15. Juli 2020

"Es geht nicht um Rassismus, sondern um Macht"

Interview geführt von

Der Musiker, der sich auf kein Genre festlegen will, veröffentlicht mit "The Cause Of Doubt And A Reason To Have Faith" sein drittes Album, für das er seine bisherigen Planungen über den Haufen geworfen hat.

L.A. Salami ist von außen betrachtet genau so sehr Poet wie Musiker. In seinen Songs verhandelt er gesellschaftliche Probleme ebenso wie Liebe und private Angelegenheiten, immer gewitzt und wortgewandt und immer mit viel Gefühl. Im Zoom-Interview erzählt der Londoner vor der Veröffentlichung von "The Cause Of Doubt & A Reason To Have Faith" von lange gehegten Plänen, die er mit seinem neuen Album über den Haufen geworfen hat, warum er trotz Polizeigewalt und Pandemie optimistisch bleibt und welche politischen Entwicklungen ihn trotzdem sehr besorgt machen.

Man merkt, dass er ganz viel zu sagen hat, dass er aber gleichzeitig darauf bedacht ist, alles bestmöglich auszudrücken. Oft hält er inne und sucht nach dem passendsten Ausdruck, mehrmals entschuldigt er sich, weil er das Gefühl hat, man könnte ihm nicht folgen. Seine Beobachtungen über die Gesellschaft, etwa im Song "Things Ain't Changed", wirken plötzlich nochmal viel aktueller, wenn man in die USA schaut, wie er selber zugeben muss.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album! Ich finde es ist sehr gut gelungen, du wahrscheinlich auch. Immerhin hattest du dieses Mal alle Zügel selbst in der Hand.

Das ändert sich ständig, ob es mir gefällt oder nicht. Aber ich schließe sehr schnell ab mit dem, was ich veröffentliche und dann muss ich, irgendwie, direkt ein weiteres Album machen. Es ist schwer zu erklären. Aber ja, diesmal hatte ich mehr kreative Freiheiten. Die anderen Alben sind nicht ... so präsentiert, wie ich mir das wünsche. Ich denke es schadet dem einzelnen Song, wenn er nicht mit den Songs gemeinsam veröffentlicht wird, mit denen er eigentlich zusammengehört. Psychologisch gesehen.

Das ist ja eigentlich überall so, wenn man ein Buch schreibt, eine Platte aufnimmt oder ein Gemälde malt. Jeder Satz, jeder Pinselstrich ergibt zusammen mit dem, was davor war und dem, was danach kommt Sinn, weißt du?

Und die sieben Songs des neuen Albums, die gehören genau so zusammen?

Ja, dieses Album wollte ich so haben.

Mit dem Song "The Talis-man On The Age Of Glass (Redux)" hast du einen alten Song nochmal neu aufgenommen. Denkst du auch darüber nach, andere alte Songs zu überarbeiten, zum Beispiel von der EP "The Prelude"?

Das ist genau das, was ich meine. Also, wenn ich darüber rede, wie die Songs eigentlich zusammen gehören. "The Prelude" heißt so, weil jeder Song quasi ein eigenes Album andeutet, verstehst du? Es gibt Songs auf den Alben danach, die eigentlich mit Songs von "The Prelude" zusammengehören. Zum Beispiel gehören eigentlich "Nazis On The Northern Line", "Jean Is Gone" und "Brick Lane" zusammen, weil sie alle in die selbe Sound-Kerbe schlagen. Ich hoffe, dass ich die Songs irgendwann nochmal so veröffentlichen kann, wie ich das will. Wenn du dir die Songs zusammen anhörst, ist es deutlich intensiver. Weil der Sound ein sehr spezifischer ist, ein verspielter Sound, aber mit düsteren Lyrics. Nur die Realität davon, Musik zu veröffentlichen, ist, dass es ein Geschäft ist, mit Labels und so.

Bei meinem zweiten Album "The City Of Bootmakers" brauchte ich einen Song, der die beiden thematischen Stränge verbindet und deswegen habe ich "Talis-man" gewählt. Den Song habe ich im Flugzeug geschrieben, als ich auf dem Weg ins Studio war, um den Rest des Albums aufzunehmen.

"The Cause Of Doubt And A Reason To Have Faith" ist dein vielseitigstes Album, mit "The Cage" gibt es sogar einen Rap-Song. Wie kam das zustande?

Ich habe das schon immer gemacht, es ist nur ... Ich glaube, so arbeiten die meisten Künstler. Das was veröffentlicht wird, ist in der Regel überhaupt nicht mehr repräsentativ für den kreativen Zustand des Künstlers, also zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Es sei denn natürlich, man ist in der luxuriösen Position, so wie Kanye West, dass man alles direkt veröffentlichen kann. Mit den meisten hand-to-mouth Künstlern ist es aber so, dass es da eine Verzögerung gibt. Als ich meine erste Platte veröffentlicht habe, hatte ich eigentlich schon wieder ganz andere Sounds für mich entdeckt.

