laut.de-Kritik

Gut geölte Groove-Maschine oder blasse Selbstkopie? Ein Pro und Contra.

Review von

John Frusciante ist zurück in der Band - jetzt wird endlich wieder alles gut. Wirklich? Eberhard Dobler und Michael Schuh kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Pro und Contra:

Pro: Beeindruckendes Grooveerlebnis: mächtig, voll, kristallklar

Man mag die Kalifornier und ihre bald 40 Jahre andauernde, musikalische Evolution bewerten, wie man möchte, beim Refrain von "She's A Lover" fällt einfach die Kinnlade runter. Einer der besten ihrer Karriere. "Unlimited Love" zeigt, dass die Red Hot Chili Peppers in der Four-Piece-Traumbesetzung in einer eigenen Umlaufbahn rotieren: "Wir haben nur ein einziges Ziel: uns in der Musik zu verlieren." Dieses Bekenntnis fängt das 12. Studioalbum ganz gut ein. Tausende Stunden lang habe man sein Handwerk verfeinert, als Band, aber auch jeder für sich alleine. Anthony Kiedis, Flea, Chad Smith und der 2019 zum dritten Mal rekrutierte John Frusciante schwelgen schlichtweg in ihrer Musik. Diese Band ist sich selbst genug.

Wer die Chilis liebt, den verwirrt die neue Platte erst einmal. Fest steht einzig: "Unlimited Love" bringt einen neuen Dreh in den Sound. Zuweilen schwingt ein Jazz-Vibe mit, aber auch träumerische Passagen und experimentell anmutende Momente. Insofern zeichneten die Vorabauskopplungen "Black Summer", "Poster Child" und "Not The One" nicht das komplette Bild, beschreiten die Tracks doch tendenziell den Weg des geringsten Widerstands. Wobei das zarte "Not The One" dank melancholisch sphärischer, auf Pedal Steel-Guitar verweisender Licks sowie Voice-Box-Einsatz den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt.

Die beiden anderen Singles, vor allem "Black Summer", brechen den Funkrock dagegen herunter, wie er seit "Californication" etabliert ist. Doch selbst hier: Je länger man das relaxte "Poster Child" hört, desto mehr fällt die musikalische Qualität auf, der fein austarierte Untergrund sowie Frusciantes Funk-Lick-Patchwork mit unterschiedlichen Sounds und zunehmender Intensität. Die Red Hot Chili Peppers sind halt schon lange keine Singleband mehr. Der letzte Monsterhit datiert auf 2006: "Dani California". Eine Platte wie "Unlimited Love" hat mit der Gleichung potentielle Radiosingles plus Füllmaterial nichts zu tun.

Die Kompositionen sind in der Verschränkung der rhythmischen Figuren, ihrer vertikalen Arrangements, der Harmonien und vielen Melodien gelinde gesagt anspruchsvoll ausgeführt. Die spielerische Klasse der Protagonisten muss nicht mehr erwähnt werden. Aber natürlich: Frusciante, he's back. Unüberhörbar. Dabei prägt er den Sound gleich doppelt: Sein Ansatz, jeden Song mit sich ergänzenden oder geschichteten Licks und Melodien mit unterschiedlichsten Effekten und Sounds anzureichern, hält die Aufmerksamkeit oben und die Songs interessant. Daneben hörte man von ihm selten so starke Vocalmelodien wie in den Backingchören der Refrains.

Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, einzelne Tracks hervorzuheben. Da dies natürlich der persönliche Geschmack besorgt, wären wir wieder bei "She's A Lover" angelangt, das ein ungemein musikalisches Arrangement auszeichnet, ja, beim Refrain läuft einem geradezu ein Schauer den Rücken herunter: Das sollen die Peppers sein? So harmonisch? Fast möchte man den Taktstock in die Hand nehmen und dirigieren. Irre. Aber selbst hier bringt Frusciante noch ein körniges Rocksolo unter. Schlicht genial.

Auf der anderen Seite steht der trocken knackige Funkrock "One Way Traffic", der nur eine Richtung kennt, nach vorne. Sollte diese Nummer jemals im Autoradio laufen: sofort rechts ran, raus aus der Karre und auf dem Standstreifen hemmungslos abmoven. Beide Tracks beißen sich aus dem Stand in die persönliche Best Of. "One Way Traffic" und "Here Ever After" rollen zudem im tieferen Frequenzbereich, beide sind rhythmisch und perkussiv veranlagt. Das luftigere "Watchu Thinkin'" verfährt ähnlich und erweist sich dabei im Vergleich zur ersten Single "Black Summer" als interessanter. Insgesamt fällt auf, dass Smiths Big Hi-Hats aus dem Soundbild weitestgehend verschwunden sind. Dafür hört man eine volle und runde Bassdrum mit knackigem Wumms.

