laut.de-Kritik

Das City-Pop-Revival muss passieren, bitte, bitte, bitte!

Review von

"Soul Lady" von Yukika beginnt mit der Klangkulisse eines Flughafens. Die Sängerin reist von Tokio nach Seoul an, symbolisch und real: die Japanerin arbeitet seit gut einem Jahrzehnt in Südkorea im Bereich Schauspiel und Mode. Seit wenigen Jahren auch in der Musik. Peripher eingespannt in den Idol-Zirkus der dortigen Popmusik, importiert sie japanisches Retro-Cool in Seouls hektischen Zeitgeist. Das Ergebnis ist "Soul Lady". Ein Revival des ikonischen City Pop-Genres im modernen Kontext – und es klingt so chic, urban, sonnig und wunderschön, wie man es von den besten Vertretern des Genres kennt.

Dabei ist die größte Kritik an der Platte gleichzeitig auch ihre größte Stärke: Es emuliert den Sound aus Tokios Siebzigern und Achzigern zur Präzision. Gerade in den etwas anonymeren Deep Cuts wie "Cherries Jubiles" und "I Need A Friend" glänzt immerzu Mariya Takeuchis "Plastic Love", Taeko Ohnukis "Sunshower" oder Momoko Kikuchis "Adventure" heraus. Mindert eventuell die Innovation, aber wie sehr kann man sich beschweren, den Glamour und die Atmosphäre von Pop-Meisterwerken zu reproduzieren?

Eine klare eigene Stimme zeigt Yukika trotzdem. Der Titeltrack "Soul Lady" zum Beispiel verwendet die Genre-typische Soundkulisse virtuos, um ihr Herz zwischen den beiden ostasiatischen Metropolen zu zeichnen. Über leichtfüßige Grooves aus analogen Synthesizern, Bläser-Sektionen wie aus den besten Showtunes der Fünfziger und federleichter Percussion besingt sie den Vibe der Frauen Seouls. Ein City Pop-"California Gurls", quasi, wobei die Bewunderung und Neugier über die eigenwillige Atmosphäre der Megastadt sympathisch aus den Zeilen quillt.

"Meine Neugier zieht mich alleine in die Nacht / Endlos viele Lichter in meinen Augen / Sie springen über in die Nacht / Ich werde lernen, sie besser zu verstehen / Hier finde ich ein anderes Ich" singt sie zum Beispiel – grob übersetzt – in der zweiten Strophe des Songs. Konstant bleibt "Soul Lady" ein Lebenshunger, eine Neugier und ein offenherziger Charme anhaften. Atmosphärisch pendelt die Platte zwischen Songs über den Tag und die Nacht. Die Songs über die Tage wie "I Feel Love" und "A Day For Love" klingen briesig und einladend – die Sonne klingt nie zu warm, der Wind nie zu schneidend, die beschriebene Stadt muss nach frischem Kaffee riechen und kantenlose, unkonkrete Liebe wabert von jedem Zeitungsstand ins Universum. Aber die wahren Highlights liegen in ihren Skizzen von Seouls Sommernächten.

Auf Nummern wie "Shade" wechselt Yukika ins tiefere Register ihrer sonst luftigen, hohen Stimme und harmoniert mit umwerfenden 80er-Noir-Texturen: Cineastische Streicher und rotierende Synth-Arps kreisen um einen hypnotischen Synth-Pop-Groove, während Vocoder-Samples und komplexe Melodieläufe die Soundkulisse lebendig halten. "Neon 1989" kanalisiert die unbändige Retro-Sehnsucht, die die Musikszene seit Monaten befällt. Auf beiden Songs bilden die Instrumentationen im Tandem mit Yukikas herber Stimme ein opulentes, schimmerndes Klangbild. Musik für Jahrmärkte im Dunkeln, ein leuchtendes Riesenrad am Himmel und gebrannte Kastanie in der Luft.

Ausgleich für all die subtile, atmosphärische Stadt-Verehrung findet "Soul Lady" in vereinzelten, aber großartigen Momenten der Tanzbarkeit. Wenn sie zum Beispiel in "Yesterday" nach einer einladenden, erbaulichen Hook mit dem Satz "Wanna dance? den Dancebreak einleitet, in dem ein polternder Funk-Bass von einem Gitarrensolo bespielt wird, darf man gar nicht mit "nein" antworten. Das wäre gegen das Gesetz, die Ethik und das gute Gewissen. Noch mehr nach vorne geht nur "Pit-A-Pet". Mitten auf dem Album zwischen seinen historischen Chanson-, Jazz- und Bossanova-Einflüssen reckt sich hier ein Disco-Throwback empor, komplett mit astrein pulsierender Synth-Bassline, turbulenten analogen Leads und einem fantastisch geführten Spannungsbogen.

Wer nach "Soul Lady" keine Lust hat, sofort in den nächsten Flieger nach Seoul zu steigen und irgendwo zwischen Jongno und Gangnam flanieren und tanzen zu gehen, der kann nie Fernweh empfunden haben. Yukika lässt Fernweh und Nostalgie so brillant verschmelzen, dass man gar nicht in Frage stellt, wie wenig man von ihren Erfahrungen eigentlich nachvollziehen kann. Musikalisch, atmosphärisch und dramaturgisch reißt diese Platte kompromisslos mit, eine Sprachbarriere empfindet man kaum. Ihre wundervolle Stimme führt durch Orte, die man nie besucht hat. Nostalgie für die Vergangenheit anderer Leute hat selten so viel Spaß gemacht.

Trackliste

  1. 1. From HND To GMP
  2. 2. I Feel Love
  3. 3. Soul Lady
  4. 4. Yesterday
  5. 5. A Day For Love
  6. 6. Pit-A-Pet
  7. 7. Cherries Jubiles
  8. 8. I Need A Friend
  9. 9. Shade
  10. 10. All Flights Are Delayed
  11. 11. Neon 1989
  12. 12. Cherries Jubiles - Acoustic

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