2. November 2022

"Wir haben keinerlei Rechte an dieser Musik"

Interview geführt von

Celtic Frost begründeten ihren legendären Ruf zwischen den Jahren 1984 bis 1987. In dieser Zeit veröffentlichten die Schweizer Düster-Metaller die drei Alben "Morbid Tales", "To Mega Therion" und "Into The Pandemonium".

Diese extrem kreative Schaffensphase der Band erhält nun durch die aufwändig gestaltete Box "Danse Macabre" eine weitere Würdigung. Im Interview mit Bandchef Tom G. Warrior blicken wir auf die wichtigsten Momente der Band zurück, die 2008 nach vielen Auf und Abs aufgelöst wurde.

Guten Morgen Tom, schön, dass du schon um 9 Uhr zur Verfügung stehst.

Ist nicht gerade die Rockstar-Zeit.

Hast du schon viele Interviews zur Box "Danse Macabre" gegeben?

Es waren schon ziemlich viele. Es ist erstaunlich, dass nach so langer Zeit immer noch so viel Interesse an dieser kleinen Band aus Zürich besteht.

Das ist doch bestimmt ein schönes Gefühl, oder?

Ja natürlich, das ist meine Geschichte und die Geschichte von mir und Martin (Eric Ain, 2017 verstorbenes Gründungsmitglied der Band, Anm. d. Red.). Und natürlich ist die Band extrem wichtig für mich und mein Leben. Als wir die Band gründeten, hätten wir keine Sekunde gedacht, dass man so viele Jahre später noch über Celtic Frost spricht.

Viele jüngere Bands haben das Ziel, groß rauszukommen. War das bei euch nicht so?

Ich bin nicht Gene Simmons, wir haben die Band nicht aus Geschäftsgründen gegründet oder um groß rauszukommen. Für Martin und mich waren Celtic Frost etwas extrem Persönliches. Es war das, was in uns drin war. Es war der Fanatismus, der uns verbunden hat. Schon zu Hellhammer-Zeiten haben wir uns mit einer kleinen Gruppe von Leuten im Proberaum getroffen. Das war einfach unsere Welt. Es war weder das Ziel noch hätten wir es uns vorstellen können, dass Celtic Frost größer werden und wir Schallplatten verkaufen. Dass dies später passiert ist, ist natürlich eine große Ehre, und wir haben es den Fans zu verdanken. Wir sind aber keine Amerikaner, wir machen das nicht als Show, sondern weil wir die Musik gut fanden.

Ihr hattet allerdings recht bald nach der Gründung 1984 den Amerikaner Reed St. Mark als neuen Drummer in der Band?

Reed kam nicht aus der Metalszene, was wir zunächst als Nachteil empfanden. Es hat sich aber als Vorteil herausgestellt, weil er eine ganz andere Herangehensweise in die Band brachte. Mit ihm klangen Celtic Frost anders. Das war zuerst schwierig, später hat es uns aber neue Horizonte eröffnet.

Wie kam der Kontakt zu Reed zustande. Er lebte damals in New York?

Wir haben monatelang nach einem neuen Schlagzeuger in der Schweiz gesucht. Damals gab es in der Schweiz keine nennenswerte Musikszene, schon gar nicht im extremen Metalbereich. Krokus war die große Schweizer Band. Alle lokalen Schweizer Bands versuchten Krokus oder AC/DC zu imitieren. Man fand niemanden, der bereit war, unsere Musik zu spielen. Deshalb begannen wir in Deutschland, England und Amerika via Metalblade Records zu suchen. Wir hatten einen Drummer aus Seattle im Visier. Dann haben aber Leute von unserem Schweizer Vertrieb Reed getroffen, der gerade in der Schweiz weilte, weil er bei einer kleinen Hardrockband spielte. Sie haben ihm gesagt, dass wir einen Drummer suchen. Bevor er in die USA zurückgeflogen ist, hat er sich in einem Plattenladen "Morbid Tales" angehört. Das ist hat ihn schockiert, aber auch sein Interesse geweckt. So kam es im Februar 1985 zu einem Vorspiel bei uns. Danach war ziemlich schnell klar, dass wir es zusammen versuchen müssen.

In den Interviews, die in dem Begleitbuch der Box zu finden sind, gibt es eine kleine Anekdote, wie du ihn mit Sack und Pack vom Bahnhof abholst.