Die Produktion des ebenfalls ins Team heimgekehrten Rick Rubin erfüllt alle Wünsche: das totale Grooveerlebnis, mächtig, voll und kristallklar, man hört einfach alles. Rubin zog im Vorfeld der Veröffentlichung Parallelen zu "Stadium Arcadium", der Vergleich drängt sich beim ersten Hören nicht auf. Zumal man lustigerweise manchmal meint, in filigraneren Passagen den Nachhall Josh Klinghoffers zu hören. Sollte Rubin aber auf die stilistische Vielfalt anspielen, lässt sich der Vergleich eher nachvollziehen.

So fährt das funky "Aquatic Mouth Dance" im letzten Viertel ein chaotisch und improvisiert anmutendes Arrangement mit zwei Bläsern auf, das den eingangs erwähnten Jazz-Einfluss dokumentiert, den wohl Flea zu verantworten hat. Dann die Songs, die in vier Minuten Spielzeit quasi gleich mehrere vereinen: "Bastards Of Light" kennt Country/Folkrock, analogen Synthiesound und im letzten Drittel eine rüde Hardrock-Attacke.

Letztere hört man auch bei "These Are The Ways", was nach dem Balladenauftakt gar nicht abzusehen war. Man packt rein, was geht, selbst vermeintliche Gegensätze. Band und Produktion verknüpfen aber alles so reibungslos, dass es selbst bei Absurditäten Sinn ergibt. Etwa beim kitschigen "White Braids & Pillow Chair", das in einem seltsam sanften Doubletimepart endet. Nicht nur an dieser Stelle klingen die Peppers wie noch nie.

"The Great Apes", "Veronica" und "The Heavy Wing" gehören zu jenen teils vielschichtigen Peppers-Fingerübungen, die am Hörer auch vorbeirauschen können, gerade wenn sie betont anmutig vorgetragen werden ("It's Only Natural, "Tangelo"): Mucker-Dinger, die weniger auf die Masse abzielen. Eher sieht man vor dem inneren Auge die Band, wie sie die Köpfe über Arrangements, Riffs oder Songschnipsel zusammensteckt und überlegt, was denn so alles wie gehen könnte.

Das luftig lockere "Let 'Em Cry" zaubert mit Offbeat-Logik und Trompetenline wieder ein Lächeln ins Gesicht. Times change, es ist nicht mehr Vollgas-Party wie 1991, sondern 2022. Da lässt man sich im Zweifel lieber auf der Segelyacht den Wind ins Gesicht blasen. Beides geil. Frusciante zufolge ist in absehbarer Zeit sogar mit dem 13. Studioalbum zu rechnen: Man habe mit Rubin fast 50 Tracks aufgenommen. Bis dahin gilt, "Unlimited Love" wird für die einen nach Altherren-Funkrock klingen, aber ich habe Tränen in den Augen.

Pro-Review von Eberhard Dobler. Wertung: 4/5

Contra: Die beste RHCP-Coverband, die man zur Zeit bekommt

Nur 18 Sekunden Gitarre. Ein zart vorgetragenes, sich voran tastendes Lick, das seinen Urheber sofort überführt. Die erste Hörprobe von "Black Summer" im Januar gebührte allein dem Rückkehrer John Frusciante, mit dezenter Unterstützung von Flea. Kein Gesang war nötig, kein Schlagzeug, es war noch nicht mal ein Song, doch auf einen Schlag waren alle im Vorfeld kursierenden Zweifel am Gelingen dieser Reunion hinfällig.

Konnte es wirklich sein, dass dieser Mann das zum Wimmern verkommende Flehen der Rockwelt erhörte und sich von der ausschließlich ihm selbst einleuchtenden Bestimmung als Progressive-Synth-Pop-Prophet zugunsten ordinärer Gitarrenmusik entfernte? War er künstlerisch nicht längst auf einem anderen Planeten, zufrieden in der Rolle des missverstandenen Genies, übersättigt vom Applaus des Pöbels und Lichtjahre entfernt von 90er-Jahre-Nostalgikern mit Tribal-Tattoos und der allabendlich von Superstars in Multifunktionshallen abverlangten Dienstleister-Mentalität?

