26. Oktober 2012

"Das größte Problem ist, dass Geld unser Leben bestimmt"

Interview geführt von

Seine früheren Werke berichten aus seinem Leben, von seiner Persönlichkeit und seiner Umwelt. Auf "Mourning In America And Dreaming In Color" überrascht Brother Ali nun mit einer Vielzahl sozialpolitischer Tracks, die zwar dunkle Bilder zeichnen, aber auch Hoffnung bergen.Zu Beginn wirkte der Rapper zwar noch etwas überrascht und wortfaul. Im Laufe des Telefonats ergab sich dann aber doch noch ein interessantes Gespräch. Ali äußert sich zu Vorurteilen gegenüber dem Islam und erklärt, was er ändern würde, hätte er eine Position in der Politik inne.

Hey, Ali. Ich habe dich letztes Jahr in Zürich gesehen. Du scheinst eine Menge Spaß gehabt zu haben. Fällt es dir leicht, vor all den Hip Hop-Heads aufzutreten?

Ich performe schon, seit ich acht Jahre alt bin. Ich spiele Live-Gigs schon seit einer halben Ewigkeit.

Fühlt es sich anders an, in den Staaten zu touren als in Europa?

Nein, eigentlich nicht. Viele Leute sagen, da bestehe ein Unterschied. Manche sagen, in Europa sei es besser. Aber für mich macht das keinen Unterschied.

Welche Arbeit bereitet dir mehr Freude? Die im Studio oder die auf der Bühne?

Ich mag beides. Der erste Teil der Arbeit findet im Studio statt, wenn du Musik schreibst und produzierst. Aber die Arbeit ist damit nicht getan. Sie wird erst komplett, wenn du die Songs auch performst.

Du bist schon in jungen Jahren zum Islam übergetreten. Was hat dich zu diesem Schritt bewegt?

Ich glaubte, dass das der richtige Weg für mich sei, mein Leben zu leben. Ich denke, dass Malcolm X entscheidend dazu beigetragen hat, dass ich mich mit dem Islam auseinandersetze. Als ich verstand, was der Islam wirklich ist, wollte ich Moslem werden und meinen Lebensstil dem Koran anpassen. Was die Menschen in der westlichen Welt über den Islam denken, ist falsch.

Wie der Koran das Leben beschreibt und wie ich es auf meiner Pilgerreise nach Mekka erlebt habe, hat mit dem oft gezeichneten Bild nichts zu tun. Die meisten Menschen haben einen völlig falschen Eindruck vom Islam. Und wie es andere Menschen im Mittleren Osten leben, ist nicht die Art, wie ich den Islam verstehe.

Vor zwei Wochen jährten sich zum elften Mal die Terroranschläge auf das World Trade Center. Die Terroristen waren ebenfalls Anhänger des Islam. Wie denkst du über Menschen, die den Koran in diesem Sinne interpretieren?

Der Islam bietet absolut keine Rechtfertigung, um unschuldige Menschen zu töten. Prophet Mohammed zog ein einziges Mal in den Kampf. Um sich zu verteidigen. Nicht, um unschuldige Menschen zu töten. Dafür hatte er Soldaten. Seine Attacken waren nie gegen Unschuldige gerichtet.

Es ist sogar so, dass in einem Krieg weder Bäume noch Tiere noch sonst irgendjemand verletzt werden darf, der nicht in den Konflikt verwickelt ist. Es gibt überhaupt keine islamische Rechtfertigung für Terrorismus. Und man kann auch nirgendwo finden oder lesen, weder im Koran noch in Mohammeds Schriften, dass es gerechtfertigt sei, unschuldigen Menschen etwas anzutun.

Du bist also der Meinung, dass die Terroristen den Koran falsch interpretieren?

Nein, überhaupt nicht! Die sind absolut nicht vom Koran motiviert, sondern von ihren politischen Interessen. Und sie wissen auch, dass die Menschen, die sie beeinflussen wollen, den Koran nicht kennen. Wir fürchten uns nicht vor dem Tod, vor Opfern oder vor dem Kampf, wenn wir das Richtige tun. Gott ist an unserer Seite. Doch das gilt nur, wenn wir für etwas Gutes kämpfen. Es gibt im Islam nichts, das falsch oder missverstanden werden könnte. Und schon gar nicht gibt es eine Rechtfertigung dafür, unschuldige Menschen zu töten.

