12. Dezember 2001

"Die Psyche kennt Licht und Schatten. Das muss man akzeptieren."

Interview geführt von

Wenn man abends um zehn seine Zeit bis zum Interview totschlagen muss, latscht man auch mal zum Getränkeautomaten, um sich ein kühles Blondes rauszulassen. In Kanada ist es 14 Uhr und nicht verwunderlich, dass sich ein munterer Jeff Martin am Telefon meldet, während meiner einer schon fitter aus der Wäsche geschaut hat. Aber ich schlug die Schlacht mit dem Sandmännchen erfolgreich.

Lass uns mit dem 11.September beginnen. Als ich mir "The Interzone Mantras" angehört habe, schien es mir wie bittere Ironie, dass das Thema religiöser Extremismus viel aktueller sind, als du es dir wahrscheinlich erhofft hast. Was dachtest du, als dir das klar geworden ist?

Religiöser Extremismus - nicht nur im Islam, auch im Christentum - ist etwas, über das ich mir schon sehr lange Gedanken mache. Der Hass, den man hat, wenn man riesige Flugzeuge in Hochhäuser fliegt, muss riesig sein. Aber in meinem Herzen bin ich Humanist und glaube, dass das auch ein Anlass sein kann, über bestimmte Dinge nachzudenken. Vielleicht führt das auch dazu, dass vermehrt an Dinge wie Mitleid und Toleranz gedacht wird.

Wie hast du diese Katastrophe verarbeitet?

Ich saß 48 Stunden lang vor CNN und habe dann einen Song geschrieben, um mit meinen Emotionen zurechtzukommen. ("Leaning On Love") Ein Radiosender hat das aufgenommen, aber sonst ist er nicht erhältlich. (doch, auf www.theteaparty.de, Anm. des Autors) Es war so, als ob ich mir einen Spiegel vorhalten würde. Der Track ist sehr ruhig, nur mit akustischer Gitarre und Gesang. Aber ich lebe jetzt nicht in Angst. Nimm zum Beispiel Janet Jackson und Destiny's Child. Die sagen jetzt Konzerte ab. Eigentlich finde ich das ja gut, wenn die nicht auftreten, aber wir werden das nicht tun, denn sonst hätten die Terroristen ja erreicht, was sie wollten.

Einige Texte auf "The Interzone Mantras" handeln von der Zerstörung purer Schönheit. Glaubst du nicht an diese Reinheit des Schönen?

Doch, natürlich. Ich erlebe es doch jeden Tag bei meiner Seelenverwandten, der Frau, mit der ich lebe. Ich habe auch einen Song darüber geschrieben ("White Water Siren"), der von reiner Schönheit handelt. Die kraftvollsten Songs, die ich schreibe, sind jedoch die, die von ernsten Dingen handeln. Es gibt Leute, die es viel besser drauf haben, schöne Liebeslieder zu schreiben, also überlasse ich denen das.

Auf dem neuen Album kommt der Sound um einiges rauher und ungeschliffener daher, als das noch bei "Triptych" der Fall war. Im Label-Info liest sich das als Reaktion auf die Meinung einiger Hörer, denen "Triptych" zu poppig war.

Das ist komplett falsch. Wir sind stolz auf "Triptych". Das war zu der Zeit eine Momentaufnahme der Band, und die Platte geriet genauso, wie wir sie haben wollten. Zwei Jahre später haben wir natürlich ganz andere Sachen im Kopf und wollten ein bodenständiges Rockalbum aufnehmen. Wir haben nachträglich manche Sachen eingefügt, wie zum Beispiel Streicher-Arrangements oder Gitarren-Overlays. Das ändert aber nichts daran, dass wir einfach nur sexy Rockmusik machen wollten.

Auf die deutsche Version von "Interzone Mantras" habt ihr "Walking Wounded" drauf gepackt. Findest du, dass er in den Kontext der Platte passt?

Nein. Ich möchte, dass jeder weiß, das "Walking Wounded" gar nicht auf das Album sollte und schon gar nicht an dem Platz in der Mitte. Das war ein Fehler, aber es war mein eigener und nicht der der Plattenfirma. Aber wenn man genau hinhört, wird man schnell feststellen, dass er nicht reinpasst. Der Sound ist ganz anders. Die Plattenfirma fand, dass es ein schönes Lied ist und dadurch, dass es in Deutschland nie veröffentlicht wurde, wollten sie es auf der Scheibe haben. Ich war auch damit einverstanden, also schiebt bitte mir die Schuld in die Schuhe.

"Must Must" wurde von Nusrat Fateh Ali Khan inspiriert. In letzter Zeit berufen sich einige Künstler auf ihn. Kannst du deine persönliche Begeisterung für seine Musik erklären und was dir daran wichtig ist?

Ich höre seine Musik ja schon eine kleine Ewigkeit, aber nicht im Bandbus. Du hast vorhin von reiner Schönheit gesprochen. Genau das ist die Anziehungskraft und Austrahlung seiner Musik und das wirkt natürlich sehr anziehend auf andere Künstler.

Es ist allgemein bekannt, dass du ein sehr spiritueller Mensch bist. An was glaubst du persönlich?

Schwierige Frage. Viel von dem, an was ich glaube, stammt aus der Kabbala (Strömung der jüdischen Mystik aus dem 13. Jahrhundert, Anm. d. Verf.). Ich glaube an das Gleichgewicht des Lebens. Daran, dass man Licht und Schatten in der Psyche des Menschen respektieren muss.

Und wie hält man sein Gleichgewicht in der heutigen Zeit?

Das ist schwierig, aber ganz unabhängig vom zeitlichen Rahmen, in dem wir uns bewegen. Spiritualität ist ein täglicher Kampf. Heutzutage vielleicht noch schwieriger, denn wir sind weiter weg von Gott - was auch immer Gott sein mag - als es vielleicht vorher in der Menschheitsgeschichte der Fall war.

"Soulbreaking" ist ein sehr erschütternder Track (das Stück handelt von einem anonymen Brief, den Jeff Martin von einem sechzehnjährigen Mädchen bekam, in dem sie schildert, wie ihre Seele zerbricht, weil sie von ihrem Vater sexuell missbraucht wird, Anm. d. Verf.). Wie haben dich die Zeilen des Mädchens berührt?

Ich musste weinen. Ich kann mich zwar nicht ganz in diese schreckliche Situation hineinversetzen, aber auch ich hatte böse Erfahrungen in meiner Kindheit und fühlte mich dem Mädchen sehr verbunden. Als ich den Brief gelesen habe, konnte ich ihren Schmerz und ihre Verwirrtheit fühlen. Da der Brief anonym ist, könnte ich ihr nicht einmal helfen, wenn ich es wollte. Vielleicht habe ich ihr und Mädchen, denen es ähnlich geht, ja durch den Song helfen können.

Spielt ihr ihn auch live?

Oh ja.

Was ist das für ein Gefühl?

Es ist sehr heavy.

Viel Glück und danke für das Gespräch.

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