18 Sekunden lang ergab alles wieder Sinn. Er würde zu sich selbst zurück finden in dieser auf grüblerische Seelen spezialisierten Selbsthilfegruppe (Interessen: Meditation, Yoga, Funk, Universum), auf dass die "Unlimited Love" seiner Gitarre entweicht und sich mit der Kraft einer lebenslangen Freundschaft gegen all das Böse stemmt, das diese Welt seit seiner Rückkehr 2019 erdulden musste. Es ist eine schöne Erzählung. Leider fehlt das Happy End. Denn so wie der vollständige Song "Black Summer" dem Snippet nicht annähernd das Wasser reichen konnte, hinkt "Unlimited Love" den Erwartungen fast komplett hinterher.

Zumindest wenn man sich erhofft hatte, dass die Band im Vergleich zu "Stadium Arcadium" in irgendeiner Form eine Schippe drauflegt und den eigenen Soundkosmos ein bisschen weiterdenkt. Stattdessen präsentiert John in "Here Ever After", einem Rocksong in der Tradition von "Easily", ein hausbackenes Leadriff, das in einen sehr harmlosen Refrain mündet. Und es wird (erstmal) nicht besser: "Aquatic Mouth Dance" beginnt mit Flea'schem Bass-Porn, Fru akzentuiert gewohnt scharfkantig, Chad Smith spielt den Funk blind und Anthony Kiedis findet die richtige Melodie - das ist alles nicht neu, aber rhythmisch versiert und lässig vorgetragen, eben ihre ureigene Sound-DNA.

Der folgende Refrain erinnert dann aber an die langweiligsten Nummern auf "I'm With You", und man hätte ihn auch sofort wieder vergessen, ließe uns Flea gegen Ende mit einem in alle Richtungen treibenden Bläser-Arrangement nicht wissen, was für ein besessener Jazz-Fanatiker er ist. Ich hatte lange Mitleid mit Josh Klinghoffer, der fast schon gegen seinen eigenen Willen 2011 in Frusciantes übergroßen Fußstapfen herumirrte, mit "The Getaway" dann aber sein Reifezeugnis ablieferte. Er spielte sich frei von den Erwartungen, wie sein Mentor klingen zu müssen und erzeugte so vielleicht auch in seinen Kollegen eine gewisse Lockerheit.

"Unlimited Love" klingt dagegen oft verkrampft. Als wäre man ständig auf der Suche nach der alten Chemie. "Poster Child", ein sehr zurückgelehnter Funk-Jam, der so einfach strukturiert ist, dass man pausenlos auf den erlösenden Moment wartet, an dem alles Sinn macht. Der kommt aber nicht. Oder "The Great Apes": Der verzweifeltste Refrain, zu dem sich JF je herabgelassen hat. Sein herrlich spaciges Solo am Ende, das überhaupt nicht zum Rest zu passen scheint, dient leider nur der Ablenkung. Die Rock-Nummern funktionieren diesmal ohnehin nicht: "These Are The Ways" fügt ihrem Back Catalogue ebenfalls nichts hinzu, und weckt allenfalls Sehnsucht nach alten Platten.

Es ist schmerzhaft, ein Werk zu kritisieren, das John Frusciante mit seiner Magie berührt hat, um die Worte seiner Bandkollegen zu bemühen. Was genau sie damit meinen, entlädt sich schließlich in "She's A Lover". Plötzlich klappt alles: Der Trademark-Sound aus Gitarre, Bass und Drums konstruiert mit minimalsten Mitteln einen subtilen Funk-Groove, Kiedis säuselt bittersüße Pop-Vocals, dann Auftritt Frusciante. Sein "She's A Lover"-Chorgesang in der Bridge gepaart mit leichter Akkordverschiebung ist nicht von dieser Welt, so genial, das man fast den "Love me love me"-Refrain überhört, der mit leichtem Cardigans-Flavour ("Lovefool") auch sofort zündet. So und nicht anders hat man sich das Comeback nach dem Comeback gewünscht.

Ebenfalls sehr stark: "It's Only Natural", das so auch auf "By The Way" gepasst hätte, ihr von Frusciantes Doo-Wop-Harmonien geprägtes Pop-Meisterwerk. Auch hier sprudeln die Melodien aus dem Gitarristen nur so heraus, am Ende integriert er sogar mal eben Rod Stewarts "Baby Jane"-Akkorde. Auf "Not The One" nimmt er sich dann komplett zurück, die minimalistische Ballade verströmt fast schon Klinghoffer-Vibes; sie wäre wiederum auf "The Getaway" positiv aufgefallen, etwa neben "The Longest Wave", wo der Frusciante-Mustersschüler mehr nach seinem Chef klang als dieser jetzt hier.