In New York war er es gewohnt, mit der U-Bahn oder dem Auto zu fahren. Wir hatten aber kein Auto, wir haben jeden Cent in die Band gesteckt. Wir haben uns Marshall-Verstärker gekauft. Der Weg vom Bahnhof zu unserem Proberaum war ein ganz schönes Stück zu laufen. Das war schon kultig, echter Underground eben.

Warum gibt es die Veröffentlichung der Box? Von BMG gab es bereits 2017 die Re-Releases der Noise-Alben, und ein Jubiläum gibt es auch nicht zu feiern.

Da musst du BMG fragen. Es war deren Entscheidung, die Box rauszubringen. Es hat mich vor einem Jahr genauso erstaunt, als BMG mich darauf angesprochen haben. Martin Ain und ich haben keinerlei Rechte an dieser Musik. Wir haben damals von Noise-Rekords hundsmiserable Verträge bekommen, weil Noise wussten, dass wir unerfahren waren und kein Geld für einen Anwalt hatten. Noise haben uns ganz bewusst über den Tisch gezogen. Mittlerweile haben BMG in London die Rechte. Ich verdiene keinerlei Tantiemen an der Box. Ich rechne es BMG allerdings sehr hoch an, dass sie mir angeboten haben, künstlerisch an der Box zu kollaborieren. Ich bin der Artdirektor dieser Box. Es entspricht mir auch, dass BMG kein Jubiläum als Aufhänger genommen haben. Ein 25- oder 30-jähriges Jubiläum zu feiern, finde ich scheißlangweilig. Von mir aus, kann man eine Box nach 33,7 Jahren rausbringen. Sie muss einfach gut sein, darauf kommt es an. Meine Großmutter feiert ihren 75-jährigen Geburtstag. Für eine Extrem-Metalband ist das aber peinlich.

Bei den Re-Issues von 2017 hattest du dich beschwert, dass BMG deine Linernotes zensiert haben. Wieso hast du jetzt wieder mit der Firma zusammengearbeitet?

Ich bin seit 41 Jahren im Musikgeschäft. BMG ist eine sehr große, sehr professionelle Firma. Wenn wir zusammenarbeiten, findet das auf einem sehr hohen Niveau statt. BMG hört dem Musiker zu und arbeitet nicht gegen ihn, so wie es Noise-Records gemacht haben. Dass der Anwalt von BMG 2017 Bedenken hatte, weil ich sehr ungeschminkt die Geschichte von Noise-Records erzählt hatte, konnte ich aus juristischer Sicht verstehen. Ich wollte die Firma nicht in rechtliche Schwierigkeiten bringen. Mein Einwand bezog sich damals nur auf die Linernotes. Weil ich mich nicht zensieren lassen wollte, habe ich die Linernotes zurückgezogen. Die andere Zusammenarbeit mit Remastering, Artwork und so weiter lief sensationell gut ab. Deshalb habe ich mit BMG nach wie vor ein sehr gutes Verhältnis.

"Kunst muss auch mal anarchistisch sein"

Du warst der Artdirektor für die Box. Hast du bei der konzeptionellen Gestaltung auch im Hinterkopf gehabt, ob das alles auch Martin gefallen würde?

Zu jeder Sekunde. Das sage ich nicht, um sympathisch zu wirken oder Platten zu verkaufen. Ich habe den Martin an jedem Tag und zu jeder Stunde im Kopf, auch wenn ich nicht an einem Produkt arbeite. Ich denke auch, was würde Martin gefallen, wenn ich ein Tryptikon-Album (Tryptikon ist die aktuelle Band von Tom, Anm. d. Red.) mache. Martin und ich haben Celtic Frost zusammen gegründet. Die wahren Celtic Frost waren immer das Line-Up mit mir und Martin.

Warum ist das Cover vom "To Mega Therion"-Album anders gestaltet als das Original von 1985? Das klassische Celtic Frost-Logo steht am Rand außerhalb des Bildes, wie auch der Titel des Albums.

