laut.de-Kritik

Stolz? Etwa auf die Defragmentierung des eigenen Erbes?

Review von

Es gibt Witze, die verstehst du nicht auf Anhieb. Nur knapp entging ich im vergangenen Jahr dem redaktionellen Lynchmob, der mich angesichts meiner Nominierung des Guano Apes-Debüts für unsere Best-Of-Neunziger-Liste am liebsten mit Zement an den Füßen im Bodensee versenkt hätte.

Mit allen Crossover-Wassern gewaschen widme ich mich also dem Re-Recording-Massaker "Proud Like A God XX", von dem ich mir doch tatsächlich eine gewisse Aussöhnung erwartet hatte. Nicht, dass eine solche nach den gnadenlos anbiedernden Bügel-Pop-Rockern "Bel Air" und "Offline" noch sonderlich wahrscheinlich schien.

Dabei beginnt die eigentliche Odyssee schon beim Artwork: Was mit einem Quäntchen Selbstironie noch die gesamte Trash-Attitüde der Neunziger in sich vereinte, erinnert jetzt vielmehr an den hingerotzten Popartifzierungsversuch eines angehenden Mediengestalters im ersten Berufsschuljahrgang. Wenigstens ist das Cover ein ehrliches: Die Musik klingt so plastisch, wie ihre Verpackung erahnen lässt.

Ordnet man den ewigen Tanzflächenfüller "Open Your Eyes" samt Danko Jones-Feature noch in der Schublade netter Revitalisierungsversuche ein, entlarvt sich die ganze Chose spätestens auf der ehemaligen Powerballade "Rain" selbst: Wie auch die verbleibenden vier "God"-Songs zeugt der Track vom vergeblichen Versuch, diesmal alles irgendwie krampfhaft anders zu machen.

Während die Instrumentalisten Rümenapp, Ude und Poschwatta den Nu Metal in instrumentaler Hinsicht so gut wie möglich in die Gegenwart überführen, bemüht sich Nasić insbesondere in "Crossing The Deadline" und "Never Born" so sehr um artifiziell alternative Gesangslinien, dass "Proud Like A God XX" noch übler nach falscher Prätentiösität stinkt als jeder Limp Bizkit-Output nach "Chocolate Starfish".

Säuft "Get Busy" in seiner vermutlich irgendwie an Portishead orientierten Elektroausführung trotz nett schleppender Ansätze ab, ist es am ehesten noch "Never Born", das das zweifelsohne schon damals nicht wegzudiskutierende Pop-Potenzial der Apes noch am besten ausspielt. Ein Eigentor also, dass eine Schubidu-Nummer wie "Scapegoat" im Re-Recording keinerlei Beachtung findet.

Dass die Apes sich hier zwanzig Jahre nach Karrierestart als gestandene Berufsmusiker präsentieren, steht außer Frage. Nur schreit einem "Proud Like A God XX" nicht nur in den einzelnen Aufarbeitungen, sondern in seiner Gesamtheit die Frage nach dem Sinn dieses Releases entgegen, auf die es in seiner eigenen Planlosigkeit aber keinerlei Antwort parat hat.

Oder anders gesprochen: Dass Nasić inzwischen wesentlich stimm- und experimentierfester zur Sache geht, täuscht dann doch nur einen Durchlauf lang darüber hinweg, dass "verrockte" Coversongs wie Depeche Modes "Precious" im Refrain eher der Punk-meets-Pop-Aufarbeitung einer Schülerband aus den YouTube-Trends gleichen. Über Bowie(!)- und Eminem(!!!)-Tributes möchte man erst gar kein Wort verlieren.

Für alle, die wissen wollten, wie es klingt, wenn die Apes den Härtegrad wieder anschrauben: Das habt ihr jetzt davon. Letztendlich erliegt der Vierer einfach einer typischen Krankheit der so oft missverstandenen Neunziger. So mögen die Originalaufnahmen mit massig Vocal-Gescratche und Flangereinsätzen die Zeit ganz gut überdauert haben, die Kompositionen selbst altern dafür aber um so schlechter.

Muss man sie deshalb aber gleich gänzlich in Frage stellen? Ich habe mich ein letztes Mal mit Plateau-Sneakern und 97er-LP bewaffnet und sage: Man muss nicht.

Trackliste

  1. 1. Open Your Eyes
  2. 2. Lose Yourself (Eminem Cover)
  3. 3. Rain
  4. 4. Crossing The Deadline
  5. 5. This Is Not America (David Bowie Cover)
  6. 6. Never Born
  7. 7. Precious (Depeche Mode Cover)
  8. 8. Suzie
  9. 9. Get Busy

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