Der Rest ist Stückwerk: "Whatchu Thinkin'" wacht erst im Refrain so richtig auf (inklusive mächtigem Ufo-Solo von John), im elektronischen Fundament von "Bastards Of Light" manifestiert sich eventuell Frusciantes jüngere Synthie-Begeisterung, doch sobald Kiedis im Refrain "It feels so good upon a saturday night" flötet, wähnt man sich in einem weichgespülten Fleetwood Mac-Song. Ideenarme Selbstkopien wie "One Way Traffic" (Refrain: "Ay oh way oh / Would you be my traffic jam"), die seichten Tracks "Let 'Em Cry" und "White Braids & Pillow Chair" sowie selbst das im Refrain von Frusciante gesungene (!) "The Heavy Wing" ändern am Gesamteindruck nichts mehr, dass dieses Quartett die beste RHCP-Coverband ist, die man zur Zeit bekommt. An viel zu wenigen Stellen dieser Platte wird der Eindruck widerlegt, dass "Stadium Arcadium" ein fantastisches Abschlusswerk gewesen ist.

Contra-Review von Michael Schuh. Wertung: 2/5

Trackliste

  1. 1. Black Summer
  2. 2. Here Ever After
  3. 3. Aquatic Mouth Dance
  4. 4. Not The One
  5. 5. Poster Child
  6. 6. The Great Apes
  7. 7. It's Only Natural
  8. 8. She's A Lover
  9. 9. These Are The Ways
  10. 10. Watchu Thinkin'
  11. 11. Bastards Of Light
  12. 12. White Braids & Pillow Chair
  13. 13. One Way Traffic
  14. 14. Veronica
  15. 15. Let 'Em Cry
  16. 16. The Heavy Wing
  17. 17. Tangelo

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41 Kommentare mit 61 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Die Wahrheit ist wie so oft wieder mal genau in der Mitte - weswegen ich irgendwie beiden Teilen der Rezension beipflichten muss.

    Denn was bei dem Album rausgekommen ist, ist: Gut! Vielleicht sogar sehr gut, wenn man es mit dem vergleicht, was zuletzt von denen gekommen ist, und mit vielem, das unberechtigterweise derzeit mehr Aufmerksamkeit kriegt.

    Aber: Wir haben es hier auch mit den Peppers zu tun, bei denen eine Zeit lang jedes Album eine Offenbarung war! Und es klingt tatsächlich nach den guten Alben, aber kein bisschen besser oder anders oder neu. Einfach die Trademarks nochmal zusammengewürfelt und gute Musik gemacht. Doch die Über-Ideen, oder auch Über-Tracks, die dann auch den Leuten gefallen, die nicht Rock-Nerds sind, und zurecht Heavy-Rotation im Radio kriegen, fehlen komplett. Deshalb finde ich die Einstufung "Beste Peppers-Coverband der Welt" doch recht passend.

    Macht aber nix, denn die Lieder mag man doch auch nach mehrmaligem Anhören, und darum geht's letztendlich

  • Vor einem Jahr

    Lustig, wie der Geschmack hier teils wieder auseinander driftet. Das von beiden Rezensenten hochgelobte She's a Lover fand ich bestenfalls beim ersten Durchlauf halbwegs spannend, spätestens nach dem Dritten nur noch langweilig. Der vermeintliche Gänsehautrefrain ist einer der ödesten auf der ganzen Platte. Meine Highlights sind das auf ganzer Länge ultralässige und mitreißende Watchu Thinkin, was sie in Köln leider nicht live gespielt haben, sowie Here ever After und These are the ways. Insgesamt kann ich aber jedem Song etwas abgewinnen, wirklich langweilig wird es nie. Okay, Aquatic mouth dance ist etwas anstrengend. Unterm Strich gefällt mir die zweite Hälfte des Albums etwas besser als die erste. Auf dem Konzert haben sich die neuen Songs jedenfalls bestens eingefügt neben den alten Klassikern. Gut gemacht!

    • Vor einem Jahr

      Das mit She's a Lover ist mir auch aufgefallen. Das habe ich auch nicht verstanden, ebenso fand ich Watchu Thinkin ganz nice. Aber It's only Natural / The Heavy Wing in Köln waren live gnadenlos fett.

  • Vor einem Jahr

    Leider sehr, sehr lahm. Da ich die Alben mit Josh mochte (vor allem das zweite) ist dies hier echt eine Enttäuschung.