29. Februar 2024

"Ich feiere nicht jedes Cure-Album"

Interview geführt von

James Smith spricht über Erwartungshaltungen an das neue Yard Act-Album, das morgen erscheint, verrät den wichtigen Tipp, den ihm Elton John gab und wie die Arbeiterstadt Leeds ihn bis heute prägt.

James Smith müsste eigentlich hypernervös das Zoom-Meeting betreten. Es sind gerade mal zwei Jahre vergangen, als seine Band Yard Act mit "The Overload" in England einen massiven Erfolg einfuhr und Legenden wie Elton John oder Dave Grohl ihre Begeisterung für das Debüt äußerten. Der Golden Globe-Gewinner und Oscar-Kandidat Cillian Murphy gehört ebenfalls zu den Promi-Fans, seitdem James in der dritten Staffel von "Peaky Blinders" einen kleine Statisten-Rolle übernahm. Seither sind sie befreundet.

Der Druck hinsichtlich des neuen Albums "Where's My Utopia?" ist damit nicht gering und doch meldet sich James Anfang Januar absolut entspannt aus seiner Wohnung. Er wirkt wie der freundliche Student von nebenan, der auch kein Problem damit hätte, bei einem möglichen Misserfolg wieder einen normalen Dayjob anzunehmen. Soweit sollte es aber nicht kommen, auch wenn das neue Album sicherlich mit einem neuen Sound überrascht.

Hey James! Schon Glückwünsche an Cillian Murphy ausgerichtet?

Ähm nee. Ich weiß auch gerade nicht genau wofür?

Er hat gestern Abend den Golden Globe als bester Hauptdarsteller gewonnen.

Wooah, wirklich? Ach krass, das habe ich gar nicht mitbekommen. Das ist einfach verdammt großartig, aber ich muss gestehen, dass ich "Oppenheimer" noch gar nicht gesehen habe. Das sollte ich also vielleicht erst einmal machen, bevor ich ihm gratuliere (lacht). Ich hatte bisher wenig Zeit wegen des Albums und naja, drei Stunden im Kino zu sitzen, um mir irgendwas über eine nukleare Katastrophe anzuschauen, hat mich bisher auch noch nicht motiviert. Warst du schon drin?

Ich fand ihn großartig, aber mich ziehen solche episch-düsteren Themen auch irgendwie an. Ich bin einfach grundsätzlich ein düsterer Pessimist, daher ist so bunter Quietsch-Kram wie "Barbie" absolut nicht mein Ding.

Haha, sehr gut! An mir ist dieses "Barbenheimer"-Ding komplett vorbei gelaufen. Da lese ich doch lieber gute Literatur. Davon zehre ich dann doch mehr.

Neben Cillian habt ihr ja eine beeindruckende Fan-Base, wenn ich mal an Dave Grohl und Elton John denke. Ich würde durchdrehen, wenn auch nur einer davon in meinen Kontakten wäre, das muss doch Druck erzeugen, oder?

Nee, so wild ist das nun auch nicht. Klar, natürlich schon etwas verrückt, wenn solche berühmten Menschen deine Musik toll finden und nette Sachen über dich erzählen, aber ich mache meine Musik ja nicht in erster Linie für sie. Sie dürfen mich aber gerne auf einen Drink einladen! (lacht)

Könnt ihr als junge Band von der Erfahrung eines Elton John, der das Musikbusiness nun wirklich kennt, auch profitieren?

Ja, Elton hat mir sofort folgenden Tipp gegeben: "Denk beim zweiten Album nicht an das Publikum, die Fans oder überhaupt eine andere Meinung außer eurer." Ich denke, das hatten wir eh im Sinn, aber wenn jemand so Erfahrenes dich nochmal darin bestätigt, ist das schon ein gutes Gefühl. Es ist ja auch so: Es gibt da draußen Millionen verschiedene Meinungen und Geschmäcker und du wirst nie alle glücklich machen. Da darfst du dir überhaupt keinen Kopf drum machen und den Albumprozess dadurch beeinflussen lassen. Es gibt natürlich noch den Moment, wo du mal einen guten Produzenten um Rat fragst, aber wenn du da jede Kritik annimmst, kommst du auch schnell vom Weg ab und bist verunsichert.

