10. Juli 2017

"Auf Band klingt es einfach geiler"

Interview geführt von

Amplifier veröffentlichen in diesen Tagen ihr sechstes Album "Trippin' With Dr. Faustus". Gefühlt ist es das zwanzigste, weil Band-Boss Sel Belamir zwischen den Langspieler-Veröffentlichungen gerne irgendwelchen Kram auf EPs raushaut. Grund genug jedenfalls, sich mit dem sympathischen Nordengländer zu einem Gespräch zu verabreden.

Dieses fängt etwas beschwerlich an, weil Skype Probleme bereitet und nach einigen Minuten bei Belamir der Strom ausfällt. Letztlich bekommen wir aber einen munteren Plausch hin, Sel ist in bester Gesprächslaune.

Das neue Album wird auf Rockosmos erscheinen, was bedeutet, dass ihr schon wieder das Label gewechselt habt. Wart ihr unzufrieden mit InsideOut/Superball?

Überhaupt nicht, aber die gehören jetzt zu Sony. Amplifier waren schon mal in der Situation, dass ein Independent-Label von einem Major gekauft wurde. Auf Dauer funktioniert das einfach nicht. Daher war es leichter zu sagen: Wir sind raus, wir wollen nicht bei Sony unter Vertrag stehen.

Außerdem ist Rockosmos mein eigenes Label. Ähnliches hab ich damals rund um die Veröffentlichung von "The Octopus" schon mal gemacht, jetzt standen die Zeichen günstig. Ich habe auch ein paar andere Bands unter Vertrag genommen. Ja, Rockosmos. Es hat mich ungefähr zehn Sekunden gekostet, mir den Namen einfallen zu lassen, hahaha. Ich brauchte einen, der alles zusammenfasst, wofür wir stehen und was ich mag.

Ist das für dich jetzt ein Vollzeit-Job, Labelbesitzer zu sein?

Ja, das und in einer Band zu sein. Ich habe keinen anderen Beruf, dem ich nachgehen muss.

Wo wir gerade vom Namen Rockosmos sprachen: Ideen wie Reisen ins Weltall scheinen dich sehr zu faszinieren. Woher kommt das?

Ich hab das analysiert, und ganz genau so, wie du sagst, ist es nicht. Ich mag weite, offene Räume, große Flächen. Ich lebe am Meer, und da wird dir bewusst, wie du in die Dinge hineinpasst. Wir sind klein und unbedeutend, wir sind nichts. Und diese Konzepte machen dir dann bewusst, wie seltsam unsere Existenz eigentlich ist. Das interessiert mich. Reisen ins Weltall und solche Sachen sind nur ein Thema von vielen, an denen ich kratze. Aber ich schreib gerne drüber, es ist cool, fast wie Science Fiction. Du hast viel Platz, Details und Farben in deine Vorstellungen einzubauen und dir alles auszumalen.

Meine Texte sind sehr zweideutig. Aber ich setze mich nicht mit dem Plan hin, zweideutige Texte zu schreiben, es ist einfach meine Natur. Wenn ich mir die Texte meiner Frau anschaue, die auch Songwriterin ist: die sind komplett anders, wie sehr detaillierte Illustrationen. Mein Zeug bleibt hingegen abstrakt. Das passt gut zur Musik, denn dieses Gefühl gefällt mir und drückt sich auch in den Songs aus.

Lass uns zurück zum Album kommen. "Mystoria" habt ihr seinerzeit live eingespielt. Wurde dieser Ansatz für das neue Album beibehalten?

Nein, dieses Mal war es wieder anders. Ich mochte den Aufnahmeprozess von "Mystoria", wir haben monatelang die Songs geprobt und dann altmodisch aufgenommen. Aber für das neue Album hat sich eine andere Technik herauskristallisiert. Wir hatten ein Gerät gekauft, das noch klassisch auf Tonband aufzeichnet. Da die modernen Studios darauf aber überhaupt nicht mehr ausgerichtet sind, haben wir alles zu Hause in meinem kleinen Studio aufgenommen. Spur für Spur wieder, weil es mit dem Gerät anders nicht geht. Daher haben die Aufnahmen viel länger gedauert und mehr Zeit in Anspruch genommen, weil du kleine Stückchen zusammensetzt. War aber cool, alles lief etwas entspannter.