Über das neue Album kann ich aber sagen, dass ich dieses Mal auf Pläne verzichtet habe. Ich habe nicht so sehr an Dingen festgehalten und mich entschlossen, einfach mehr im Moment zu sein. Ich habe diesen stringenten Plan beiseite gelegt, den ich eigentlich für meine Alben habe. Ursprünglich war das Album auch nur als EP geplant, deshalb durfte ich überhaupt so frei agieren. Weil eine EP nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommt, wie ein Album, hat man mir erlaubt zu machen, was ich machen wollte. All die Alben, die ich schon geschrieben habe, die aber noch nicht veröffentlicht sind, habe ich also erst mal vernachlässigt und das hier gemacht.

"Die Menschheit entwickelt sich in eine positive Richtung."

Deine neue Vorgehensweise funktioniert auf jeden Fall.

(Lacht) Ja, ich muss was zum Timing sagen. Ich glaube, ich habe das Album schon vor einem Jahr fertig produziert und ich wollte es sehr schnell veröffentlichen. Aber das funktioniert so natürlich nicht. Und dann hat das, was auf der Welt passiert ist, erst nicht mehr gepasst und dann plötzlich wieder sehr, zu dem, was ich zu sagen habe. Es passt perfekt, jetzt, vom Timing.

Ja, darüber wollte ich auch mit dir reden. Am #blackouttuesday ist "The Cage" erschienen, auf Instagram hast du an dem Tag sehr viel gepostet und klangst dabei sehr pessimistisch über den Protest. Ich habe mich dann an ein Zitat von dir erinnert: "Ich bin ein Optimist, aber ich sehe schon was scheiße ist." Würdest du dich immer noch als Optimist bezeichnen?

Ich verstehe nicht… Na ja, ich verstehe schon, wie Menschen pessimistisch sein können. Die Menschheit – wenn man mal einen Schritt zurücktritt und sie als objektiver Beobachter betrachtet – entwickelt sich in eine positive Richtung. Wir leben in vergleichsweise friedlichen Zeiten. Der Grund dafür, dass der Mord an George Floyd nun das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ist Technologie. So wie beim arabischen Frühling, das hing auch mit der modernen Technologie zusammen. Zum Beispiel mit dem 'Blackouttuesday', das ist passiert innerhalb ... eines Tages? Weißt du, jeder kommuniziert darüber. Und alle machen mit, dabei ist es nur eine Geste. Die Musikindustrie nimmt sich diesen Tag und macht ihn zu einem Tag der offiziellen Geste, das war das, was mich genervt hat. Weil es nur leeres virtue signaling ist.

Auf der negativen Seite habe ich auch gesehen, wie die guten Proteste nach dem Tod von George Floyd, in denen es um institutionellen Rassismus und Macht ging, sich weiterentwickelt haben. Plötzlich wurden dann Fernsehsendungen abgesetzt, worum niemand gebeten hat. Und dann ging es darum, ob eine Winston-Churchill-Statue abgerissen werden sollte. Das sind alles Dinge, die sehr wenig mit der Debatte um institutionellen Rassismus zu tun haben. Das sind alles, wie man in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hat, leere Gesten. Und das kommt von den Institutionen, die die eigentlich Probleme weiter perpetuieren. Durch die leeren Gesten rücken sie die großen Probleme beiseite, setzen Serien ab und fragen: "Ist es nun besser?" Aber nein, darum geht es nicht, aber… wie auch immer.

Aber bist du nun optimistisch?

Ja, ich meine, wenn man lange genug drüber nachdenkt, dann kann ich gar nicht verstehen, wie man nicht optimistisch sein kann. Was mich allerdings pessimistisch macht, ist das, was sich durch die Intentionen der - mir fällt kein besserer Begriff ein - 'Progressiven' ausdrückt, also es geht wieder um das Institutionelle. Wenn man beim Fall von George Floyd mal Rassismus wegnimmt, dann sieht man einen Mann mit Macht, mit einem Abzeichen, der keine Angst vor einer Bestrafung hat, der deshalb auf diese Art und Weise diskriminieren kann. Aber das hat weniger zu tun mit Rassismus, als viel mehr mit Macht. Und das sehen wir immer wieder, darum ging es auch beispielsweise in der Bankenkrise. Da stehen Leute quasi auf unserem Nacken und fragen: 'So what?'

Wir sehen also Machtdemonstrationen und der Rassismus ist nur ein Symptom davon. Es ist nur einfach sehr offensichtlich und verständlich für die Leute, aber die ganze Machtsache, die hat zu tun mit der Klasse und der Position und ganz viel Geschichte. Das ist für die Menschen nur schwerer zu verstehen. Und was mich pessimistisch werden lässt, ist auch, dass immer mehr Menschen einfach gecancelled werden, für das, was sie vor ein paar Jahren gesagt haben. Und dadurch kann keine Diskussion entstehen. Das ist das, was zu Trump und zum Brexit geführt hat. Die Leute, die für Trump oder den Brexit gestimmt haben, das waren die, die vorher zum Schweigen gebracht wurden. Hier in England zum Beispiel wurde etwas gegen Immigration zu haben gleichgesetzt mit Rassismus, was so nicht stimmt.

