6. August 2019

"Wir sprengen die Grenzen des Stoner Rock"

Interview geführt von

Ursprünglich im beinharten Doom Metal und im Stoner Rock beheimatet, zählen Elder heute zu den innovativsten und spannendsten Bands eines Genres, das sich allzu oft in der mantraatigen Huldigung des ewig gleichen Gitarrenriffs verliert. Mit ihren aktuellen Releases beweisen die versierten Musiker Mal um Mal, dass sie dem eng gestrickten Korsett ihres Genres längst entwachsen sind.

Dreizehn Jahre dauert die musikalische Reise der Heavy-Psycher aus Boston, Massachusetts bereits an. Frontmann Nick DiSalvo gründet die Band 2006 zusammen mit Bassist Jack Donovan und Schlagzeuger Matt Cuoto. Nach drei Studioalben findet die Band mit "Lore" den Weg zu ihrem ganz eigenen Sound, den sie seitdem konsequent ausarbeitet und weiterentwickelt. 2017 kommt mit Mike Risberg ein zweiter Gitarrist hinzu. Mit dieser Besetzung nehmen sie noch im gleichen Jahr ihr Opus Magnum "Reflections Of A Floating World" auf.

Im Juni beenden sie die auf mehrere Abschnitte ausgelegte Tour dazu. Nur wenige Wochen später erscheint ihre neue EP "The Gold & Silver Sessions". Die Aufnahmen fanden 2018 während einer Tourpause in Berlin im Big Snuff-Tonstudio des ehemaligen Bassist von Samsara Blues Experiment statt. "The Gold & Silver Sessions" ist eine Hommage an den improvisatorischen Charakter des Krautrock und der Berliner Schule der 1970er Jahre. Gründe genug, uns mit Mastermind Nick DiSalvo zum Telefoninterview zu verabreden.

Ihr habt gerade eure letzte Tour innerhalb von Europa beendet, wie ist es denn gelaufen?

Alles in Allem lief es super. Zwar waren wir in für uns komplett fremdem Territorium unterwegs, weswegen es etwas holpriger als bei den meisten anderen Tourneen lief. Aber wir waren dieses Mal hauptsächlich in Osteuropa, und dort ist es szenetechnisch und auch infrastrukturell ein bisschen anders, als wir es in Westeuropa gewohnt sind. Es war also irgendwie eine kleine Abenteuerreise.

Wie meinst du das?

Wir wollten schauen, ob es in den osteuropäischen Ländern eine Szene für uns gibt. Wir haben dann wirklich sehr gute Shows dort gespielt und hatten echt viel Spaß dabei. Allerdings war die Anreise in einigen Fällen etwas problematisch, weil es oft keine Autobahnen gab. Auch die Technik in den Clubs entsprach oftmals nicht den gewohnten Standards. Aber es hat echt Spaß gemacht und das ist ja eh die Hauptsache bei uns.

Elder beschreibt ihr selbst als "Definition eines ständig fortschreitenden Prozesses". Wie würdest du eure Entwicklung von der ersten EP, die ihr 2006 gemeinsam mit Queen Elephantine veröffentlicht habt, bis heute beschreiben?

Ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass wir die Band auf einer sehr stumpfen Grundlage gegründet haben, denn wir wollten eigentlich nur unseren Jugendhelden wie EyeHateGod, Electric Wizard und Sleep nacheifern. Es ging damals auf der ersten EP rein um Sludge und Doom. Wir entschwebten dem aber relativ schnell und haben verstärkt Stoner Rock und psychedelische Elemente in unsere Musik mit einbezogen. Über die Jahre haben wir viele verschiedene Genres wie Classic Rock, Hard Rock, Krautrock, verschiedene Spielarten psychedelischer Musik sowie die Elektronische Musik für uns entdeckt. Ich selbst mag den norwegischen Produzenten Prins Thomas sehr. Er hat eine komplette Platte der schwedischen Band Dungen als Remix veröffentlicht. Über diese Platte bin ich auf seine Solosachen gekommen. Er macht eine schöne Mischung aus 70er und 80er Elektronika, wie man sie zum Teil auch aus der Krautrock-Szene kennt. Beim Komponieren versuche ich immer, diese ganze Vielfalt an Einflüssen zu berücksichtigen. Das hat zur Folge, dass wir uns stark von unseren Ursprüngen entfernt haben und immer mehr in Richtung experimenteller Rockmusik gehen.