Aber es ist eben möglich, den Islam absichtlich falsch zu interpretieren. Es gibt sowohl im Osten als auch im Westen Leute, die genau das tun, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Im Osten gibt es einige, die machtgeil sind und ungebildete Menschen in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Das Gleiche geschieht im Westen. Die Kriegs-Industrie ist einer der größten Geschäftszweige im Westen. Es gibt sowohl im Osten als auch im Westen Leute, die das tatsächliche Bild des Islams absichtlich verdrehen, um an der Macht zu bleiben. Doch diejenigen, die den Islam studiert haben und es besser wissen, sind in der Minderheit.

"Unsere Faulheit und Bequemlichkeit sind Teil des Verfalls"

Lass uns über "Mourning In America And Dreaming In Color" sprechen. Was willst du mit dem Titel genau ausdrücken?

Das Album beschreibt den Zustand, in dem sich unsere Gesellschaft befindet. Dabei geht es hauptsächlich um meine eigene. Wenn wir anfangen zu kritisieren, sollten wir zu allererst bei uns selbst anfangen. Ich denke, dass wir Macht kritisieren sollten. Genau das tue ich auch. Meine Kritik bezieht sich auf den Westen und darauf, dass wir einen extremen Verfall durchleben, in ökonomischer, spiritueller, kultureller als auch in sozialer Hinsicht. In diesem Punkt sollten wir ehrlich zu uns sein. Wir sollten uns vor Augen führen, dass unsere Faulheit und unser Hang zur Bequemlichkeit Teile dieses gesellschaftlichen und kulturellen Verfalls sind. Wir betrauern unseren kulturellen, spirituellen und ökonomischen Tod. "Mourning In America".

Auf der anderen Seite können wir eine Bewegung in Gang setzen, die unsere Gesellschaft umgestaltet. Ein neues Erwachen wahrer Demokratie ist möglich. Die Demokratie, über die wir schon seit Jahrhunderten reden, die aber nie für jeden einzelnen von uns Wirklichkeit wurde. Wir schlossen immer Leute davon aus. Martin Luther King sagte einst: Ungerechtigkeit an einem Ort bedroht die Gerechtigkeit überall. Wie wir heute sehen, passiert nun genau das. Wir sind damit einverstanden, dass bestimmte Menschen nur wegen einer anderen Rasse, Religion, Sprache, Hautfarbe, Ethnie oder wegen anderer sexueller Präferenzen anders behandelt werden. Jeder ist ein Teil davon. Diese großartige Idee, dass jeder Mensch die gleiche Behandlung erfährt, muss jedem zugänglich gemacht werden. Jedem soll es erlaubt sein, daran teilzunehmen. Das ist der "Dreaming In Color"-Part.

Angenommen, du hättest eine Führungsposition inne. Sagen wir, als Politiker. Was würdest du ändern? Wo würdest du beginnen, um sozial Schwächeren zu helfen?

Unser größtes Problem besteht darin, dass wir unser Leben von Geld bestimmen lassen. Wir erlauben reichen Leuten, Politiker zu kaufen und diese zu beeinflussen. Bevor wir das nicht ändern, werden wir gar nichts erreichen können. Doch wenn es soweit wäre, würde ich den bislang Unterdrückten mehr Rechte geben: Frauen, Armen, Behinderten und generell hilfsbedürftigen Menschen. Diese Leute sollten oberste Priorität genießen. Unsere Situation im Moment sieht so aus, dass die Reichen mächtig sind, das Geld und den Luxus besitzen und die Fäden ziehen. In unserer Gesellschaft stehen diese Leute im Rampenlicht. Die setzen zuerst ihre Interessen durch, und was übrig bleibt, geht dann zu den Schwächsten. Verkehrte Welt ...

In "Mourning In America" rappst du über Krieg und traumatisierte Überlebende. Kennst du Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehrten, persönlich?

Ja, das tue ich tatsächlich. Ich denke, das tun wir alle. Der Song handelt jedoch nicht nur von Krieg, sondern erzählt auch von der amerikanischen Gewalt, von einer Kultur des Mordens und Tötens. Dabei spielt der Krieg nur eine Nebenrolle. Vielmehr geht es um den Kampf, der täglich in unseren Straßen wütet. In Chicago kommen fast genauso viele Menschen auf der Straße ums Leben wie in Afghanistan oder im Irak. Die Anzahl junger Kids, die in den Vororten von Chicago umgebracht werden, ist immens hoch. Jede Nacht lassen sie die Kugeln fliegen. Selbst, wenn du lebend herauskommst, bist du gezeichnet. Diese Kultur des Tötens infiziert uns alle. Sie raubt uns unsere Menschlichkeit und das Leben verliert an Wert auf Kosten des Materialismus. Was wir besitzen, sollten wir benutzen. Menschen dagegen sollten wir lieben. Im Moment erleben wir das glatte Gegenteil.