Ihr geht mit eurem Album definitiv nicht den einfachen Weg. Etwas Sorge, dass "Where's My Utopia" so ein Album wird, was die Kritiker begeistert und die Fans nicht so gut annehmen?

Das kann durchaus passieren, dass wir auf diesem Weg ein paar Fans verlieren. Aber ich kann das eh nicht kontrollieren und es ist dann eben ihre Entscheidung und einfach der freie Wille, ob sie es dann nicht mehr gut finden. Aber dann waren das eben Fans des Stils von "The Overload" und mit dem neuen Album werden auch wieder andere hinzukommen. Nimm als Beispiel The Cure: Ich bin ein absoluter Fan dieser Band, aber feiere auch nicht ausnahmslos jedes ihrer Alben ab. Da gab es auch immer wieder Platten, mit denen ich gar nichts anfangen konnte und dann hatten sie mich plötzlich wieder. Es geht auch einfach um den Respekt vor so einer Band, die nicht immer das Gleiche ausprobiert.

Es gab für uns beim neuen Album nur diesen einen Weg. Auf deinem ersten Album hast du noch keine wirkliche Wahl, weil du es auch noch nicht wirklich besser weißt, aber beim zweiten Album kannst du schon Dinge korrigieren und verbessern. Entweder du machst wieder das Gleiche oder du wagst etwas Neues, was vielleicht sogar das Gegenteil des Debüts ist. Das dritte Album ist dann sicher einfacher, weil die Leute schon wissen, was für ein Typ Band du bist. An diesem Punkt kann man dann auch sehen, ob die Fans wirklich gewillt sind, solche Veränderungen anzunehmen und uns vielleicht genau dafür schätzen.

"Ich hasse Elitarismus!"

Ich mag es, dass ihr nicht einfach das Erfolgsmuster von "The Overload" stumpf wiederholt. Ich sehe da jetzt vor allem viele Einflüsse aus Hip-Hop und eine meiner Assoziationen war "Paul's Boutique" von den Beastie Boys und Beck.

Absolut! Das sind auch genau meine All-Time-Greats und meine musikalische Sozialisation, die meinen Zugang zu Musik massiv beeinflusst hat. Zum Glück können wir auf dem zweiten Album mehr zeigen. Beck und die Beastie Boys haben mit ihren Alben Genregrenzen gesprengt. Bei den Beastie Boys kommt noch die ganze besondere Band-Chemie, Balance und Freundschaft zwischen den Bandmitgliedern und ihren verschiedenen Hintergründen dazu. Also wenn ich Vergleiche mit so tollen Künstlern höre, könnte ich kaum glücklicher sein. Sie haben definitiv den Standard gesetzt, den wir mit diesem Album erreichen wollten.

Ich finde auch deine Art der Lyrics und der Interpretation ziemlich nahe am Storytelling des Hip-Hop.

Ja, da gibt es durchaus Ähnlichkeiten und ich bin ja mit Hip-Hop aufgewachsen. Der Türöffner war natürlich wie bei jedem Jungen in dem Alter Eminem. Da war mein Vater Schuld, der ein sehr großer Hip-Hop-Fan war. Als ich als Achtjähriger zu Eminem getanzt habe, hat er mir aber erst mal Alben von Public Enemy, KRS-One und N.W.A. in die Hand gedrückt und gesagt: "Hör lieber das hier. Das ist politischer Rap und wesentlich bedeutender als dein Eminem-Kram." Wenn du genau hinhörst, erkennst du den Einfluss von De La Soul auf "Where's My Utopia?", vor allem in der Art wie sie Samples nutzen, aber ich muss auch den Wu-Tang Clan, Tribe Called Quest, Biggie, Mobb Deep und natürlich Nas nennen.

"Illmatic" ist eines meiner Lieblingsalben aller Zeiten. Ich weiß noch wie ich das erste Mal "The World Is Yours" hörte und von der Komplexität der Lyrics und der Art der Reimsetzung fasziniert war. Ich war damals noch nicht in New York gewesen, aber genau wie dieses Album habe ich mir den Vibe von New York vorgestellt. Neben Berlin ist New York jetzt meine Lieblingsstadt, auch wenn Queens heute wie Brooklyn mehr so ein Hipster-Ort geworden ist. Trotzdem hat New York immer noch dieses aufregende Vibrieren und Nas hat das für mich perfekt eingefangen. Puh, ich könnte den ganzen Tag über meine Liebe zu Hip-Hop reden.

