laut.de-Kritik

Deutschrap-Game durchgespielt.

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Sido hat das Deutschrap-Game durchgespielt. Vom Bordstein zur Skyline, vom Untergrund in den Pop-Olymp - und nu? Der einzige Weg von hier aus, so lässt zumindest "Das Goldene Album" glauben, führt irgendwie zurück zu den Anfängen. Nach "Ganz Unten".

Sido wühlt also seine olle Maske wieder aus dem Schrank. Immerhin hat er sie inzwischen seinen aktuellen Einkommensverhältnissen angepasst, vergoldet und mit Biggies ikonischer Krone dekoriert. Sehr im Gegensatz zu der schauderhaften "Hypnotize"-Verballhornung "Siggi Siggi Siggi" lässt sich das als Hofknicks vor einem bewunderten Idol deuten. Oder, weniger respektvoll, als augenfälliges Zeichen von Größenwahn, egal! Beides gehört seit jeher dazu, zu dieser Mucke, wie die Beats und die Riesenwörter. Kann man machen.

So aufgebrezelt stellt sich Sido wieder zu den alten Kumpels an die Straßenecke, zieht wieder einen durch und erzählt uns wieder, wie das Leben ist. Ja, und das wirkt dann halt zur Hälfte befremdlich und zur anderen strunzlangweilig.

Unter 14 Tracks (das so beknackte wie überflüssige "Dachboden Skit" nicht mitgezählt) findet sich gerade ein einziger, der weder der einen noch der anderen Sorte angehört: ausgerechnet "Papa Ist Da". Mit Stücken, die Musiker an ihren eigenen Nachwuchs adressieren, kann man mich normalerweise quer durch die Republik scheuchen. Sido zitiert seine Söhne aber erfrischend unspektakulär und angenehm pathosbefreit zu sich: "Jungs, kommt ma' her, hört ma' zu." Die Lehren, die er weitergibt, fallen vielleicht nicht wahnsinnig revolutionär aus. Sie kommen aber hör- und spürbar von Herzen, von ganz tief drinnen.

Auch wenn vermutlich jeder Sohn auf diesem Planeten lieber in einer Güllegrube nach Mausefallen tauchen würde als ausgerechnet mit seinem alten Herrn über die Sache mit den Bienen und den Blumen zu sprechen, verdiente doch jedes Kind einen Vater, der es derart ernst und wichtig nimmt. Hätte jedes Kind so einen, die Welt wäre gewiss ein freundlicherer Ort. DJ Desue bastelt stimmige, leise bedeutungsschwangere Klaviermelancholie für die paternale, dennoch unverkrampfte Ansprache. Die samplet am Ende noch Xzibit: alles gut.

Leider bleibt dieser Eindruck die einsame Ausnahme. Der Rest, wie gesagt, befremdlich oder strunzlangweilig. In zweite Kategorie fällt das fortwährende Suhlen in einem echten Luxusproblem: Ja, Hip Hop ist längst Mainstream geworden. Das bedeutet (Himmel, muss man das wirklich erklären!): Er findet nicht mehr nur in feuchten Kellern und auf zugigen Hinterhöfen statt, sondern überall. Dass dann nicht mehr nur wenige kundige Kellerkinder und Hinterhofhomies ihren Senf dazu geben, sondern jeder und seine Mutter, das ist Teil des Preises, den die Popularität kostet.

Ja, die Berichterstattung über Hip Hop ist noch immer lausig, und das keineswegs nur in den Rap-fernen, sondern besonders auch in den eigenen Medien, was im Grunde noch trauriger ist. Ja, ich verstehe, dass das nervt. Genau wie die immer gleichen Themen, die immer gleiche Optik, die immer gleichen Posen und die immer gleiche Fan-Abzocke, die viel zu viele Vertreter der Rap-Szene ihrem Publikum wieder und wieder zumuten.

Trotzdem: Aus dem Munde eines arrivierten Popstars wie Sido, am besten noch im Chor mit seinem längst ebenfalls im Oberhaus mitspielenden Kollegen Kool Savas, klingt ein Lamento wie "Masafaka" doch schwer nach Mimimi. "Sie reden über Hip Hop", och, jööh! Das wolltet ihr doch einst, jetzt habt ihrs. Ja, viele tun es unqualifiziert, denen kann man getrost das Rederecht absprechen. Manche tun es kritisch, denen gleich mit, oder wie? Mir ist das alles viel zu weinerlich, außerdem um Längen zu selbstreferenziell.

Damit passt "Masafaka" aber wieder bestens zu dieser leidigen endlosen Nabelschau, in deren Würgegriff Rapjournalismus inzwischen schon seit Jahren herumröchelt. Berichterstatter berichten viel mehr über sich und ihre eigene Arbeit als über diejenigen, über die sie eigentlich berichten sollten. Nur logisch eigentlich, wenn die jetzt nur noch über die Rezeption ihrer Arbeit und ihrer Personen schwafeln, als etwas zu liefern, worüber es sich tatsächlich zu sprechen lohnte.