Wie hat sich dieser Entwicklungsprozess auf das Songwriting ausgewirkt, wenn ihr heute beginnt, an neuen Stücken zu schreiben? In eurem Fall dürfte sich das kompliziert gestalten. Ihr wohnt ja mittlerweile alle in unterschiedlichen Orten auf verschiedenen Kontinenten. Du lebst in Berlin, der Rest der Band in den USA ...

... genau. Tatsächlich wohnt jetzt die Hälfte der Band in Berlin. Unser zweiter Gitarrist Mike Risberg hat ein Künstlervisum bekommen und ist deswegen seit ein paar Monaten ebenfalls in der Stadt ansässig. Wir müssen jetzt erst einmal schauen, ob er eine Beschäftigung findet und für wie lange er sein Visum letztlich haben wird. Er will jedenfalls solange bleiben, wie er nur kann. Ich persönlich hoffe natürlich, dass die Hälfte der Band hier in Berlin fortbestehen kann.

Das heißt, mit der anderen Hälfte der Band arbeitet ihr, auch hinsichtlich des Songwritings, viel über das Internet und schickt euch gegenseitig Soundideen zu?

Ja. Das wirkt sich gehörig auf den Songwriting-Prozess aus. Als wir Elder gründeten, haben wir alle nah beieinander am gleichen Ort gewohnt und gingen dort auf die High School. Im Verlauf der nächsten Jahre studierten wir zwar alle, aber wir wohnten weiterhin so dicht an einem Fleck, dass wir uns jederzeit persönlich sehen und gemeinsam im Proberaum anhängen konnten. Das hörst du den Songs auch an, denn sie klingen organischer und jammiger. Unser gleichnamiges Debüt und den Nachfolger "Dead Root Stirring" haben wir gemeinsam komponiert. Eben jene Sachen, die im Stoner Rock wurzeln. Die jetzige räumliche Trennung hat viel Einfluss auf die kreative Arbeit. Seit 12 Jahren pendle ich schon zwischen Deutschland und den USA hin und her. Sieben davon habe ich quasi komplett in Deutschland verbracht und die letzten Jahre bin ich dauerhaft in Berlin. Seit dieser räumlichen Trennung von meinen Bandkollegen habe ich selbst ganz viel alleine zuhause in meinem selbstgebastelten Homestudio komponiert.

Das war natürlich etwas schwierig für mich, da ohne den Input der anderen immer die Gefahr bestand, dass sich die Songs in einem zu beschränkten Spektrum bewegen. Gleichzeitig hat es mir aber auch eine gewisse Freiheit gegeben. Ich konnte mich austoben und alles auszuprobieren, was ich nur wollte. Dadurch kamen auch die progressiven Elemente dazu. Wenn du nur zuhause alleine arbeitest, dann kannst du natürlich so viel schreiben wie du willst und immer wieder nochmal etwas hinzufügen. Ich habe dadurch den Hauptteil des Songwritings übernommen und komponiere fast alles für Elder. Wir mussten alle lernen, damit umzugehen und uns Wege erarbeiten, durch die wir in einer Art Live-Stadium testen können, ob das Material auch funktioniert. Bisher hat das, bis auf wenige Ausnahmen, ganz gut geklappt.

Auf welche Songs spielst du an?

Es gibt ein paar Songs, bei denen wir das Niveau im Vergleich zur Studioversion einfach herunterschrauben mussten. Auch mit jetzt mittlerweile vier Bandmitgliedern können wir live einfach nicht alle Songs so überzeugend rüberbringen, wie sie auf dem Album klingen. "Staving Off Truth" von "Reflections Of A Floating World" ist ein gutes Beispiel dafür. Für den Track haben wir teilweise zwei Gitarren und zusätzlich manchmal sogar zwei Keyboards aufgenommen. Mit acht Händen kannst du das live einfach nicht genau so spielen, wie es dann auch klingen soll. Wir mussten also die entsprechenden Songs so anpassen, dass sie, im Vergleich zu den Studioversionen, live wenigstens halbwegs überzeugend rüberkommen. Das ist manchmal so eine Art Zwischenspiel. Ich glaube aber, dass den meisten Konzertbesuchern gar nicht auffällt, wenn irgendwas in den Songs fehlt (beide lachen).

