laut.de-Kritik

Aufgeplustert wie sächsische Vögelchen während der Paarungszeit.

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Für ihr mittlerweile fünftes Studioalbum haben Silbermond erstmals ihre Wahl-Heimat Berlin verlassen und sind über den großen Teich bis ins ferne Nashville geflogen. Dort sollten die zwölf in der Hauptstadt entstandenen Songs nicht nur aufpoliert, sondern auch aufgenommen werden.

Das hat auch alles wunderbar geklappt. Und glaubt man den Worten der Verantwortlichen, dann ist in der Stadt der Musik das bis dato "wichtigste" und wahrscheinlich auch "beste" Album der Band entstanden. Das kann ja nun auch nicht so schwer gewesen sein, hört man die Massen schreien. Schließlich könne man die ersten vier Silbermond-Alben getrost in die Tonne stecken, so der Hater-Mob.

Sicher, Erfolge hin, Erfolge her: Es fällt nicht schwer, Verständnis für all die Gegner der Band aufzubringen. Man selbst bekommt ja auch die Krise, wenn im Radio so überzuckerte Deutschpop-Drops wie "Symphonie", "Das Beste" oder "Krieger Des Lichts" gespielt werden. Nach knapp drei Minuten Spielzeit nicke ich plötzlich anerkennend mit dem Kopf. Musikalisch lässt sich der Opener namens "Intro (Die Mutigen)" nämlich durchaus gut an.

Die unaufdringlich gezupfte Gitarre schwebt zunächst allein im Raum. Erst nach zwei Minuten gesellen sich Drums, Bass, sowie ein verzerrter Sechssaitersound hinzu. Weder künstlich aufgepimpt, noch ummantelt von gängigen Harmonien, die man bereits beim ersten Hören problemlos mitpfeifen kann. Ein durchaus musikalisch wertvolles Stück.

Auch der Versuch, das Fundament des James Bay-Hits "Hold Back The River" in hiesige Gefilde zu tragen, glückt ("Leichtes Gepäck"). Der amerikanisierte Rock-Pop, der nicht mehr viel mit den aufgedunsenen Mainstream-Produktionen der Vergangenheit zu tun hat, steht der Band erstaunlich gut zu Gesicht.

Das zwischen altem Nena- und The Cranberries-Glanz pendelnde "Indigo" lässt ebenfalls aufhorchen. Das Klangbild präsentiert sich ausgewogen und in sich stimmig. Sauber und unaufgeregt spielt die Band ihren Stiefel runter, der weder zwickt, noch allzu vergleichbare Spuren hinterlässt. Well done.

Hier und da ein Klavier ("Das Leichteste Der Welt", "Heut Hab Ich Zeit"), ein bisschen NDW-Dreck aus dem Archiv ("Lass Mal") und ein paar akzentuierte Streicher als Sahnehäuchen ("Fische Im Teich"): Die mit ins Reisegepäck geschmuggelten Soundzusätze lassen sich an einer Hand abzählen. Silbermond im Jahr 2015 gehen getreu dem Motto zu Werke: Weniger ist mehr. Und das kommt an; selbst bei einem skeptischen Hörer wie mir, der sich allerdings noch weit entfernt davon sieht, sich irgendwann mal als Fan der Band zu bezeichnen.

Warum? Nun, der respektable musikalische Background präsentiert natürlich nur eine Hälfte des Gesamtprodukts. Die andere gehört Stefanie Kloß. Und die "The Voice"-Jurorin jault, quengelt und seufzt sich mal wieder um Kopf und Kragen. Die mit den guten Geschichten seien immer die Mutigen, näselt sie zu Beginn des Albums ins Mikrofon. Es braucht allerdings drei Durchläufe, ehe man sich sicher ist, dass man auch alles richtig verstanden hat. Jede zweite Silbe wird langgezogen wie ein Kaugummi. Es geht hoch und runter. Wahlweise himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt krault sich das hyperemotionale Organ der Sängerin durch einen blubbernden Poesiesumpf.

"Das Eis ist dünn, du gehst aufs Eis", und "Wenn ich noch das Netz such', suchst du schon das nächste Seil" sind Bautzener Mutmacherplattitüden, wie man sie kennt. Aufgeplustert wie ein sächsisches Vögelchen während der Paarungszeit stolziert Frau Kloß über watteweiche Reimlandschaften. Applaus für jene, die sich danach trauen, vom Einmeterbrett zu springen. Menschen mit größeren Hürden vor der Nase hingegen bleiben im Regen stehen.

Ähnlich plump werden Themen wie Konsumsucht ("Leichtes Gepäck"), Alltagsstress ("Heut Hab Ich Zeit", "Lass Mal") und innere Ängste ("Allzu Menschlich") angegangen. Alles wird lieblich verschachtelt und in Zucker gegossen. Und drängelt sich dann doch einmal ein Text mit nachhaltigem Inhalt in den Vordergrund, muss man erst im Internet forschen. Irgendwo steht er dann geschrieben; der Text von "B 96", dem einzigen lyrischen Lichtblick des Albums. Hier geht es um die gleichnamige Bundesstraße, die der Band jahrelang auf ihrem Pendelweg zwischen Bautzen und Berlin treu zur Seite stand. Vier Minuten Heimat, die berühren. Nur versteht man leider kaum ein Wort.

Trackliste

  1. 1. Intro (Die Mutigen)
  2. 2. Leichtes Gepäck
  3. 3. B 96
  4. 4. Langsam
  5. 5. Indigo
  6. 6. Das Leichteste Der Welt
  7. 7. Heut Hab Ich Zeit
  8. 8. Lass Mal
  9. 9. Fische Im Teich
  10. 10. Allzu Menschlich
  11. 11. Himmel In Die Stadt
  12. 12. Zeit Zu Tanzen

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