Manche der Songs sind schon etwas älter, "Silvio" wurde beispielsweise für "The Octopus" geschrieben, wir haben den Song nur etwas aufpoliert. Zwischendurch ging die Bandmaschine kaputt, und sechs Wochen gingen dabei drauf, die notwendigen Teile für die Reparatur zu finden. Es war ein schöner Aufnahmeprozess, wie eine ältere Band halt, die noch andere Sachen im Leben zu tun hat und nebenbei ein Album produziert. Alles in allem hat es zwei Jahre gedauert.

Habt ihr die Songs durchgeplant? Für meine Ohren klingen sie griffiger und eingängiger als die auf "Mystoria".

Nein, kein Plan. Ich glaube, die Eingängigkeit kommt von der besseren Produktion, da kannst du leichter zuhören. Das Songwriting ist ähnlich, aber auf Band klingt es einfach geiler. Ich finde, das Album hört sich besser als alle anderen an. Vielleicht mit Ausnahme von "Echo Street", das langsamer und räumlicher war und daher auch schnell ins Ohr ging. Die Vorzüge beim Aufnehmen auf Band sind, dass alles runder und weicher wird. Wie ein hervorragend gekochtes Essen.

Du hast mir eben erzählt, deine Texte seien oft vieldeutig. Aber versuchst du denn, bestimmte Themen zu behandeln?

Von ein paar Ausnahmen abgesehen mache ich mir vorher keine Gedanken darüber. Meist gehe ich von einer musikalischen Idee aus, nehme diese Tonfarbe und lege Worte darüber. Später bringe ich diese Worte so zusammen, dass sie irgendeine Form von Sinn ergeben. Du kannst rhythmisch arbeiten und Worte auf die Takte legen. Aber du kannst von diesen simplen Techniken aus weitergehen und die Qualität der Worte ändern, ihre Färbung. Und immer wieder verfeinern, bis die Worte für dich einen Sinn ergeben.

Es ist doch so: Manchmal erscheinen Texte sinnlos, wenn du nur die geschriebenen Worte siehst. Aber vor dem Hintergrund der Musik erschließen sich dann doch neue Bedeutungsmöglichkeiten. Es gibt eine merkwürdige, absurde Verbindung zwischen diesen beiden Elementen, manchmal verstärkt eins das andere. Wir können da einiges über Wortbedeutungen lernen, Worte sind nur Gefäße für Bedeutungen. Eine Sammlung von Symbolen, die etwas vorschlagen. Und Musik funktioniert genauso, als Straßenschild, das in eine bestimmte Richtung deutet.

"500 Käufer wären toll."

Wie kommen eure Songs denn zustande?

Wir jammen viel. Manchmal sogar bei den Soundchecks auf Tour, da probieren wir ein paar Songs lang neue Ideen aus. Manchmal benutzen wir auch einfach eine Gitarrenlinie, die ich auf meinem Telefon abgespeichert habe.

Du erwähntest, dass "Silvio" noch aus den "Octopus"-Sessions stammt. Gibt es da noch mehr Songs oder habt ihr die alle benutzt inzwischen?

Nein, aus dieser Periode gibt es noch eine Menge Songs und Ideen, die ich an irgendeinem Punkt mal ausarbeiten werde. Wahrscheinlich werde ich den "Octopus" mal auf Vinyl veröffentlichen. Und vielleicht nehmen wir eine neue Seite mit Songs auf dafür. Ich denke, das Album könnte das als Abrundung gebrauchen.

Da passt eine Frage gut, die einen Freund von mir beschäftigt: Nach welchen Kriterien entscheidet ihr, welches Album auf Vinyl erscheint und welches nicht?

Danach, was sich wahrscheinlich verkaufen wird, haha. Und was wir uns leisten können. "The Octopus" auf Vinyl zu veröffentlichen, wäre extrem teuer. Außerdem würde ich es nicht machen wollen, wenn das Album nicht eine besondere Behandlung bekäme und ein Sammlerstück würde. So wie die Special-Edition-Books, die wir schon mal gemacht haben. Es würde eine große Box werden und vermutlich so um die 60 bis 70 Euro kosten. Wie viele Leute würden das bezahlen können? Es wird irgendwann passieren, ich weiß nur noch nicht, wie. 500 Käufer wären toll.

Bist du den "Octopus" nicht irgendwann mal leid und möchtest ihn am liebsten komplett hinter dir lassen?