Das heißt also, ihr habt ein ganz spezielles Verhältnis zwischen Jams und auskomponierten Ideen?

Genau. Die Jams können ja nur live auf der Bühne oder im Proberaum stattfinden und gerade die Proberaumsituationen ergeben sich bei uns leider nur selten. Zum Proben treffen wir uns eigentlich nur unmittelbar vor einer Tour in den Staaten oder in Berlin. Wir versuchen, für jede Tour neue Jam-Elemente einzubauen. Dafür wählen wir immer ein paar Songschnipsel aus, innerhalb derer wir uns einerseits ausleben und andererseits gut zum eigentlichen Lied zurückkommen können. Im aktiven Songwriting-Kontext ergibt sich das aber leider fast nie.

Woher kommt eigentlich deine Präferenz für lange Songs? Ihr überschreitet ja oftmals die Zehn-Minuten-Marke. Ganz aktuell habt ihr auf der neuen EP "The Gold & Silver Sessions" mit "Weißensee", der es auf epische 18 ½ Minuten Spieldauer schafft, den längsten Song eures Backkataloges überhaupt veröffentlicht.

Das kann ich dir gar nicht wirklich sagen. Irgendwie hat sich das bereits in den ersten Jahren mit Elder so entwickelt. Wahrscheinlich, weil wir viel von dem Kram, den wir gerne hörten, auch nachgespielt haben. Das waren eben vorzugsweise lange Songs. Allem voran natürlich die Electric Wizard und Sleep-Sachen, bei denen sich die Riffs einfach immer wiederholt haben. So kommst du natürlich auf eine gewisse Songlänge. Das Ausdehnen von Ideen hat uns auch nicht losgelassen, als wir anfingen unseren eigenen Sound zu entwickeln. Ich habe zwar versucht, kürzere Songs zu schreiben, aber da konnte ich meine Ideen nicht so überzeugend zur Geltung bringen. Unser Ziel ist es, musikalische Reisen zu erschaffen. Da ist es wichtig, dass die einzelnen Ideen Zeit haben, sich zu entwickeln und zu entfalten. Diesen Raum findest du nicht im drei oder vier Minuten-Format. Ich habe es zwar versucht, aber ich habe einfach nicht das Talent dafür, kurze Songs zu schreiben (lacht).

Ja, lange Songs ermöglichen es einem, wesentlich besser in eine Art Klangkosmos einzutauchen. Das funktioniert bei eurer neuen Scheibe super. Welches Grundprinzip hattet ihr euch denn dafür bereit gelegt?

Eigentlich wollten wir zwischen unserer letzten LP und der gerade entstehenden gar nichts Neues veröffentlichen. Aber Jadd Shickler von Blues Funeral Recordings, dem Label, über das die EP erschienen ist, fragte uns, ob wir Interesse an seinem neuen Projekt PostWax hätten. Er bringt darauf eine Reihe von EPs oder Alben verschiedener Bands aus der psychedelischen Szene heraus, die alle anderthalb Monate in einer Art Vinyl-Abonnement verschickt werden. Die Plattform bietet allen beteiligten Bands den künstlerischen Freiraum, etwas Experimentelles außerhalb ihres gewohnten Rahmens zu schaffen. Wir hatten im letzten Herbst in Berlin eine fünftägige Pause während unserer Vorbereitungen für die damalige Tour. Also sagten wir zu. Das war auch für uns mal etwas anderes. Normalerweise schreiben wir unsere Alben und Songs ganz bewusst nach einem losen Konzept. Wir hielten es also für eine witzige Idee, ein paar Songs innerhalb kürzester Zeit so zusammenzubasteln, dass wir sie auch in diesen fünf Tagen im Big Snuff-Studio aufnehmen und mischen konnten. So entstand das Material. Ein paar Ideen davon existierten bereits für ein Soloprojekt von mir. Aber dieses Projekt wurde nie wirklich realisiert.