"All You Need" sticht meiner Meinung nach heraus, ein sehr intimer Song, in dem du über deinen Sohn und deine Frau rappst. Fällt es dir schwer, persönliche Dinge preiszugeben?

Nein. Ich habe schon immer über mein persönliches Leben gerappt. Wohingegen es schon eher eine Herausforderung darstellt, Songs über unsere Gesellschaft zu schreiben. Darin habe ich weniger Erfahrung, deshalb ist mir das auch nicht so leicht von der Hand gegangen.

Warum stammen alle Beats für die gesamte Platte von Jake One? Was speziell begeistert dich an seiner Art zu produzieren?

Das Wichtigste dabei war, dass ich mit Jake One befreundet bin. Ich komme nicht so gut mit Leuten aus, die nicht voll hinter mir stehen. Aber seine Musik liebe ich natürlich auch. Ich mag den Rhythmus, die Percussions in seinen Produktionen. Außerdem gefällt mir die Art und Weise, wie er seine Drums programmiert. Das fordert mich heraus, da ich anders rappen konnte als sonst.

"Jay-Z ist besser als Nas"

Wer verkörpert deiner Meinung nach 'real Hip Hop'?

Ich denke, es ist gefährlich zu sagen: 'Das ist richtiger Hip Hop und das nicht.' Ich denke, dass es nicht gut ist, wenn Leute urteilen, die nicht aus der Umwelt stammen, in der Hip Hop geboren wurde. Schon gar nicht über diejenigen, die eben aus dieser Gegend kommen. Hip Hop kommt aus den Ghettos. Menschen, die in ähnlichen Lebenssituationen stecken wie die Künstler selbst, verstehen die Musik, die dort entsteht. Jemand, dem solch ein Hintergrund fehlt, sollte nicht darüber urteilen, was nun Hip Hop ist und was nicht. Wir können darüber reden, was wir mögen, was uns gefällt.

Okay. Welche Musik gefällt dir denn? Bist du zufrieden mit der aktuellen Hip Hop-Situation?

I like it all, man! Ich mag wirklich eine Menge. Ich feiere Rick Ross, Lil Wayne, ich mag Aesop Rock, Immortal Technique. Mir gefallen Kendrick Lamar, Jay-Z, Ludacris, Nicki Minaj ... Ich mag sie wirklich alle. Das sind viele polarisierende Mainstream-Künstler, stimmt schon. Aber Hip Hop ist Hip Hop. Egal, wer darüber entscheidet, was im Radio läuft und was nicht: Wenn es mir gefällt, dann wird das gepumpt! Es wäre fatal, wenn uns die Musik-Industrie weis machen würde, was gute Musik ausmacht und was nicht.

Wer ist in deinen Augen der beste Rapper? Tot oder lebendig, ganz egal.

(Wie aus der Pistole geschossen) Jay-Z.

Findest du ihn bedeutend besser als Nas?

Ja!

Warum?

(Überlegt) Er ist beständiger, sich in seiner Linie absolut treu. Ich finde, er ist ehrlicher, geradliniger, sich seiner Sache absolut sicher. Er hat sich nie verstellt und ist sich selbst treu geblieben. Er glaubt an sich und an seinen Erfolg. Das soll nicht heißen, dass ich grundsätzlich mit ihm einer Meinung bin. Aber als Künstler hat er immer nur sich selbst repräsentiert. Nas kam oft von seinem Weg ab. All die Kritikpunkte gegen Jay-Z treffen auch auf Nas zu. Wenn nicht sogar schlimmere. Nas wirft Jay-Z vor, materialistisch zu sein. Aber im gleichen Atemzug rappt er darüber, wie er Frauen seinen Schmuck tragen lässt,um sie ins Bett zu kriegen. Das soll jetzt kein Nas-Diss sein. Ich liebe Nas. Ich denke, dass eine Menge Nas-Fans Jay-Z aufgrund seines Images dissen.

East Coast vs. West Coast. Wo stehst du?

Sie waren beide großartig. In den 90ern ging die Post ab. Auch im Süden. D tut sie auch immer noch.

Was sind deine wichtigsten Inspirationsquellen, wenn es um Lyrics geht?

Ich denke, wenn du wirklich ein Künstler bist, dann kommt es einfach aus dir heraus. Die besten Ideen kommen immer dann, wenn du wirklich tief in einem Thema drinsteckst. Wenn mich etwas wirklich beschäftigt, schreibe ich meine besten Songs.

Du könntest dich als nicht hinter einen Schreibtisch klemmen und ein paar Zeilen ausspucken?

Das muss ich gar nicht. Ich schreibe sowieso.

Alles klar. Danke dir für das Interview.

Weiß ich zu schätzen!

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