Die Musik ist ja nur eine kleine Facette davon. Ich habe ja auch Bücher geschrieben, die das Album begleiten. Die Musik unterstützt diese Konzepte. Ich bin immer an der Vermischung von Kunstformen interessiert. Die Idee, das alles in ein Vinyl-Boxset zu überführen, reizt mich sehr, wenn ich irgendwann mal das Geld dafür habe. Ich hätte gerne Artwork von Hajo Müller, der beispielsweise für Steven Wilson "The Raven That Refused To Sing" gemacht hat. Wir haben auch schon ein bisschen was zusammen erarbeitet, die Produktion läuft also quasi bereits. Es dauert alles etwas, so ist das bei Projekten von mir, haha.

Wo wir schon von Artworks sprechen: Hast du das für "Dr. Faustus" selbst gemacht?

Klar, die mache ich immer selber. Es ist einfacher und geht schneller, haha. Man muss auch nicht ständig Rücksprache mit irgendwelchen Leuten nehmen.

Ich kenne inzwischen einige Leute, die von dem neuen Cover irritiert sind, um es mal so zu sagen.

Man muss sich fragen: Was stellt ein Cover heute eigentlich dar? Für mich ist es ein Leuchtfeuer. In einer Welt aus Spotify-Avataren brauchst du etwas, das heraus sticht. Du musst es noch nicht mal richtig erkennen können, um zu wissen, was es ist. Für mich funktioniert das neue Cover perfekt auf diese Weise. Es ist verdammt gelb! Das einzige, was mir sonst noch in gelb einfällt, ist das Sex-Pistols-Cover, das man sofort erkennt.

Hard-Fi hatten sogar zwei gelbe.

Hatten sie? Na gut. Aber es gibt sehr wenige. Bei unserem Cover kannst du auch nicht sofort rauslesen, um welche Art von Musik es sich handelt. Das ist mir wichtig, denn es geht mir nicht um Genres. Leute, die Amplifier bisher nicht kannten, mochten es alle. Alle unsere Cover sind sehr unterschiedlich, wir möchten uns nicht wiederholen. Wenn du anfängst, die Erwartungen anderer Leute erfüllen zu wollen, wirst du eh scheitern. Bei deinem ersten Album kennt dich noch keiner, die Leute hören dir ohne Ballast zu. Und das bekommst du später nie wieder. Deswegen scheitern auch so viele Bands, weil sie versuchen, das zweite Album noch mal aufzunehmen.

Ihr wollt euch nicht wiederholen, sagst du. Da fällt mir doch direkt der Akustiksong "Anubis" vom neuen Album ein, sowas kannte ich von euch noch nicht. Wird's davon zukünftig mehr geben?

Weiß ich noch nicht. Das Stücke war der letzte Song, den wir aufgenommen haben. Das Album war bereits fertig und sollte zum Mastering, aber wir merkten beim Anhören, das noch irgendwas fehlt. Eine kleine Pause zwischendurch vielleicht. Und da wir kurz vor dem Mastering standen, hatte ich nur die Möglichkeit, was Kleines hinzuzufügen, die Zeit hätte sonst nicht gereicht. Ich hab das Stück samstags geschrieben und sonntags aufgenommen. Das war's. Das Abmischen hat vielleicht zwei Stunden gedauert.

Aber so geht die Kunst des Songwritings. Du machst ein Album und schaust das Ding als Ganzes an, nicht als Einzelteile. Und dann fällt dir das Loch auf, das du füllen willst. Es gibt immer Löcher beim Aufnehmen einer neuen Platte. Als wir "The Octopus" eingespielt haben, war dieses Loch "The Wave". Und der Song entwickelte sich zu einem wichtigen Eckpfeiler. Ich hätte den vorher nicht schreiben können, erst am Ende, als wir merkten, dass wir noch genau diese Stimmung in einem Song brauchen.

"Von Spotify profitieren auch meine Kinder noch."

Eine ganz neue Stimmung fügt ihr jetzt mit einer Gastsängerin in zwei Stücken hinzu. Das habt ihr vorher noch nie gemacht. Wie kam es denn dazu?

Als David Bowie starb, haben wir ein Charity-Konzert für ein Krebshospital hier in Manchester gegeben und klassische Bowie-Cover gespielt. Ein Mädchen sang "Suffragette City" und ein paar andere Lieder. Sie ist wirklich cool, erinnert mich an Janis Joplin. Hat Spaß gemacht, mit ihr rumzuhängen, also haben wir gefragt, ob sie nicht auf dem Album dabei sein will, einfach so. Also schrieb ich das Lied "Big Daddy" und dachte: Das ist perfekt für Beth. Sie hat nämlich auch Kinder. Wir sangen also von was, das wir kennen, haha. Ein bisschen wie Sonny und Cher.