Das hat einen triftigen Grund. Als H.R. Giger (der Maler des Cover-Bildes, Anm. d. Red.) uns Ende 1983, Anfang 1984 die Rechte zusagte, sein Bild zu verwenden, hatte er nur eine Bedingung: Bitte versaut mein Bild nicht mit irgendwelchen Logos oder Schriftzügen. Das wollten wir auch tun. Noise-Records haben aber einfach kaltblütig das Logo reingesetzt, weil sie meinten, dass sich sonst die Platte nicht verkauft. Wir hatten damals als kleine Band nicht genug Power, das zu stoppen. 2017 habe ich das im Zuge der Re-Issues endlich korrigiert und das Cover so gestaltet, wie es damals Giger und wir wollten.

Wie kam eigentlich der Kontakt zu H.R. Giger zustande?

Schon als Teenager war ich begeistert von Gigers Kunst. Ich habe ihn durch meinen Vater entdeckt. Als ich Martin im Sommer 1983 traf, stellte ich fest, dass er auch von ihm begeistert war. Wir haben fabuliert, dass es fantastisch wäre, mit Giger zusammen zu arbeiten, wenn wir mal einen Plattenvertrag bekommen würden. Ich habe mich dann hingesetzt und Giger einen Brief geschrieben und ihm Hellhammer-Demos geschickt. Wir dachten natürlich, dass wir nie etwas von ihm hören würden. Zum meinem Erstaunen hat er mich angerufen. Daraus ist ein ziemlich intensiver Kontakt entstanden. Er hat uns dann die Rechte für das Bild, das wir für "To Mega Therion" verwendet haben, und noch ein anderes Bild gegeben. Wir waren so dankbar, dass wir gesagt haben: "Wir können das Bild nicht für das erste Celtic Frost-Album verwenden. Wir müssen als Musiker besser werden, um diesem Bild gerecht zu werden." Deshalb haben wir bis zum zweiten Album gewartet, weil wir das Gefühl hatten, dass unsere Musik ein Niveau erreicht hat, die einigermaßen neben diesem Bild stehen konnte.

In einer alten Rockhard-Rezi zu "To Mega Therion" stand sinngemäß, dass ihr für einige Leute immer noch die Garagenpunkband aus Hellhammer-Tagen und für andere längst die legitimen Venom-Nachfolger seid. Siehst du Celtic Frost in dieser Beschreibung gut getroffen?

Ich denke weder das eine noch das andere trifft zu. Venom brauchten keinen Nachfolger, die ersten beiden Alben sind legendär, da kann niemand ein Nachfolger sein. Die haben die ganze Welt verändert inklusive mein Leben. Natürlich waren Hellhammer eine Underground-Garagen-Punkband, doch zu Zeiten von "To Mega Therion" hatten wir uns bereits weiterentwickelt. Diese Beschreibung ist aus der leeren Luft geholt. Das war für die damalige Zeit beim Rockhard nicht ungewöhnlich. Hauptsache Polemik, denn das verkauft Hefte.

Götz Kühnemund (damaliger Rockhard-Chefredakteur, Anm. d. Red.) hat euch in seiner Rezi zum "Morbid Tales"-Album (1984) als extremste Band Europas bezeichnet. Passt das besser?

Das stimmt nicht. Zur damaligen Zeit war wahrscheinlich Discharge die extremste Band Europas. Das soll auch so stehen bleiben. Die Band war damals phänomenal. Wir hatten auch nicht die Absicht, die extremste Band zu sein, wir wollten etwas Eigenes machen. Das musste nicht immer extrem, sondern konnte auch durchaus differenziert sein. Wir wollten ausloten, wie weit kann man den extremen Metal in verschiedene Richtungen treiben? Wie klingt das? Manchmal hat es funktioniert, manchmal auch nicht. Musik ist eine Kunstform und Kunst kann auf verschiedene Arten extrem sein. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass man nicht auf Nummer sicher fährt, dass man nicht kopiert und das wiederholt, was es schon x-mal gibt. Kunst muss auch mal anarchistisch sein, in dem sie die Oberfläche zerkratzt und schaut, was darunter liegt und Konventionen bricht. Das ist auch extrem, aber anders extrem als in der Rezi gemeint.

Er hat wahrscheinlich gemeint, dass ihr anders wart als extrem harte Metalbands wie Slayer, Venom oder Metallica, die damals aufkamen.

Es war damals eine aufregende Zeit des Aufbruchs in unserer Szene. Die Bands haben sich gegenseitig inspiriert. Jeden Tag hast du was Neues gehört, was geil war. Das war eine Zeit, die gibt es nicht wieder. Für den Metal war das die fruchtbarste Zeit überhaupt.