Du meinst wahrscheinlich das "Gold & Silver" Side-Projekt, unter dem du mit Mike Risberg die Demo "Azurite & Malachite" aufgenommen hast?

Genau. Das war auch der Grund, weswegen wir die neue EP "The Gold & Silver Sessions" genannt haben. "Azurite & Malachite" habe ich mit Mike 2012 aufgenommen. Das war noch vor seinem Einstieg bei Elder. Auf dem Vorgänger "Reflections Of A Floating World" hat er zwar mitgespielt, aber die Parts dazu habe alle ich geschrieben. Auf der aktuellen EP hat Mike seinen einzigartigen Sound zum ersten Mal mit eingebracht. Das ist wichtig, denn die Hörer sollen wissen, dass es sich bei der EP nicht um eine normale Elder-Platte handelt. Sie sollen wissen, dass es keine progressiven und auskomponierten Songs sind, sondern eben Jams – wir wollen da niemanden enttäuschen.

Die Gefahr von Enttäuschungen besteht bei Projekten dieser Art natürlich immer. Ich finde aber, dass euch die EP bestens gelungen ist. Vermutlich habt ihr euch für die Jams stark von Can, Kraftwerk und Neu! beeinflussen lassen? Jedenfalls musste ich beim Hören immer wieder an diese Bands denken.

Das denkst du dir genau richtig. Für uns ist die Musik dieser Bands ganz große Kunst und mit Elder haben wir einfach nicht wirklich die Gelegenheit, auch mal etwas in dieser Richtung auszuprobieren. Daher war es spannend, das jetzt mit dieser EP zu tun.

Inwiefern wären solche Songs auf einem regulären Studiorelease nicht möglich gewesen?

Auf einer normalen Platte würden wir uns so etwas einfach nicht erlauben. Auf unseren Studio LPs sind wir ziemlich konsequent und wollen immer erste Sahne herausbringen. Wir wollen nur durchdachte Songs, die wirklich vollendet sind auf Platte haben. Deswegen hätte es die drei Jams nie auf einer Studio LP geben können. Abgesehen vom Jam-Track "Sonntag" auf der letzten LP "Floating World". Mit diesem Track hatten wir uns nach langer Überlegung einen kleinen Spaß erlaubt. Eine ganze LP mit Studiojams herauszubringen, das wäre für uns undenkbar. Aber es war super, dass Jadd uns danach gefragt hatte. Es war aber eine gute Erfahrung für uns, die EP daraufhin zu realisieren. Wir sind ganz locker an die neue EP herangegangen und haben Musik um der Musik Willen gespielt. Es tat unheimlich gut, mal nicht das Komplizierteste zu machen. Für uns war das irgendwie eine Reise in die alte Zeit, in der wir uns einfach so im Proberaum zum Jammen trafen. Wenn ich mir das Feedback so ansehe, dann kam das bisher erstaunlicherweise auch gut an.

Die EP ist rein instrumental gehalten. Normal geben Texte als fundamentaler musikalischer Bestandteil ja die Thematik eines Albums vor. Auf den vorherigen Platten seid ihr mit Texten immer sehr sparsam umgegangen. Wie wichtig sind euch Lyrics?

Für mich sind Texte auf jeden Fall ausschlaggebend für den Sound von Elder und auch für uns als Band. Wir könnten nicht ohne Texte existieren, da unsere Musik sehr pathetisch ist. Sie soll Emotionen auslösen. Für mich persönlich wäre es sehr verwirrend, eine solch emotionale Musik ohne Texte zu hören. Ich möchte wissen, was im Kopf des Komponisten beim Schreiben passiert. Unsere Musik ist immer stark mit einem konzeptartigen Leitfaden verbunden und gerade auf unseren letzten Alben gab es so eine gewisse Thematik, die durch die Platten hindurch zu hören war.

"Diese braune Kacke kommt leider immer wieder auf."

