laut.de-Kritik

Von leidender Schönheit.

Review von

Ein Blick nach draußen verwehrt im November schnell mal jedes Glücksgefühl. Der Himmel ist grau, die Straße nass und die Dunkelheit bricht sowieso viel zu früh herein. Wenn das nicht reicht, um sich in bleierne Schwermut zu hüllen, dann liefern Whitechapel mit "KIN" den Soundtrack zum Schattendasein. Vorausgesetzt, brachiale Härte hat Platz in den Hörgewohnheiten, versteht sich.

Doch darauf lässt sich das achte Album der Death Core-Veteranen inzwischen nicht mehr reduzieren. Whitechapel haben ihr Spektrum hörbar erweitert. Zugunsten anmutiger Gitarrenfiguren und sanftmütigem Klargesang bekommt die Double-Bass mehr Pausen. So schmückt sich die neue Platte mit einer Dynamik, die von Reife zeugt.

Was sich schon im Opener "I Will Find You" mit vielen Tempowechseln und melancholischen Einschlägen andeutet, wird in "Anticure" erst richtig spürbar. Dass Sänger Phil Bozeman vernichtende Shouts im Repertoire hat, ist weithin bekannt. Die Selbstverständlichkeit mit der er sich nun glatt auf Alternative-Terrain bewegt, verblüfft dann doch.

Der Song beweist einmal mehr, dass die Band ganz viel Fingerspitzengefühl im Songwriting mitbringt. Die instrumentale Skills sind sowieso über jeden Zweifel erhaben. Und keine Angst, Death Core im organischen Soundgewand pumpen die Jungs natürlich nach wie vor. "Lost Boy", "The One That Made Us" oder "To The Wolves" kanalisieren Aggression par excellence. Die ein oder andere verletzliche Verschnaufpause gibt's auch hier.

Unüberhörbar wagt sich Bozeman an das persönliche Schicksal einer traumatischen Kindheit heran. In "Orphan" stellt er eine ernüchternde Verbindung zur Gegenwart her: "I'm still alone, I'm still miserable". Keine Spur von Zuversicht. "It's just the way that it is and it's hopeless now". Harter Tobak, selbst zum Wintereinbruch.

Die Platte bietet viele Facetten, die sich im Zusammenspiel furchtbar gut ergänzen. Der progressive Drive eines "Without Us" ist nur einer von vielen Sequenzen von leidender Schönheit. Zum Abschluss nutzt der Titeltrack einen ruhigen Moment, um innezuhalten und reflektiert einen möglichen Ausweg aus dem mentalen Gefängnis: Radikale Akzeptanz. "Our delusion is the easy way out. But it's time for both of us to let this go.".

Trackliste

  1. 1. I Will Find You
  2. 2. Lost Boy
  3. 3. A Bloodsoaked Symphony
  4. 4. Anticure
  5. 5. The Ones That Made Us
  6. 6. History Is Silent
  7. 7. To The Wolves
  8. 8. Orphan
  9. 9. Without You
  10. 10. Without Us
  11. 11. Kin

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