Für heutige Bands ist es fast unmöglich, etwas komplett Neues zu kreieren, weil alles schon irgendwie da gewesen ist.

Das ist das Glück der Geburt, dass wir damals in dieser Aufbruchszeit dabei waren. Natürlich ist es heute viel schwieriger, weil die Metalszene Dekaden alt ist und Vieles schon gemacht wurde. Ich glaube aber, dass man auch heute noch originell sein kann, solange du dir selbst treu bleibst. Nur du selbst kannst dich als Person von anderen Leuten unterscheiden. Es gibt jedes Riff und jedes Konzept schon. Was es noch nicht gibt, ist, wer du selber bist. Wenn du es als Musiker schaffst, deine Musik gemäß deinen eigenen Gedanken und Gefühlen zu schreiben, dann wird sie klingen wie niemand anderes sonst.

Nach dem Ende von Hellhammer habt ihr ein detailliertes Konzept erstellt, wie Celtic Frost werden sollten. Was stand da genau drin?

Das haben wir gemacht, um uns zu motivieren und ein Ziel zu setzen. Da war alles drin. Wir waren damals ziemlich fanatisch und radikal. Wir wussten, dass wir mit Hellhammer etwas Wichtiges aufgeben und wollten mit etwas Besserem zurückkommen. Wir haben die ersten drei Alben mit Covern, Songtiteln und Inhalten der Texte skizziert. Wir haben festgehalten, wie wir uns die Fotosessions für die Alben vorstellen und wie wir sie bewerben können. Wir haben einfach aufgezeichnet, wie die ideale Band für uns aussehen würde. Heute würde man sagen, wir haben einen Businessplan aufgestellt. Eigentlich haben wir uns Ziele gesteckt, die eigentlich viel zu hoch dafür waren, was wir konnten. Aber genau diese Ziele handschriftlich vor uns liegen zu sehen, hat uns den Weg gezeigt, wie wir das später erreichen konnten. Wir haben nach diesem Plan auch geprobt und uns dadurch musikalisch verbessert.

Das zu erstellen, war doch sicherlich ein längerer Prozess, oder?

Na klar, Martin und ich haben alles diskutiert und auch unterschiedliche Meinungen gehabt. Am Ende des Tages haben wir es aber immer geschafft, etwas Kreatives aus unserer Verbindung heraus zu erarbeiten. Wir explodierten damals vor Testosteron und Ambitionen. Wir wollten beweisen, dass wir das können. Für die damalige Norm war Hellhammer ein Versagen. Wir wollten zeigen, dass wir es draufhaben und uns verbessern können. Das Urkonzept hierzu entstand in einer Nacht: vom 31. Mai zum 1. Juni 1984. In den nachfolgenden Wochen haben wir das verfeinert und zu Noise-Records nach Berlin geschickt. Wir haben denen gesagt: "Wir sind nicht mehr Hellhammer, sondern Celtic Frost, hier ist unser Konzept und wir bitten euch, den Vertrag mit Hellhammer nicht aufzulösen, sondern auf Celtic Frost umzuschreiben." Zu unserem Erstaunen fanden sie das Konzept überzeugend und haben unserem Wunsch zugestimmt.

Legendär sind deine "Uhs" im Gesang. Stand das auch im Konzept oder kam es einfach so aus dir raus beim Singen?

Nee, nee, die "Uhs" gab es schon bei Hellhammer, das mussten wir nicht extra aufschreiben.

"Wir wollten keine Songs über Bierdosen schreiben"

Wie fällt bei Celtic Frost die Gewichtung zwischen Musik und dem ideologischen Überbau aus, der bei euch sehr wichtig war?

Das ist untrennbar. Die Musik entstand aus der Ideologie. Wir wollten keine Songs über Bierdosen schreiben, sondern über unsere persönlichen Interessen: Geschichte, Religion, Okkultismus. Kein Song war damals dem Zufall überlassen.

Du hast immer betont, dass ihr keine Satanisten seid. Eure Ästhetik ist allerdings sehr düster und dunkel, das Cover von "To Mega Therion" blasphemisch, und du trägst ein umgedrehtes Kreuz um den Hals. Was wolltet ihr damit ausdrücken?