Was war dein Leitfaden auf "Lore" und "Reflections Of A Floating World"?

Beide Alben und deren Texte wurden während einer Zeit meines Lebens geschrieben, zu der ich mich viel mit Spiritualität und den großen Fragen des Seins beschäftigt habe. Die Inhalte von "Lore" drehen sich ganz unspezifisch um Spiritualität und die daraus entstandenen Mythen, mit denen die Menschen versuchen, die Geheimnisse des Lebens zu erklären. Auf "Reflections" ging es vielmehr darum, meine ganz eigenen Überlegungen in einem unpersönlichen Format zu beschreiben. "Reflections" handelt davon, wie man in einer abgefuckten Welt ohne Sinn einen Wert für sich selbst entwickeln kann.

Was genau verstehst du unter einer "abgefuckten Welt"?

Es kommt mir einfach so vor, als dächten die allermeisten Menschen, dass die Probleme in ihrer eigenen kleinen Welt zu ihrer jeweiligen Lebenszeit die wichtigsten und ausschlaggebendsten für den Fortbestand der Menschen seien. Aber ich (betont) glaube persönlich, dass wir momentan tatsächlich vor den schwierigsten Problemen überhaupt stehen. Kurz gesagt: Überall wo ich hinschaue, sehe ich die Vorboten der mutwilligen Zerstörung unserer Welt. Das kann man jetzt interpretieren wie man will. Nicht nur umwelttechnisch. Egal ob man jetzt in den Staaten, in Europa oder ganz spezifisch in Deutschland wohnt. An so vielen Orten siehst du Aufmärsche von der rechten Seite, von dieser braunen Kacke, die leider immer wieder aufkommt. Ich kann manchmal kaum glauben, wie selbst Freunde, Kollegen und Leute mit denen ich großgeworden bin, die Welt zum Teil so stark anders sehen können als ich. Fast so, als wären Fakten nicht mehr wirklich wichtig. Das sind die Sachen, die mich richtig abfucken.

Ja, viele Menschen scheinen einfach nur noch eine Art stumpfen Solipsismus zu leben, und durch diese Ich-Fixiertheit den so wichtigen Blick und das Gespür für das große Ganze zu verlieren. Egal, ob das jetzt umwelttechnische-, soziale-, oder politische Fragen sind ...

... ja, so erscheint es mir auch. Ich muss aber auch dazu sagen, dass die Thematik auf dem Album nicht nur mit den großen Problemen der Welt oder sozialen und politischen Fragen zu tun hat. Da spielt natürlich auch meine ganz persönliche Weltanschauung mit hinein, die durch unser extremes Tourleben geprägt ist. Ich hätte nie gedacht, dass sich mein Leben einmal in dem Maße um Musik drehen würde. Vorher war das immer wie eine Art Auszeit von der echten Welt für mich. Bevor wir durchstarteten, war das ja nie eine bezahlte Beschäftigung. Je öfter wir aber auf Tour gingen, umso mehr ist mir aufgefallen, wie die ganzen Leute von dieser Tourscheiße abgefuckt werden. Plötzlich werden viele um dich herum drogen- oder alkoholabhängig und verlieren die Sicht auf das Wesentliche. Zu erkennen, dass sich die eine Leidenschaft sehr schnell zu einer anderen entwickeln kann, das hat mich sehr erschrocken.

Das kann ich sehr gut verstehen. Dieser Prioritätenwandel ist immer beschissen anzuschauen. Was hat der Begriff der "Floating World" damit zu tun?

Auf den Begriff bin ich hier in Berlin auf einem japanischen Flohmarkt gestoßen. Ich habe dort ein paar Drucke von einem mir unbekannten Künstler aus einer Sammlung gekauft. Also habe ich anschließend ein wenig recherchiert und dabei herausgefunden, dass er zu einer "Floating World" [jap. Ukiyo-e; Anm. d. Red.] genannten Strömung gehört, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert existierte. Inhaltlich ging es diesen Künstlern um die Folgen der industriellen Entwicklung, der beginnenden Globalisierung, dem entstehenden Wohlstand und dem damit zusammenhängenden urbanen, von starkem Hedonismus geprägten Lebensstil. Ich finde, dass das einfach ein schöner Begriff ist und ich wollte ihn in die Musik und in die Texte mit einbeziehen.

