laut.de-Kritik

Ein Kunststückchen - zwischen Riot-Grrrls und Dirk von Lotzow.

Review von

Als 2007 ihr Debüt "Her.Barium", ein schroffer Klotz aus Krachmacherei – je nach Perspektive dem Punk oder Grunge entlehnt - und angelesener Riot-Grrrl-Attitüde erschien, waren die Jolly Goods aus dem südhessischen Rimbach an der Seite der Blood Red Shoes aus Brighton zum neuen Pop-Phänomen hochgejazzt worden: Provinz-Rock - in essenzialisierter Zweierbesetzung und dem existenziellen Dreiklang aus Langeweile, Verzweiflung und Wut verschrieben.

Mit irgendeiner Leitthese musste man sich ja damals herleiten, dass ein Schwesternpaar, 16 und 19 Jahre alt, überhaupt Gitarre und Schlagzeug spielen konnte. Im aktuellen Musikexpress wird die Fährte zurück in den Odenwald noch mal etwas bemüht aufgenommen, obwohl beide Schwestern längst in Berlin-Neukölln wohnen und von der dortigen Künstlerbohème adoptiert wurden. Das ihnen Selbstbestimmung wichiger ist, als die Bindung ans Herkunftsmilieu wäre da nicht schwer zu erraten gewesen.

Für eine Splitsingle von Hans Unstern und Ja, Panik hat Sängerin und Gitarristin Tanja Pippi im vergangenen Jahr das Coverfoto geschossen. Mit dem virtuosen Folkkauz Unstern sind die Jolly Goods seit langem befreundet, er hat nun ihr zweites Album "Walrus" mitproduziert. Und von den Wiener Indie-Dandys Ja, Panik ist es nicht weit zum Berliner Produzenten-Mogul Moses Schneider, der das Debüt produzierte und wochenlang an der Mikrofonierung für eine kernige Liveaufnahme feilte.

Schneider dürfte auch den Kontakt zu Dirk von Lotzow hergestellt haben, "Walrus" ist für ihn die erste Arbeit als Produzent. Vor allem ist der Sänger von Tocotronic auch eine willkommene Referenz für die Bewerbung des Albums. All diese Berliner Bezüge hört man dem Album an, wenngleich auch nur stellenweise. Denn zunächst poltern die Jolly Goods mit "Black", "Travel" und "Try" los, als hätten sie jeglichen Rat all dieser guten Onkel konsequent ignoriert.

Wie Sleater Kinney auf ihren späten Alben haben auch die Jolly Goods vordergründig ihren Riot-Grrrl-Sound erhalten, klingen aber deutlich schwerer, dichter, akzentuierter. Tocotronics "Schall Und Wahn" ist da durchaus ein sonisches Vorbild. Auch Tanja Pippis Gesang fällt kontrollierter aus und ist doch nahe dran an der einstmals so kraftvollen Vibration einer Corin Tucker. Vor allem aber haben die Jolly Goods dann doch eine etwas andere Platte gemacht.

Das hört man schon beim an sich strengen "Failure", das im Zusammenspiel von Orgel und Schlagzeug nur spröde vor sich hin scheppert, sich dafür wie ein Portishead-Song über die starke Gesangsmelodie umso stärker entfaltet. In "Winter Bones" spielen die Jolly Goods dagegen eher noisigen Folkrock und man denkt an den Anarchismus einer Scout Niblett. Am Ende stimmen die Schwestern Tanja und Angy gar einen hymnischen Chorus an, in dem - wie überhaupt auf "Walrus" - Fragen der eigenen (Geschlechter-)Identität verhandelt werden: "We are not what we want to be."

Noch so ein Beispiel: Das trocken burlesque "If I Were A Woman", in dem es wohl Hans Unstern ist, der im Hintergrund die Zweitstimme singt. Es tut "Walrus" absolut gut, dass durch "The Lines" auch mal eine leichtfüßige Klaviermelodie weht, ehe die Jolly Goods in "The Sad Side Of The Tongue" Dream-Pop-Harmonien und bleiernen Noiserock gelungen kombinieren.

Das abschließende "Any Trays" zerlegen die Jolly Goods mit Geige, Cello und irrem Lachen – wie einst The Raincoats, die Mütter aller Riot Grrrls. Den Jolly Goods ist mit "Walrus" ein kleines Kunststück gelungen. Denn die Attitüde ist auf dem Album nur noch ein kleines bisschen stärker ist als die Songs. Bravo.

Trackliste

  1. 1. Black
  2. 2. Travel
  3. 3. The Trees
  4. 4. Failure
  5. 5. Thanks For Your Tip
  6. 6. Try
  7. 7. Winter Bones
  8. 8. The Lines
  9. 9. If I Were A Woman
  10. 10. Sad Side Of The Tongue
  11. 11. Freight Train
  12. 12. Any Trays

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"Some say I was a freak". Das Proklamat gleich mal zum Beginn eines Albums, da gibt es später weniger Missverständnisse. Verstärker aufgedreht, Verzerrer …

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