"Und die Kinder lernen Breakdance bei Detlef." Ja, und? Die Vorgängergeneration von Kopfnickern hat Breakdance bei Eisi Gulp gelernt, oder sich die Schritte bei Foto-Serien in der Bravo, der Pop Rocky oder ähnlichen Postillen abgeschaut und vor dem Kinderzimmerspiegel geübt. Das war auch nicht realer, aber Hip Hop hält das aus. Viel besser jedenfalls, als wenn sich seine Akteure selbst auf Klischees reduzieren und sich wundern, dass andere, am Ende noch Uneingeweihte, sie auf Klischees reduzieren.

"Wenn wir dann Rappersachen machen, sind sie angepisst." Oho. "Rappersachen", is' klar. Darunter fallen wohl auch Verzichtbarkeiten wie "Männaz Mit Vaginaz" oder "Ja Man", beide mit Beteiligung von Sidos Labelschützling Estikay. Der hat leider vergessen, irgendwie wissen zu lassen, mit welchem Alleinstellungsmerkmal er sich von der Flut als austauschbar und langweilig geschmähter Kollegen abzuheben gedenkt.

Sido rappt ansonsten über Rap und darüber, wie miss- und unverstanden Rapper doch allüberall sind. Keine anderen Sorgen? Schön. Aber halt strunzlangweilig. Einigermaßen befremdlich wirkt, wenn der Rap-Star plötzlich wieder wie früher am Autoscooter abzuhängen vorgibt und von "Ganz Unten" berichten will. "Alle Wege führen vom Regen in die Scheiße"? In dem Fall frag' ich mich doch, wie Sido da nur herausgefunden hat: "Auf jeden Fall bin ich stolz, denn ich brauch' bald ein neues Konto, das alte ist voll."

Schon ein bisschen ironisch, wenn so einer im nächsten Atemzug vom obdachlosen Säufer und dem "Alkohol" erzählt oder das Drama einer von Schulden gebeutelten Existenz auspackt, die glaubt, "Der Einzige Weg" heraus aus dem Abgrund führe in den Suizid (dabei lieferte ein Refrain von Mark Forster - wieder mit dem Tiefgang einer Reißzwecke in Stahlbeton - den weit plausibleren Grund dafür, sich dem Freitod an den Hals zu schmeißen).

"Striche Zählen", Reflektionen über den Alltag eines Gefängnisinsassen, kaufe ich Sido schon gar nicht (mehr) ab. Interessant aber, wie sich über die Jahre die Perspektiven verschoben haben: Statt wie einst Mittelfinger voran gegen die Staatsmacht zu wettern, ist das System plötzlich schon "okay", "einfach aus Prinzip, weil man nicht ungestraft Leute über den Haufen schießt". Zeiten ändern dich. Die Hook hier steuert Blut & Kasse bei. Im "Füchse"-Gedächtnis-Flow. Au, der Magen knurrt wie Sau.

Über Sidos Vortrag braucht man im Jahr 2016 wirklich keine Worte mehr zu verlieren. Variantenarm, weil technisch limitiert, war er schon immer. Bloß, dass er dieses Manko in grauer Vorzeit oft noch mit Hunger und Energie wettgemacht hat. War vielleicht auch eine blöde Idee, zwischen den "Goldenen Album"-Tracks immer und immer wieder "Strassenjunge" zu hören. Im Vergleich dazu kann das Zeug von heute einfach nur verlieren.

"Ich bin kein Gangster, ich bin kein Killer, ich bin kein Dieb", raunzte Sido uns damals ins Gesicht, und es riss' mit, weil es roh war, ungefiltert und ehrlich. Okay, und weil Tai Jason ein Brett von einem Beat druntergelegt hat. Die Produktionen auf "Das Goldene Album", sämtlich von Desue oder Sido selbst, entwickeln zwar nirgends auch nur ansatzweise vergleichbaren Wumms, zeigen aber auch kaum Ausfälle. Hübsch boom-bappig zuweilen, nur "Masafaka" wirkt ein bisschen lahm.

Nochmal zurück nach 2006: "Ich bin nicht grundlos böse, ich bin nur ein Junge von der Straße." Und heute? Heute ist Sido reich und satt und offenkundig auf der Suche nach einer frischen Minderheit, der er sich zugesellen kann. Drogenopfer, Straßenjunge, Bürgerschreck war er alles schon. Mit großem Trara gestand er (als sei etwas dabei) seine Herkunft aus Ostberlin, und das war offenbar nicht nicht das Ende des Randgruppen-Hoppings: "Ich bin ein Sinti von Kopf bis Fuß", gräbt er nun einen weiteren Teil seiner Familiengeschichte aus. Ach, guck!

So wahnsinnig viele Berührungspunkte mit dieser Kultur scheint er aber nicht zu haben. "Geuner" behauptet zwar: "Wir sind noch viel mehr als du uns unterstellst". Kredenzt dann aber (neben der ohnehin fragwürdigen Behauptung "Mein Blut ist meine Identität") haargenau die Vorurteile, die ohnehin schon kursieren: Diese Zigeuner! So musikalisch! Aber klauen tun sie halt doch alle.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Ganz Unten
  3. 3. Hamdullah
  4. 4. Masafaka
  5. 5. Geuner
  6. 6. Papa Ist Da
  7. 7. Der Einzige Weg
  8. 8. Striche Zählen
  9. 9. Dachboden Skit
  10. 10. Diese Mucke
  11. 11. Männaz Mit Vaginaz
  12. 12. Alkohol
  13. 13. Bljad
  14. 14. Ja Man
  15. 15. Siggi Siggi Siggi

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