Ja, so gesehen passt das wirklich super. Wie sieht es mit dem Sound aus? Auf "Lore" habt ihr zu eurem ganz eigenständigen Elder-Sound gefunden. Inwiefern siehst du "Reflections" als organische Weiterentwicklung dieses Weges?

"Lore" war definitiv die wegweisende Brücke zu unserem eigenen Sound. Diese Mischung aus Progressive Rock und Psychedelic Rock in einem ganz anderen Stil als du ihn sonst so hörst unterscheidet uns von anderen Bands. Ich kenne keine andere Band die so klingt wie wir. Allerdings hätten wir auf "Lore", im Nachhinein betrachtet, viele Sachen besser machen können und auch müssen. Wir haben zwar den Elder-Sound mit "Lore" gefunden, aber ihn eben erst mit "Reflections" konsequent verwirklicht. Das ist auch bisher das einzige Album, von dem ich bis heute sagen kann, dass ich mit dem Gesamtergebnis vollkommen zufrieden bin. Dafür, dass wir die Platte nicht zusammen komponiert haben und sie stückweise geschrieben wurde, klingt sie für mich so organisch wie irgend möglich.

Im Vergleich zu den ersten Platten arbeitet ihr auf den neuen Alben immer melodiöser. Wie wichtig sind da noch die derben Gitarrenriffs als musikalisches Ausdrucksmittel an sich für euch?

Riffs sehe ich nach wie vor als eine Grundlage unseres Sounds. Aber je häufiger und je gedankenloser sie eingesetzt werden, umso wirkungsloser werden sie. Mein Hauptproblem mit Stoner Rock ist, dass er nur aus Riffs besteht. Das ist, finde ich, auch das Hauptproblem mit unseren früheren Sachen. Deswegen finden wir es auch oft langweilig, diese live zu spielen. Es sind halt die ganze Zeit nur Riffs. Für mich benötigt Musik aber eine gewisse Dynamik, damit sie interessant klingt. Riffs können daher, neben den dynamischen Schwellen und den melodischen Parts, nur ein Bestandteil von einem Song sein. Nur wenn du das befolgst, kommst du so richtig schön in einen Flow.

"Ein Albumcover muss nicht wahnsinnig detailliert sein, aber es muss einfach verdammt geil aussehen."

Auf euren Konzerten sieht man dich immer wieder Hiwatt-Amps spielen. Die sind bekannt für ihr klares Klangspektrum und heute recht selten anzutreffen. Wie wichtig ist Hiwatt für dein Soundbild?

Sehr (betont). Zu Hiwatt bin ich gekommen, als ich 16 oder 17 war und von der Materie noch so gut wie keine Ahnung hatte. Ich habe damals einen Sound City 120 gebraucht gekauft, der aber stark modifiziert war. Dieser Amp ist auf den ersten drei Alben zu hören. Für mich gab es keinen schöner klingenderen Verstärker als diesen modifizierten Sound City-Amp. Als ich das erste Mal einen echten Hiwatt 50 spielte [Dave Reeves von Sound City gründete 1966 die Firma Hylight Electronics, bei denen die originalen Hiwatt-Amps gebaut wurden; Anm. d. Red.], merkte ich, dass die Hiwatts viel besser und klarer klingen und wesentlich stabiler gebaut sind. Also war die Entscheidung für mich klar. Außerdem bin ich großer Motorpsycho-Fan. Die immer mit ihren fetten Hiwatt-Stacks auf der Bühne stehen zu sehen macht natürlich auch viel aus (beide lachen). Daneben benutze ich einige Effektpedale, die je nach Setlist variieren. Immer dabei sind Fuzz-Pedals, Wah-Wah, Volume-Pedal, Booster, Phaser, Tremolo und Delays. Meine Schubladen sind voll mit Effektgeräten und Echos (lacht). Deswegen bin ich in Punkto Delays mittlerweile auf ein digitales umgestiegen, so ein Modelling-Ding. Das kann echt alles, es hat Presets und ist vielleicht nicht cool, aber es klingt eigentlich so authentisch, dass du den Unterschied zu einem analogen Bandecho nicht hörst. Also kann man sich das auch sparen.