Wo du gerade die Samples erwähnst: "Down By The Stream" hat so einen spannenden Effekt ganz am Anfang. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der von euch kommt oder ein Sample ist.

Jap, das ist tatsächlich ein Sample, aber um uns irgendwelche Copyright-Sachen zu ersparen, haben wir das noch etwas verändert und mit einem Orchester nachspielen lassen. So haben wir eigentlich viele Songs auf dem Album begonnen, in dem wir uns gegenseitig Platten vorgespielt haben und die Samples aus den Alben als Kernstück nahmen, um das wir dann den Song aufbauten. Am Ende waren es vielleicht nur noch ein paar Sekunden des Samples bzw. der Hook oder wir haben es dann gar nicht mehr verwendet, aber es war immer die Starthilfe für die Songs. Du kannst auch heute im Hip-Hop nicht mehr so einfach ein Sample wie zur Anfangszeit benutzen, ohne damit sofort Gerichtsverhandlungen zu riskieren. Es ging ja auch nicht einfach um stumpfes Kopieren, sondern ein Teil eines älteren Musikstücks ist nun in der DNA eines aktuellen Songs.

"Where's My Utopia" schlägt auf jeden Fall einen neuen Weg ein, der mit den Anfängen nicht mehr so viel zu tun hat. Du hattest auch erwähnt, dass du mit der Einordnung in dieser Post-Punk-Schublade nicht mehr so glücklich gewesen bist.

Unser neues Album ist im Grunde genommen viel mehr Post-Punk als das Debüt. Die meisten Leute haben von Post-Punk immer die Vorstellung von diesem dunklen, industriellen Sound, aber ich denke da viel eher an Bands wie Orange Juice, XTC oder die Talking Heads. Oder an Public Image Ltd, die eine Menge der neuen, so genannten Post-Punk-Bands beeinflusst haben. Ich mag auch New Order mehr als Joy Division oder überhaupt Bands, die ihren eigenen Soundkosmos erschaffen haben. Blur, Lightning Seeds, The Specials oder Ian Dury. Da sehe ich uns mehr und wäre froh, wenn wir es auch so hinbekommen. Aber ich verstehe den Wunsch nach einer schnellen Einordnung und wenn wir nun als Post-Punk klassifiziert werden, kann ich damit auch leben. Mich würde es nur nerven, wenn man unsere Musik als reinen Post-Punk bezeichnet. Dann hat man einfach nicht genau hingehört.

Wie fändest du die Bezeichnung "Experimental Pop"? Kam mir gerade spontan in den Kopf.

Yay, damit kann ich gut leben! Ich liebe Popmusik und ich würde auch unsere Musik so bezeichnen. Es ist alles andere als einfach, einen guten Pop-Song mit einer Hook zu schreiben und dazu noch eine politische Botschaft zu transportieren. Die meisten Leute benutzen den Begriff Pop abwertend, dabei ist Pop eigentlich alles.

Pop ist für mich eine der sozialistischsten Formen überhaupt. Es findet keine Separation statt und es spricht alle Menschen an, unabhängig von Herkunft oder Bildung.

Oh ja, absolut! Ich HASSE Elitarismus und Bands, die so etwas ausstrahlen. Es geht doch darum, Menschen zusammen zu bringen. Hör doch mal Hall & Oates an und sei nicht von der Kraft ihrer Songs begeistert. Oder Michael Jackson ... wobei, nee, lass uns lieber nicht über den reden. Ich habe mir vor kurzem ein paar Cover von Billy Preston angeschaut, George Harrison hat für ihn "My Sweet Lord" geschrieben und die Live-Version von Billy ist das absolut Schönste was ich jemals gehört habe. Oder Charles Bradley, der "Changes" von Black Sabbath gecovert hat. Un-fass-bar! Er hat eine komplett eigene individuelle Note. Das berührt mich viel mehr, als so selbstverliebtes Gitarren-Techniker-Gepose für einen kleinen, elitären Zirkel.

"Ich möchte nicht wie ein Rockstar aus der Realität verschwinden"

Nas hat New York stark geprägt. Leeds ist eine Arbeiterstadt im Norden von England. Prägt dich diese Umgebung und auch eure Musik?