Das Dunkle gehört nicht den Satanisten, das gehört jedem. Ich kann dunkel sein, ohne ein Satanist zu sein. Nur weil sich irgendwelche menschgemachte Religionen, sei es Satanismus, Islam oder Christentum, gewisse Symbolen aneignen, heißt das nicht, dass es ihnen gehört. Die haben schon vorher irgendwo existiert, und die Religionen haben es sich dann genommen. Auf den Bandfotos zu "Morbid Tales" tragen wir aufrechte und umgedrehte Kreuze, um zu zeigen, dass wir ausgeglichen sind, dass wir weder der einen noch der anderen Seite folgen. Das hat Giger zum Beispiel auch so gemacht. Wenn du dir sein wahrscheinlich bekanntestes Werk "The Spell" anschaust, verwendet er aufrechte und umgedrehte Pentagramme, um genau das zu zeigen. Uns hat mehr die Mechanik dahinter interessiert, warum die Menschen der Religion nachrennen und was es auf dem Planeten bewirkt hat: das ganze Unrecht, das im Namen der Religionen angerichtet worden ist. Dass unser Privatleben damals sehr schwierig war, zeigt sich in der dunklen Kleidung und der Dunkelheit der Musik. Wir lebten keine lustige Existenz. 

Heute trägst du nach wie vor ein umgedrehtes Kreuz. 

Das ist schlicht und einfach das T im Schriftzug von Tryptikon. Eigentlich ist das umgedrehte Kreuz eines der heiligsten Symbole, es ist das Kreuz von Petrus. Der Sage nach sollte er von den Römern gekreuzigt werden und gesagt haben: Es steht mir nicht zu, so wie Jesus gekreuzigt zu werden, ich bin zu klein dafür. Daraufhin haben die Römer das Kreuz umgedreht. Deshalb ist es auch das Kreuz des ersten Papstes. Im Vatikan sieht man heute noch das umgedrehte Kreuz, weil es auf Petrus zurückgeht. Deswegen ist das umgedrehte Kreuz alles andere als ein satanisches Symbol. 

Ich könnte mir vorstellen, dass der Einfluss der katholischen Kirche in der Schweiz damals ziemlich stark war und ihr dagegen rebelliert habt, oder?

Der Einfluss der katholischen Kirche hat uns radikalisiert. Martins Eltern waren sehr stark engagiert in der Kirche, seine Mutter war katholische Religionslehrerin. Natürlich war das eine Rebellion von Martin. So gesehen war der Einfluss der katholischen Kirche für uns sehr fruchtbar. Wir kamen auf immer neue Ideen, wie wir die katholische Kirche enttäuschen konnten. Es gab damals einige religiöse Leute, die uns das sehr übelnahmen. Darüber konnten wir nur lachen, denn wenn man sieht, was die katholische Kirche in den zurückliegenden 2.000 Jahren mit unschuldigen Menschen veranstaltet hat, dann sind Hellhammer und Celtic Frost das Harmloseste der Welt. 

Ihr seid für viele Blackmetal-Bands Vorbilder. In Norwegen haben satanistische Blackmetaller Kirchen angezündet. Ist es nicht ein Problem, wenn man mit solchen Leuten in Verbindung gebracht wird?

Das ist das Schicksal jedes Menschen, der in der Öffentlichkeit arbeitet. Sobald du deine Arbeit in die Öffentlichkeit stellst, nimmst sie ihre eigene Dynamik an. Menschen ermächtigen sich dieser Arbeit oder legen sie anders aus. Natürlich waren wir keine Blackmetalband und keine Satanisten. Dass unsere Musik satanische Bands beeinflusst hat, konnten wir nicht beeinflussen. Das fand ich zum Teil faszinierend und zum Teil abstoßend, je nach Band und Protagonist. Martin und ich hatten sehr große Probleme damit, wenn unsere Musik im Zusammenhang mit Morden an Homosexuellen verbreitet wurde. Wir erfuhren erst davon, als es bereits passiert war. Ist jedoch eine Kirche abgebrannt, und jemand hat gesagt: "Tom hat das mit Hellhammer schon besungen", dann fand ich das super. Wenn man die Geschichte der Kirche in den letzten 2.000 Jahren betrachtet, ist eine brennende Kirche noch die netteste Rache, die man nehmen kann.