Klar, oftmals steckt da bei vielen Gitarristen eh nur ein ausgeprägter Fetischismus dahinter.

Ja, diese Analog-Leute sind auf jeden Fall Faschisten (beide lachen).

Lass uns noch etwas über eure Plattencover sprechen, die sind bei euch ja immer ein herausstechendes Merkmal. Vor allem seit "Lore" sind diese besonders expressiv und ausdrucksstark und passen gerade deswegen hervorragend zur Musik. Warum ist euch diese Verbindung von visueller Ästhetik und musikalischem Gesamtgefühl so wichtig?

Das ist eine sehr gute Frage. Kannst du dich noch an die Zeit erinnern, als du jünger warst? Vielleicht warst du ja auch öfter in Plattenläden und hast einfach mal irgendwelche Alben aus dem Regal gezogen, und hast dich dabei von deinem ersten Eindruck leiten lassen. Es gab ja noch kein Internet, worüber du, wie heute, ad hoc Information über die Bands einholen kannst. Ich hab' so viele Alben einfach gekauft weil die Cover dazu geil aussahen. Die Leute haben sich einfach viel mehr Zeit genommen, um den Inhalt der Platten mit dem Artwork zu spiegeln. Für mich ist es töricht, dass viele Bands diese Gelegenheit einfach ungenügend ausnutzen und dem Inneren ihrer Platten kein Gesicht geben. Das sollte ja der Musik entsprechen, denn das ist ja letztlich der Sinn von Artworks. Für mich ist das auch der Hauptgrund für unsere Cover. Es muss nicht wahnsinnig detailliert sein, aber es muss einfach verdammt geil aussehen. Das ist auch heute noch die Daseinsberechtigung von Schallplatten. Wenn du das Gesamtpaket magst, dann willst du ein cooles Cover haben, nach Möglichkeit mit einem Einleger und so. Es muss einfach einen Grund fernab der Musik geben, aufgrund dessen du eine Platte kaufst. Das gehört zum Ritual dazu.

Wenn Du dir die Artworks der 60er Psychedelic Rock-Bands aus den USA von Wes Wilson oder die Arbeiten vom Londoner Hipgnosis-Team ansiehst, die unter anderem für Pink Floyd arbeiteten, da findest du auch richtig phantasievolle Cover. Das sind einfach die Eintrittskarten zur Musik ...

... ja, definitiv. Ich finde das cool, gerade auch im Progressive Rock. Wenn man ein Roger Dean-Artwork in den Händen hält, dabei die dazugehörige Musik von Yes oder von Uriah Heep hört und sich einfach das Cover anschaut, dann ist das zwar unglaublich nerdig – aber es passt eben perfekt. Ich liebe so etwas (lacht).

Seid ihr beim Entstehen eurer Artworks aktiv involviert?

Nein. Unsere Designer haben da völlig freie Hand. Bei unserer ersten LP "Elder" hat unser Hauptkünstler Adrian Dexter das Logo von Budgie [in der Form erstmals erschienen auf dem 1973er Album "Never Turn Your Back On A Friend"; Anm. d. Red.] abgerippt. Ich habe ihm nie gesagt, dass er etwas von Roger Dean abkupfern sollen. Mir ist das tatsächlich auch erst Jahre später in einem Plattenladen beim Stöbern aufgefallen. Aber ich finde das auch cool, das ist letztlich alles eine Hommage an die große Kunst von Roger Dean.

Für das Cover der aktuellen Platte habt ihr aber mit dem Aschaffenburger Max Loeffler zusammengearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Oh, das lief über Peter Bergstrand, dem Basser und Sänger von Lowrider. Er macht auch das Creative Design für PostWax. Irgendwie kam er auf Max und hat ihn uns vorgeschlagen. Ich habe mir dann ein paar Werke von ihm angesehen und mir war klar, dass wir mit ihm arbeiten müssen. Der Sound auf der EP unterscheidet sich ja deutlich von unserem herkömmlichen Klangbild. Also brauchten wir auch jemanden, dessen Stil sich deutlich von dem unseres Hauptkünstlers unterscheidet. Adrian designt ja sonst fast alles für uns und sorgt damit dafür, dass unsere Platten grafisch herausstechen und sofort als Elder-Werke erkennbar sind. Hoffentlich arbeitet er bereits am Cover für das kommende reguläre Album (lacht).

