laut.de-Kritik

Weltschmerz, Baby, Weltschmerz!

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Der schönste Moment im Autorenleben ist folgender: Ein Künstler mit viel Potential, den man seit Jahren wohlwollend beobachtet, lässt den Knoten platzen und den Hammer kreisen. Bereits mit "Lovestar" gab Janosch Moldau die zwar ausbaufähige, dabei höchst verheißungsvolle Drama-Queen des Elektropop. Mittlerweile eliminierte der Ulmer kleine Restschwächen. Das neue Album "Minor" räumt von A bis Z ab und mag sogar manchen Genremuffel zum Fan machen.

Weltschmerz, Baby, Weltschmerz! Das war und ist die rote Linie, auf der er seinen musikalischen Weg beschreitet. Die größte Stärke Moldaus ist dabei sein in der Szene nicht gerade weit verbreiteter Individualismus und die künstlerische Eigenständigkeit. Während die meisten Kollegen aus Unvermögen oder Kalkül auf die ödeste aller Deppenkarten setzen - das Epigonentum - verfügt JM über viel Charisma und Identität.

Natürlich gibt es hie und da leichte, lediglich stilistisch bedingte Parallelen zu Ikonen à la Mesh oder Depeche Mode. Doch statt den Vorreitern auf ausgelatschten Pfaden zu folgen, hinterlässt er über eine Strecke von elf melodischen Tracks den eigenen Fußabdruck im Genre. Die Methode unterscheidet sich hierbei nicht sonderlich von "Lovestar". Das ist gut so, denn sie taugt viel.

Das Rezept lautet: Melancholie ja, aber keine weinerliche Jammerlappenkiste, sondern als erhabene Schamanenpredigt. 80er-Reminiszenzen ebenso, aber nicht als einfallsloses "Enjoy The Great Commandment"-Mashup. Viel lieber spannt er eine Klangbrücke zwischen Tradition und Moderne, die dem Heer retardierter Szeneclowns eine spöttisch lange Nase zeigt. Für den maßgeschneiderten, im Grundton sehr warmen Soundmantel holt Moldau sich die passende Hilfe ins Boot. Das Wiener Urgestein Gerhard Potuznik (Chicks On Speed, Mediengruppe Telekommander) erweist sich als perfekte Ergänzung mit ordentlich Elektro-Schmäh.

Auch die Texte sind deutlich intelligenter und poetischer als man es von der Musikrichtung gewohnt ist. Sie spiegeln Philosophie, Spiritualität und als Überbau die ebenso kritische wie sehnsüchtige Auseinandersetzung mit der göttlichen Instanz einerseits sowie dem sakralen Christentum andererseits. Das Hadern mit sowie das Ringen um den Glauben transportiert Moldau kongenial über fließende Gesangslinien. "We both feel minor inside. We both illuminate the night ... omnes sancti martyres."

Das seinen Vocals innewohnende leichte Pathos ist in jeder Sekunde präsent. Es fügt sich songdienlich ein und verrät den eigenen Anspruch nie durch verkitschte Sakropop-Soße. Dadurch bleiben die Stücke durchgehend angenehm pointiert, dramaturgisch ansprechend und erteilen jeglicher Tapetenmusik eine Absage. Das muss man erst mal schaffen.

Auch die melodische Kraft der Lieder ist erstaunlich. Schon im ersten Hördurchgang verströmen die allermeisten ihre nahezu magnetische Anziehungskraft. Spätestens nach dem zweiten Genuss findet der Hörer sich - gebannt von den komplexen Ohrwürmern - in Moldaus Hamsterrad of Song wieder. Stellvertretend für die hohe Qualitätsdichte sei das Titelstück "Minor" als Anspieltipp empfohlen, zu dem es auch ein ausdrucksvolles Video gibt. Eine Art Minimal-Futurepop trifft hier auf ein ebenso simples, wie effektives Gitarrenriff jenseits gängiger 08/15-Soundschablonen. Mit stolz gesungener Strophe und hypnotischem Refrain macht er das kontrastreiche Spektakel perfekt.

"Love is hard to find, if you feel minor inside", deklamiert Moldau wiederholt. Diese anmutige Platte jedoch braucht keinerlei Minderwertigkeitskomplexe. In ihre Schönheit kann man sich nur allzu leicht verlieben.

Trackliste

  1. 1. Done Wrong
  2. 2. Minor
  3. 3. State of Hurt
  4. 4. Minorum (Ordo Fratrum Minorum)
  5. 5. The Other Side
  6. 6. The Harbour
  7. 7. Jesus Denies [¿]
  8. 8. Shiner
  9. 9. Precious Life
  10. 10. Leave and Go
  11. 11. We Both Feel Minor

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 8 Jahren

    coole rezi. also, muss sagen, dass das schon irgendwie geiler scheiss ist. allerdings bevorzuge ich (mittlerweile) eher pures, ungefiltertes und totales elend. weltschmerz ist zwar auch ein schönes thema aber hat immer diesen leicht schalen "wohlstandskinder" geschmack :/ dennoch habe ich es die letzten tage vorm einschlafen gehört und man kann es sich gut geben. vor 15-17 jahren hätte ich das aber noch mehr gefeiert,

    • Vor 8 Jahren

      dank dir :)
      weltschmerz hat doch eigentlich nix mit "wohlstandsgetüdel" zu tun. für mich ist es immer eher die etwas poetischere schwester der "depression" und die etwas ausladendere geste als "melancholie".