laut.de-Kritik

Starke Ideen, kalifornischer Flair.

Review von

Großstadtleben und Reggae verbinden wir vielleicht nicht als klassisches Begriffspaar. Eher entstehen zu Reggae vor dem inneren Auge Bilder von Stränden und Inseln mit türkisblauem Wasser, oder wenigstens das "Haus am See", Open Air-Festivals und afrikanische Lehmhüttensiedlungen.

Bei Rebelution ist das anders. Wobei auch sie, der Sonne nicht gerade abgeneigt, in Kalifornien wohnen. Der Verträumtheitsfaktor ist hoch hier. Und könnte noch höher sein...

Mit "Free Rein" liegt nun das achte Album der Band vor, zählt man eine Album-Akustik-Version und ein – geniales – Konzert-Album ("Live At Red Rocks") mit. Sicher haben sie auch im Studio dieses Mal wieder Großartiges aufgenommen. Doch wir bekommen davon nicht alles zu hören. 43 Minuten, 36 Sekunden. Hier ist physisch noch Platz. Manches Ausspielen der guten Ideen, der ein oder andere Song in Überlänge wäre verzeihbar und sogar sehr begrüßenswert.

Die als Singles ausgekoppelten Stücke machen mich etwas teilnahmslos. Obwohl die Zutaten stimmen. "City Life" erzählt vom Abhauen aus dem Alltagsstress, der Luft, die man doch zum Atmen braucht. Nebenbei: Wer das mag, ist beim Konzeptalbum "Home Truths" (2002), einem Indiepop-Soft-Rock-Album der irischen Gruppe Pony Club auch gut aufgehoben, deren Sänger stimmlich mit dem Rebelution-Sänger Eric Rachmany korreliert.

Weiche Rockmusik spielt in der Stilistik von Rebelution sowieso eine starke Rolle. Und jetzt kommt der Haken, ein kleiner und leicht vermeidbarer Schönheitsfehler: die Abmischung. So gut die Zutaten auch sind, die Klangfarben von Stimme und Schlagzeug schwingen gerade in den Singles ("City Life", "Celebrate") nicht wie natürliche Schallwellen aus, wirken wie eingeklemmte, isolierte MP3-Spuren. Irgendwas stimmt da nicht. Zum Glück bekommen die Songs, je weiter man auf dem Album nach hinten klickt, zunehmend die Kurve und klingen frischer.

Frische ist ein gutes Stichwort: "Something different, something fresh, something brand new", unterbewusstes Gefühl von Kopf bis Fuß verlangen sie, auch "Passion" und "More Energy", "uplifted".So setzen sie es auch in "Healing" um, einer Hippie-artigen Folk-Reggae-Ballade, akustisch gezupft, zugleich etwas westafrikanisch im Sound. Atmet den Geist von Country Joe & The Fish (Woodstock 1969) und Counting Crows.

Das starke Intro zu "Take On Anything" ist der Welt des Jazz entliehen und würde sich sehr gut als Erkennungssignal einer Late Night-Talkshow machen. Eric Hirschhorn, der Saxophonist der Band, zählt zu den besten Bläsern im Reggae der 2010er-Jahre.

Dabei prägen Rebelution innerhalb ihres breiten Spektrums immer einen wiedererkennbaren Soundstempel in jeden Song ein. Einerseits Rock-Reggae – typisch für Kalifornien. Andererseits, als zweite Schattierung darüber gelegt: Bläserriff, eleganter Basslauf, ein wie an einem Jojo-Band aufgezogenes Keyboard, das elastische Schwingungen liefert – alles stark groovy!

Auch der Gesang taugt für einen eigenen Marken-Wiedererkennungswert: Die Stimme des Rebelution-Vokalisten klingt jung geblieben, etwas fordernd, direkt, forsch, hat aber auch etwas entspannt-Augenzwinkerndes. Besonders in "Trap Door" punktet der Sänger im eleganten Drum- & Saxophon-Umfeld. Solche Momente stellen zu Motown- oder Daptone-Soul-Sound manche gefühlte Verbindung her.

Und doch sind Frische und Freiheit - in den Texten noch zu Idealen ausgerufen - hier schüchtern versteckt. "Trap Door" zum Beispiel verschwindet bei Minute 4:44, nach einer instrumentalen Minute, mit einem Fade-Out zu früh von der Bildfläche.

Dabei entstanden beim Hören vielleicht gerade schöne Bilder im Kopf?! "Rastaman's Delight", ein Moment zum Zu-Sich-Finden bzw. Bei-Sich-Sein. Solche Momente sind das Wertvolle, und genau das macht den Unterschied zu anderen kalifornischen Rock-Reggae-Produktionen.

Es kommt ja auch super an: Rebelution haben in den USA bereits jahrelang Spitzenwerte in der Billboard-Hitliste erreicht. Fast alle ihre Longplayer seit 2009 kletterten innerhalb weniger Wochen auf Platz 1 der Dancehall- und Reggae-Album-Charts, zwei Vorgänger-Alben erreichten die Top 15 der allgemeinen Album-Charts.

Daher hätten sie sich hier mehr Improvisation leisten können. Etliche Songs blenden sich aus, gerade wenn's am schönsten und die Stimmung beim Zuhören übergesprungen ist - und dann, peng!, kommt plötzlich etwas anderes. Ich will keine Skizzen von Songs hören, sondern mich fallen lassen. Dafür hätten sie sich gerne von Track 9 trennen dürfen, dem einzigen "Füll"-Stück.

Und von "Settle Down Easy". Denn dort haben sie so viel Mühe hineingesteckt, dass der Song jetzt nicht easy, sondern kaputt produziert ist. Jamaika hat ein bisschen mitgemischt. Winta James, seines Zeichens als Produzent schon für Protoje tätig, organisierte für zwei Songs die legendären Tuff Gong-Studios in Kingston, textete, komponierte und feilte mit.

Genau den beiden zwischen Pazifik- und Karibikküste herumgereisten Songs merkt man auch an, dass man sie in vier verschiedenen Studios zusammen geschraubt hat. Andererseits steuerte der coole Don Corleon, auch er einst Produzent und Mentor Protojes, mit "Rise On Top" wohl den besten Tune hier bei. Der Gute kam netterweise nach L.A. zu Besuch.

In ihrer Heimat sind Rebelution mit "Free Rein" kommerziell erfolgreich. Die CD schoss aus dem Nichts auf die Eins der Reggae-Longplayer - trotz Konkurrenz von Sting & Shaggy und von Ziggy Marley.

Trackliste

  1. 1. Celebrate
  2. 2. City Life
  3. 3. Legend
  4. 4. Settle Down Easy
  5. 5. Take On Anything
  6. 6. Patience
  7. 7. Rise On Top
  8. 8. Trap Door
  9. 9. Good Day
  10. 10. Healing
  11. 11. More Energy
  12. 12. Constellation

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