Jedes Land hat Grenzen und wenn sehr viele Menschen in ein neues Land kommen, dann wird die Arbeiterklasse dieses Landes ängstlich und wütend. Aber wenn sie das Thema aufbringen, werden sie als Rassisten abgestempelt, anstatt dass man ihnen zuhört. Dann sind sie für einige Jahre leise, bis irgendwann ein charismatischer Demagoge auftaucht, der das sagt, was bisher nicht gesagt werden durfte. Ich habe das Gefühl, dass die Leute nicht aus der Vergangenheit lernen und das macht mich pessimistisch.

"Ich schreibe ja über kein Thema kaltherzig, sondern weil ich etwas darüber fühle."

Wenn ich deine Songs höre, zum Beispiel den Titeltrack des neuen Albums, habe ich das Gefühl, dass öfter Thema ist, dass man in eine bestimmte Situation geboren wird und dann das Beste daraus machen sollte. Ist das tatsächlich ein Punkt, der dir wichtig ist?

Das ist eine der fundamentalen Wahrheiten des Lebens (lacht). Ich habe alle möglichen Arten von Rassismus erlebt, während ich groß geworden bin, aber ich habe nie gedacht, dass jeder Rassist alle weißen Menschen repräsentiert. Es ist eher ein Symptom der Geschichte und der Umgebung, in der man aufwächst. Es ist ein Symptom davon, nicht in einer Utopie zu leben, in der es nur gute Menschen gibt. Natürlich gibt es schlechte Menschen, Rassisten, aber die sind einfach Arschlöcher, die muss man aber nicht mit der Welt gleichsetzen. Die Gefahr ist es, genau das zu tun und dann in eine Rache-Stimmung zu kommen. Wenn man sich so fühlt, als wäre man immer ein Opfer und wenn das auch durch die Massenmedien vermittelt wird, wenn mir als schwarzer Person immer wieder vermittelt wird, dass meine Hautfarbe der Grund dafür ist, wenn mir etwas schlechtes passiert… Dann wird jede meiner Interaktionen darauf basieren, dass ich schwarz bin, verstehst du?

Das ist genau das Gegenteil davon gleich zu sein und Einheit zu schaffen. Man sollte von der Menschheit als einem Kollektiv denken, anstatt dass man sich durch seine Individualität davon separiert. Also man sollte seine Individualität innerhalb der Menschheit finden, aber sich wegen ihr nicht von der Menschheit separieren. Tut mir leid, falls das keinen Sinn ergibt (lacht).

Doch, ich kann dir folgen. Es gibt auf dem Album auch zwei Songs, die weniger die Gesellschaft oder politische Themen behandeln und eher persönliche Erfahrungen und Gefühle schildern: "Dear Jessica Rabbit" und "Thinking Of Emiley". Fühlst du dich diesen Songs näher als anderen?

Nein, da gibt es keinen Unterschied. Weil alle meine Songs für mich emotionale Songs sind. Leute bezeichnen sie oft als politische Songs, aber das sind sie für mich nicht. Ich werde einfach genau so emotional, wenn es um die Probleme der Welt geht, wie wenn ich über Herzschmerz oder Liebe singe. Ich fühle etwas deswegen, also singe ich, was ich fühle. Das ist so, wie wenn ich in meinem Privatleben etwas fühle, dann sage ich das auch. Ich trenne diese beiden Welten nie wirklich voneinander. Also schreibe ich keine politischen Stücke, ich weiß auch nicht, was ein politischer Song ist. Ich schreibe ja über kein Thema kaltherzig, sondern weil ich etwas darüber fühle.

Ja, ich habe gelesen, dass du dich generell als Beobachter beschreibst und über das, was du beobachtest, dann auch schreibst.

Genau, wenn man etwas beobachtet, dann fühlt man auch etwas deswegen und dann schreibt man es nieder.

"Thinking Of Emiley" ist der kürzeste Song des Albums. Woher weißt du, wann ein Song fertig ist?

Ein Song ist dann fertig, wenn er gesagt hat, was er sagen soll. Mit dem Emiley-Song, den habe ich quasi einfach vor Ort geschrieben, während dem Aufnehmen. Ich habe das Mikro einfach auf das Klavier gerichtet und mit den Akkorden rumgespielt und ja ... das war dann ernsthaft die erste Aufnahme und ich habe mir den Text während dem Spielen überlegt. Das kam direkt von Herzen und als ich fertig war, war der Song fertig. Aber bei anderen Songs ist es so: Wenn du etwas Bestimmtes sagen willst, dann ist der Song erst fertig, wenn du alles dazu gesagt hast. Also für mich persönlich geht es immer darum, was man in dem Stück sagen will. Ergibt das Sinn?

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