Apropos herausstechen: Wie geht ihr als eine der innovativsten Bands im Stoner-Bereich mit den eng gestrickten Genregrenzen um? Ihr passt da ja eigentlich nicht mehr so wirklich rein. Ist es arg schwer für euch, dort rezeptionstechnisch auszubrechen?

Absolut. Wir befinden uns da gerade echt in einer Zwickmühle. Wir sind in der Stoner-Szene gut angenommen worden und haben dadurch natürlich auch unseren heutigen Status gewonnen. Trotzdem fühlen wir uns mit der Musik dieser Szene immer weniger verbunden. Obwohl wir einen Platz in diesem Milieu haben, der sich auch richtig anfühlt, sprengen wir doch gleichzeitig durch unsere hohen Ansprüche irgendwie auch die Grenzen dieses Genre. Wir wissen selbst nicht, wie das bei uns in Zukunft weitergeht. Wir würden unsere Musik echt gerne auch in weiteren Szenen präsentieren und auch mal andere Festivals spielen, um zusätzliches Publikum zu erreichen. Aber wir sind so stark in dieser Stoner-Welt eingebettet, dass wir einen Ansatz finden müssen, um szenetechnisch in andere Bereiche vorzudringen. Du willst ja niemandem vor den Kopf stoßen. Für uns ist das eine komplizierte Angelegenheit. Es ist sehr schwer, eine andere Zuhörerschaft zu erreichen, wenn du erst einmal ein gewisses Image hast. Wenn du andauernd als Stoner-Band beschrieben wirst, dann glaubt jeder, du seist eine solche – egal wie du letztlich klingst. Wir selbst verstehen uns aber seit Jahren nicht mehr als eine Stoner-Band.

Ihr schreibt ja gerade am neuen Album. Was dürfen wir denn in der Zukunft von euch erwarten? Kannst du uns bereits etwas über das neue Album erzählen?

Wir werden die auf "Reflections" eingeschlagene, weniger riffbetonte Richtung fortsetzen und wieder viel mit melodischen Klangteppichen arbeiten. Es wird einiges an psychedelischen, atmosphärischen Flächen und Sounds geben, die wir bisher so noch nicht hatten. Keyboard-Parts werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Wir versuchen auch rhythmuslastiger als sonst zu Werke zu gehen. Wir haben zwar noch nichts aufgenommen, aber zum jetzigen Zeitpunkt stehen die Songs bereits so zu 80 %. Die Platte wird 2020 erscheinen.

Wird es dann wieder eine ausgedehntere Deutschlandtour geben? Dieses Jahr stand ja nur ein Auftritt in Hamburg auf der Agenda

Eigentlich wollten wir dieses Jahr nur in Osteuropa unterwegs sein. Das Konzert in Hamburg kam nur deswegen zustande, weil es im Rahmen des 25-jährigen Jubiläums unseres Labels Stickman Records stattfand. Westeuropa stand ursprünglich gar nicht auf dem Plan. Die Gigs in Skandinavien haben sich auch nur sehr kurzfristig ergeben. Wir gestatten uns jetzt erst einmal eine längere Pause, um uns auszuruhen und kreativ aufzuladen. Wir sind ja eigentlich fast immer irgendwo auf Tour, da brauchen wir diese Auszeit jetzt einfach. Ich denke, unseren Anhängern geht es da umgekehrt mit uns ähnlich. Die Konzerterlebnisse sollen ja etwas Besonderes sein und sich nicht abnutzen. Sobald das Album dann nächstes Jahr erschienen ist, werden wir aber ein weiteres Mal auf Tour gehen und dabei auch in Deutschland wieder mehr Konzerte geben.

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