In einer Kirche könnten Menschen sein. Wenn deren Leben gefährdet wird, ist das aber eine ganz andere Sache.

Menschenleben waren damals in Norwegen gefährdet, wenn sie anders waren. Wenn irgendwelche verblendeten Satanisten das Gefühl hatten, man darf nicht schwul sein, dann habe ich damit ein massives Problem. Auch ich bin anders, auch ich bin am Rand der Gesellschaft aufgewachsen. Ich stehe überhaupt nicht auf Unterdrückung, egal ob es ein Schwuler ist, eine Frau oder ein Tier.

Im Song "Circle of the Tyrants" ist auf der "To Mega Therion" eine Frauenstimme zu hören? Auf der zuvor veröffentlichten EP-Version von "Emperor's Return" fehlt sie. Was war der Grund?

Weil wir für die "Emperor's Return"-EP ein nur winziges Budget von der Plattenfirma Noise Records zur Verfügung gestellt erhielten, welches uns weder genügend Aufnahmezeit noch Spielraum für Studiogäste usw. gestattete. Dies, obwohl wir es für viel zu früh hielten, mit unserem eben erst in die Band eingestiegenen neuen Schlagzeuger Reed St. Mark bereits in Studio zu gehen. Noise drängten uns jedoch regelrecht dazu, um ein neues Produkt von uns verkaufen zu können.

Warum ist Martin vor der Veröffentlichung von "To Mega Therion" eigentlich ausgestiegen?

Ich war zum Zeitpunkt des Songwritings 21 Jahre alt, Martin war vier Jahre jünger. Dementsprechend kämpfte er mit ernsthaften Konflikten in seinem Privatleben, zum Teil bedingt durch die starke Opposition seiner Eltern zum von ihm gewählten Lebensweg als Musiker bei Celtic Frost, zum Teil weil seine Eltern überzeugte Katholiken waren. Außerdem hatten sich in seiner Jugend traumatische Erlebnisse abgespielt. Das ging soweit, dass er zwar physisch bei den Proben für "To Mega Therion" dabei war, aber trotzdem eigentlich kaum präsent war. Es kam zu einem Punkt, an dem Reed und ich mit ihm Klartext reden mussten und wir alle erkannten, dass Martin zuerst sein Privatleben regeln musste, bevor er wieder vollständiger Teil der Band sein konnte. Dies tat er dann auch, während wir im damaligen West Berlin das Album aufnahmen. Nach unserer Rückkehr fanden wir einen Martin vor, der so ziemlich alle Belange seines Lebens neu geordnet hatte und von zuhause ausgezogen war. So war es auch möglich, dass er zu unserem Auftritt am World War II Festival in Kanada bereits wieder Teil von Celtic Frost war.

"Into The Pandemonium", der Nachfolger von "To Mega Therion", ist eine extreme experimentelle Weiterentwicklung von Celtic Frost. War das eine Art Widerstand gegen Noise-Records, die euch lieber als gradlinige Thrashmetalband gesehen hätte?

Natürlich. Auf der ganzen Linie!

Eure experimentellen Ambitionen haben oft zu Konflikten mit Noise-Records geführt. Hat euch das stark zugesetzt oder habt ihr eine Jetzt-Est-Recht-Einstellung entwickelt?

Beides trifft zu. Es war wohl die schwierigste Zeit in der gesamten Existenz von Celtic Frost. Doch diese Erlebnisse bewogen uns, rechtlichen Beistand zu suchen und den Befreiungsprozess von den Verträgen mit Noise Records zu beginnen.

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Also die Verbindung zwischen Celtic Frost und den Kirchenbränden ist schon arg weit an den Haaren herbeigezogen.
    Der sogennante "schwarze Zirkel", ob man den ernstnehmen kann oder nicht, bestand halt aus durchgeknallten Teenagern, die sich tagein- tagaus in ihrem Plattenladen den extremsten pseudo-satanischen Metal angehört haben und sich auch diverse, damalige Gore und Snuff-Filme reinzogen.
    Die haben sich vollkommen alleine radikalisiert, und ich denke das extreme Menschen einfach extreme Dinge tun. Wer weiß, wären sie Katholiken gewesen, hätten sie vielleicht auch auf Breivik gemacht?
    Euronymous Kommunismus nahm auch extreme Züge an. Mit der Kunst hat das wenig zu tun.