laut.de-Kritik

Das Leben ist kein Tanzverein.

Review von

Rappende Männergesangsvereine liegen im Trend. Dagegen lässt sich wenig einwenden, zumal die über Jahre hinweg von Vertretern der Zunft aufgetragene verkniffene Miene im Gegenzug offenbar ausgedient hat. War ohnehin höchste Zeit.

Auf ihrer Reise "vom Debütrelease in die Psychiatrie" haben die Ureinwohner des Trailerparks unterwegs noch einen Weggefährten aufgegabelt: Alligatoah tanzt die diebische Elster, seine wort-, bild- und immer wieder auch gesangsgewaltige Gegenwart steht dem Zweitschlag der Crack Street Boys bestens zu Gesicht.

Trotzdem: So mancher dürfte auf das Angebot zurückgreifen müssen, das Sudden in seinem schnulzigen Alleingang "Pokémonkarten" so zuvorkommend unterbreitet. "Babe, wenn du nicht lachen kannst, dann lach' ich für dich mit." Die Sorte Brachialhumor, die den Trailerpark mit eiserner Hand regiert, ist vermutlich so in etwa jedermanns Sache wie ... nun, ja ... Boybands.

Dabei beschäftigt sich diese Truppe hier nun in der Tat mit den großen Fragen unserer Zeit: "Ist der Mond wirklich da, wenn keiner hochblickt? Hab' ich das Kind wirklich getötet?" Das Spektrum der "New Kids On The Blech" reicht von "Selbstbefriedigung" bis zur "Fahrerflucht". Wer "Alles Für Ein Shirt" tut (Bitte! Es geht hier immerhin um ein Kleidungsstück!), dem ist Politik "Immer Noch Egal".

So gleichgültig wie Pietät und Political Correctness: Beides hacken die Trailerpark-Insassen bei ihrer Spritztour durchs "Fledermausland" ("Hier können wir nicht anhalten!") in schönster K.I.Z.-Tradition kurz und klein. Da zum gepflegten Aufmischen eines U-Bahn-Waggons gar nicht genug Personal antreten kann, kommen die Vorreiter zusammen mit Massimo gleich mit ins Boot, um Zukunftsperspektiven für Steuerberater-Söhne vorzustellen.

Mehr Gaststars braucht allerdings niemand: Die unterschiedlich schillernden Persönlichkeiten von Basti DNP, Sudden, Timi Hendrix und Alligatoah bieten weiß Gott Vielfalt genug, zumal sie auch noch munter mit Zitaten - von Marsimoto über Massiv zu MoneyBoy - um sich werfen. "Nein, wir sind perfekt besetzt", röhrt es aus "Oer-Erkenschwick". Wohl wahr.

Aber: "Das Leben ist kein Tanzverein." Bei allem erheblichen Spaß, den die Spinner am Mic bescheren, krankt "Crack Street Boys 2" dennoch, insbesondere was die musikalische Ausgestaltung angeht, an der Hab'-ich-alles-schon-irgendwie-irgendwo-irgendwann-gehört-Seuche.

Ohne Dubstep-Elemente kommt heute zwar kaum noch ein Werbespot aus. Hinter "Wall Of Meth" wobbelt und bratzt aber immerhin ein amtliches Brett. Deutlich stärker an den Nerven zerrt da schon, wenn man sich permanent schmerzhaft an den Sound der Ärzte ("Superstars", "U-Bahn-Schläger") oder an die gottlob eigentlich längst verdrängten Megavier ("Oer-Erkenschwick") erinnern lassen muss.

Na, danke auch! Dabei muss Gitarrensound, Alligatoah an den Reglern beweist es gleich mehrfach und verdient sich damit mindestens den Bambi für Masturbation, gar nicht zwingend so angestaubt-zopfig anmuten. Dann doch lieber gleich einen heimeligen, zudem herzerfrischend ehrlichen Schmachtfetzen der Sorte "Pokémonkarten".

Für "Crack Street Boys 3" - aller guten Dinge waren schließlich noch nie nur zwei - bestelle ich hiermit bei der Wunschfee mehr Beats des Kalibers von "Alles Für Ein Shirt". Für den haben K.I.Z.s Nico und Gee Futuristic vermutlich gemeinsam die Nyan-Cat gepfählt. Dafür die Hauptrolle in einem Kriegsgefangenen-Snuff-Porno zu übernehmen: wahrlich nicht zu viel verlangt.

Trackliste

  1. 1. Wall Of Meth
  2. 2. Fledermausland
  3. 3. New Kids On The Blech
  4. 4. Superstars
  5. 5. Schlechter Tag
  6. 6. Pokémonkarten
  7. 7. Selbstbefriedigung
  8. 8. Fahrerflucht
  9. 9. Oer-Erkenschwick
  10. 10. Alles Für Ein Shirt
  11. 11. Immer Noch Egal
  12. 12. U-Bahn-Schläger feat. K.I.Z. & Massimo
  13. 13. Rolf feat. Dana

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13 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Bin mit HRNSHN eigentlich noch gut bedient, also hätte durchaus noch ein bisschen auf ein neues Album in dem Stil warten können, aber ist schon ziemlich geil, mit ein paar Ausfällen. Abgesehen von den Kollabo-Alben hör ich auch nur Alligatoah und Pimpulsiv, also kann ich nicht sagen inwiefern die Anderen ihre Form halten, aber die genannten sind gewohnt gut.

  • Vor 11 Jahren

    Bis auf "Alles für ein Shirt" und "Oer-Erkenschwick" (die aber auch nicht schlecht sind) alles Songs, die ich mir immer und immer wieder geben kann. Die Jungs haben mit Leichtigkeit die 257ers und Mach One von der Spitze der besten D-Rap Releases dieses Jahr verdrängt, dabei dachte ich, dass das nicht mehr möglich wäre. Vor allem profitieren sie von den unterschiedlichen Stilen, haben ein Händchen für sehr gute Hooks und erinnern mich in ihrer Aggressivität an KIZ zu Böhse Enkelz Zeiten. Tolles Album, "Fledermausland" ist die absolute Hymne und gehört mit "Selbstbefriedigung" und "NKotB" zu meinen absoluten Lieblingsliedern.

  • Vor 11 Jahren

    Ich liebe es, wenn Dani zopfig schreibt 3

  • Vor 11 Jahren

    richtig gutes album. verfolg das ganze ja schon länger und wurde nicht enttäuscht. sehr gute beats. bissige, ironische, witzige texte, ohrwurmhooks. alles sehr abwechslungsreich. klare kaufempfehlung

  • Vor 11 Jahren

    gutes album, die kritik an dem ärzte-sound teile ich auch. und ich finde, timi hendrix sollte mal zum logopäden gehen

  • Vor 10 Jahren

    okay, bin etwas spät dran, hab aber erst beim Ticketkauf fürs Konzert mitgekriegt das die Scheibe existiert ( fuck, ich werd alt...oO )
    jupp, die Scheibe gefällt, "Immer noch egal" ist einfach zu geil, "Bestes Deutschraprelease des Jahres" ist m.M. aber stark übertrieben, "großartig innovativ" ebenso ( wobei ich auch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hatte dass hier jemand innovativ sein wollte )..... aber nice!