auch opulentes Material ab. Im Falle der Engländer heißt das, dass sie zusätzlich zu den neun Songs auf "War Of Being" dem Titeltrack ein episches elfminütiges Video spendierten, in dem zwei Samurai vor einer apokalyptischen Kulisse miteinander kämpfen, und es am Ende sichtbar keinen Gewinner gibt. Zum Release des Albums folgt mit dem "Clip" zu "Legion" ein weiteres audiovisuelles Spektakel, das - je nach Interpretation - "Solaris"-, "Alien"- oder "2001"-Vibes atmet. Begleitend dazu spielt in einem fiktiven 'Strangeland' ein Videospiel, das sich um die Musik des Quintetts dreht. Kostenpunkt: schmale 5,90 Euro.

Das Motto 'nicht kleckern, sondern klotzen' durchzieht denn auch das komplette Album. Es hat den Anschein, als wollten die Herren nichts weniger, als die ultimative Progrock-Oper auf die Beine stellen. Zumindest deutet dies der epische Titeltrack an, der den Hörer auf derbe Achterbahnfahrten schickt und andeutet, wo sich die Musiker selbst verorten: quasi das progmetal gewordenes "Bohemian Rhapsody".

Mit Polyrhythmik alleine ist es dann auch noch nicht getan. Es muss die große Geste sein und von allem etwas mehr mit rein. Der Eintopf, der nach dem Köcheln herauskommt, beeindruckt dann auch. Melodien zuhauf, immer wieder Aggro-Riffs, und über allem thront die Stimme von Daniel Tompkins, der Anno 2023 alles, aber wirklich alles aus seinem Organ herausholt. Seine Varianz kommt dem Klang-Gerüst der Band nur zugute. Vor allem das Highlight "Legion" beeindruckt in dieser Hinsicht, auch wenn der Neunminüter nicht ganz an die Klasse von "Juno" heranreicht.

Mit "Sirens" schleicht sich im hinteren Teil der Trackliste noch ein überaus schönes Kleinod ein. Das Stück baut sich mit Konserven-Beats auf, die Tompkins schön umrumpeln. Sanft angeschlagene Gitarrenklänge umgarnen die Gesangsmelodie. Dann wartet man auf den Breakdown, damit die typische TesseracT-Post abgeht, aber nix da. Alles verharrt in melancholischen Balladen-Gefilden. Das dürfte wohl der gefühlvollste Moment der Bandgeschichte sein und ein potentieller nächster Single-Kandidat.

Was die Rhythmus-Gruppe anbelangt, bleibt noch zu konstatieren, dass Basser Williams wieder mit hübschen Slap-Einlagen die Songs veredelt. Was den Sound des Schlagzeugs betrifft, muss man sich fragen, ob es irgendwo ein Preset mit Schlagzeug-Sounds gibt, mit denen man jede Band produziert, die irgendwo etwas mit 'Djent' zu tun hat. Das klingt mitunter wirklich furchtbar, am Können von Jay Postones lässt sich aber nicht mäkeln.

TesseracT klingen 2023 so, wie man es von einer modernen Progmetal-Band erwartet. Das Material gibt sich ambitioniert und wirkt in seiner Gesamtheit auch erstklassig umgesetzt. Der ganz große Wurf ist es letzten Endes zwar noch nicht geworden, aber das wird schon noch, wenn der Fünfer so weiter macht.

Trackliste

  1. 1. Natural Disaster
  2. 2. Echoes
  3. 3. The Grey
  4. 4. Legion
  5. 5. Tender
  6. 6. War Of Being
  7. 7. Sirens
  8. 8. Burden
  9. 9. Sacrifice

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 7 Monaten

    'kleckern statt klotzen'
    Wirklich, nicht eher andersherum?

  • Vor 7 Monaten

    Progmetal?
    11-Minuten-Video mit Samurai?
    9 Tracks und eine Spieldauer von exakt einer Stunde?

    Bin ein bisschen geil und werde das mal zeitnah anhören :)

    • Vor 7 Monaten

      War dann nach dem ersten Durchlauf leider doch eher ernüchtert :(

      Wirkt super (zu?) clean produziert auf mich und alles irgendwie "künstlich", ohne echtes Gefühl. Schade.

  • Vor 7 Monaten

    "Was den Sound des Schlagzeugs betrifft, muss man sich fragen, ob es irgendwo ein Preset mit Schlagzeug-Sounds gibt, mit denen man jede Band produziert, die irgendwo etwas mit 'Djent' zu tun hat."

    Also ich finde den Drumsound toll aber das ist natürlich Geschmackssache und es stimmt schon, seitdem Nolly Getgood mit seinen Produktionen dem Genre seinen Stil aufgedrückt hat, klingen die Drums bei den guten Bands ziemlich ähnlich. Für mich klingt das aber fett und nicht "mitunter wirklich furchtbar", so müssen Drums in dem Stil eben klingen :)
    Darüber hinaus ist die Produktion großartig geworden, etwas leiser dafür aber viel Dynamik, großartig ist auch das Albumcover, ihr bestes bisher.

    Leider gilt das für die Songs nicht so ganz, denn auch, wenn ich das Album bisher ganz gut finde, berührt mich das irgendwie nicht mehr ansatzweise so wie die ersten drei Alben der Band. Es ist schon noch gut aber irgendwie läuft das ziemlich an mir vorbei und nach mehrmaligem Hören ist es fast so, als würde ich das Album immer wieder zum ersten Mal hören.

  • Vor 7 Monaten

    Tesseract das perfekte Beispiel einer Band die wirklich was was auf dem Kasten hat, aber trotz dieses Könnens nichts vorzuweisen, das auch nur einen Hördurchgang hängenbleibt.