Die Sounds am Anfang von "Supernova", sind das Gitarreneffekte oder Keyboards?

Natürlich Gitarren. Ich bastele ja gerne mit Sounds rum, dafür habe ich Effektboards. Ein Boss DM 3 brauchst du beispielsweise unbedingt, wenn du bei Amplifier spielen willst, haha. Und viel Delay. Der Effekt, den du meinst, ist mein Unterwasser-Sound. Der passt einfach gut zu allem, auch egal, in welcher Geschwindigkeit. Ich hab nur eine Einstellung dafür und die passt immer, haha. Verrückt, der Effekt ist immer im richtigen Tempo, ohne dass ich ihn verändere. Eine Digitech Space Station brauchst du auch, aber die findest du nirgendwo mehr, hehe. Der spezielle Sound in "Supernova" ist derselbe wie im Song "The Octopus".

Du erwähntest vorhin schon Spotify. Was ist deine Meinung zu dem ganzen Streaming-Thema?

Gut, dass du fragst. Ich bin da geteilter Meinung. Als Hörer sage ich: Ist super. Es gibt nichts, das meine Leidenschaft für Musik so sehr wieder entfacht hat wie Spotify. Ich fühle mich oft wieder wie ein Kind auf Entdeckungsreise damals. Du hörst dir was mit deinen Walkman-Kopfhörern an und kletterst in die Musik hinein, wirst Teil von ihr. Nach zwanzig, dreißig Jahren trocknet das irgendwie aus, besonders, wenn du selbst Musik machst. Auf Spotify gibt es fast alles, was Menschen jemals aufgenommen haben. Man kann dort so tolle Sachen finden, Dinge, die dich wirklich inspirieren.

Und diesen Effekt kann auch Amplifier für andere Hörer haben, die uns auf Spotify entdecken. Man sickert langsam, aber stetig, ins Bewusstsein der Leute. Nicht wie im Radio, wo dich in derselben Sekunde 60.000 Leute hören und du nächste Woche auf Platz 1 stehst. Es geht um Lebensspannen. Wenn Spotify weitermacht und man die Einkünfte auf Lebenszeit umgelegt betrachtet, dann sind sie in Ordnung. Ich werde niemals genug Geld damit verdienen, um meine monatliche Miete zahlen zu können. Aber auf dein ganzes Leben betrachtet, 200 Pfund jeden Monat oder so, das addiert sich. Außerdem kann ich diese Dauereinkünfte auch meinen Kindern vermachen. Sowas gab es vorher nicht und viele Leute lassen das außer acht. Trotzdem hoffe ich, dass die Sätze steigen, wenn Spotify noch mehr Kunden gewinnt. Und viele kaufen sich die Musik dann als Vinyl oder CD, wenn sie drauf aufmerksam geworden sind. Oder gehen auf Konzerte.

Unterm Strich würdest du dich jetzt also zu den Spotify-Befürwortern zählen? Du warst immer ein ausgesprochener Kritiker dieses Geschäftsmodells.

Das stimmt. Weil die Lohnsätze beschissen waren. Man muss auch folgendes sehen: Als Apple Music auf den Markt kam, hat das die Downloads getötet. Davon hingen viele Bands und Labels ab und haben mit diesen Einnahmen kalkuliert. All das ist verschwunden, es bleiben nur die Einnahmen aus dem Streaming. Es reicht für viele Bands trotzdem nicht, sie können die Proberäume nicht mehr bezahlen, geschweige denn ein Album produzieren.

Musik als berufliche Laufbahn hat sich vollständig verändert. Für viele wird es ein Nebenerwerb werden, zusätzlich zu ihren normalen Jobs. Aber das ist gut, das ist gesund! Darum geht es in der Kunst, jedenfalls für mich. Musik herzustellen ist nicht das Endprodukt. Leben ist das Endprodukt. Du machst Musik, weil du dich freust, zu atmen. Die Kunst wird zur Dokumentation deines Lebens. Nicht viele Bands könne davon leben, Musik zu machen. Aber vielleicht ist das gut, vielleicht bedeutet es, dass sie es mehr wertschätzen, Musik machen zu können.

Eine Frage zum Abschluss: Wird es bald eine Tour zum neuen Album geben?

Ja, wir werden uns gegen Ende des Jahres auf die Socken machen. Ich habe die Idee, die erweiterte Amplifier-Community fragen, welche Songs sie gerne bei den Konzerten hören möchte. Wir haben inzwischen um die 90 Stück, da brauche ich Hilfe von außen, haha.

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