Ja, auf jeden Fall. Gerade der Norden mit seiner ganz eigenen Mentalität beeinflusst mich immer noch. Ich absolut stolz auf meine nordenglische Herkunft und fühle mich hier sehr verwurzelt. Leeds hat natürlich auch einige Änderungen hinter sich und dieses Image vom eher schmuddeligen Norden und dem poshen Süden stimmt auch nicht so ganz. Aber trotzdem gibt es doch Unterschiede in der Mentalität.

Es ist eben dann doch etwas rauer, kälter und düsterer als im Süden und nicht so ganz einfach hier, aber das stärkt auch den Zusammenhalt und die Widerstandsfähigkeit der Leute. Wir haben definitiv eine Art Humor, die es so im Rest des Landes nicht gibt. Also ja, das alles, die Natur und die Lebensart hat mich schon zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich trage das wirklich im Herzen und fühle mich im Ausland auch fast als eine Art Botschafter dieser Stadt.

Interessanterweise gibt es eine Städtepartnerschaft zwischen meiner Heimatstadt Siegen und Leeds. Siegen ist nicht gerade weit im Norden Deutschlands, aber die Mentalität und die Architektur sind ebenfalls weit weg vom süddeutschen Vibe. Ich glaube, dass eure Art und die hiesige gut zusammen passen. Beim ersten Kontakt nicht besonders freundlich, eher grimmig, aber auch ehrlich.

Ja, das verbindet Arbeiterstädte wohl überall auf der Welt. Dieser nicht einfache Existenzkampf, den widrigen Umständen zu trotzen. Leeds hat seine Ursprünge als Industriestadt, das prägt immer noch das Stadtbild. Die ganze Region hier ist eigentlich so und leider habe ich das Gefühl, dass gerade dieser Zusammenhalt, das Erdige mittlerweile immer mehr verloren geht. Leeds entfernt sich auch immer mehr von einer Arbeiterstadt und verliert dadurch seinen Charakter.

Du hattest eben erwähnt, dass du dich als Botschafter deiner Stadt siehst. Wärst du gerne ein "Man Of The People", wir ihr so schön in England sagt?

Ich sehe mich schon als ein normaler Typ aus dem Volk, aber es gibt bestimmt Menschen, die einen authentischeren Background haben und wahrscheinlich in schwierigen Situationen aufwachsen. Ich finde es für mich aber wichtig, meine Wurzeln nie zu vergessen und nicht abzuheben. Ich möchte mein normales Leben weiterführen und nicht wie so ein Rockstar aus der Realität verschwinden.

Die Menschen haben es derzeit überall nicht so leicht. Ganz allgemein ist die derzeitige Weltlage ja schon bedrückend. Wahrscheinlich brauchen wir alle wirklich ein neues Utopia, das ihr auf dem neuen Album ja sucht. Wie sähe dein Wunsch-Utopia aus?

Mein Utopia wäre eine Welt, in der wir irgendwie wieder eine Verbindung zurück zur Natur erlangen, Geld keine Rolle mehr spielt und sich nicht jeder so isoliert in seiner kleinen, eigenen Welt. Aber am Ende des Tages gibt es immer mehr gute als schlechte Menschen. Ich sehe auch ein Wiedererstarken der Graswurzelbewegung, also dass sich wieder mehr Menschen vor Ort lokal engagieren. Sie fühlen dadurch auch wieder einen Wert und eine Wertschätzung. Daran hapert es wirklich, zumindest in den letzten 15 Jahren, da ist so eine verzweifelte Gesamtstimmung entstanden, weil den Leuten jeden Tag immer erzählt wird, dass die Welt doch eh am Arsch ist. Und trotzdem haben wir diese angebliche Weltuntergangs-Zeit dann immer überstanden. Die Leute isolieren sich immer mehr und orientieren sich zu sehr am ständigen Scrollen durch miese News, und was Social Media uns alles weismacht. Dabei gibt es doch immer Hoffnung und gute Menschen direkt nebenan. Wir müssen uns nur wieder mehr connecten.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Yard Act

Das Vereinigte Königreich erweist sich in den Zehnerjahren wieder als Geburtsstätte für eine neue Generation aufstrebender Rock- und Post-Punk-Bands.

Noch keine Kommentare