29. Oktober 2013

"Amerika hat Johnny Cash, wir Heino"

Interview geführt von

Früher als Großmaul verschrien, hat Thees Uhlmann längst allen Grund zur sympathischen Gelassenheit, denn mit seinem Soloprojekt geht es seit 2011 stetig bergauf. Die letzte Station: Chartplatz 2 für Album "#2" - und der nächste Schritt steht mit der groß angelegten November-Tour unmittelbar bevor.

Am Mittag haben wir uns mit dem Grand Hotel van Cleef-Gründer zum Skype-Interview verabredet. Pünktlich um 13 Uhr ruft Uhlmann von der heimischen Couch an und nimmt sich mehr als 40 Minuten Zeit für ein ausführliches Videotelefonat. Wir plaudern über die Entstehung der Platte, die Rufe nach einer Tomte-Reunion, die Suche nach einem GHvC-Rapper sowie über Casper, Heino und Tim Bendzko.

Lass uns über deine neue Platte sprechen - wobei du bei Kathrin Bauerfeind erklärt hast, dass sich die Interviews, wenn es nach dir geht, gar nicht direkt um die Platte drehen müssen. Das sehen die meisten Künstler ja etwas anders.

Thees Uhlmann: Mir kommt es manchmal so vor, dass man viel mehr über die Musik erfährt, wenn man einfach so sabbelt, als wenn du mich nach dem Inhalt eines Songs fragen würdest. Wenn wir darüber reden, warum ich Fußball liebe und Kinder wahnsinnig faszinierend finde, wirst du wahrscheinlich mehr über die Platte herausfinden, als wenn ich dir jetzt den Text von "Im Sommer Nach Dem Krieg" versuche zu erläutern.

Als wir uns vor zwei Jahren beim Tourabschluss in Berlin trafen, stand ja noch nicht wirklich fest, wie es bei dir weitergeht. Wann fiel die Entscheidung, direkt eine zweite Soloplatte aufzunehmen?

Beim letzten Konzert der Frühlingstour 2012, in der Großen Freiheit in Hamburg, habe ich mich so umgeguckt und gemerkt, wie schön ich das gerade finde. Dass das mit der neuen Band wahnsinnig Spaß bringt, dass alle so konzentriert sind. Und dass das mit der Crew wirklich in Richtung Familie geht, was ich zum Musikmachen fast brauche.

Ich habe ja immer so halbwitzig geschrien: Ich bin Europas ältester Newcomer. Aber im Endeffekt war das Gefühl in meinem Herzen schon ziemlich ernst. Das Ganze stellt für mich eine sehr große Befriedigung dar, eine große Rock'n'Roll-Unschuld. Diese Entscheidung war natürlich ein Prozess. Aber als das letzte Konzert und die Party danach so toll waren, hat man sich so langsam dran gewöhnt, noch eine Thees Uhlmann-Platte zu machen.

Tobias Kuhn und du sind dann für die Produktion nach Los Angeles gereist. Warum gerade L.A.?

Das lag vor allem daran, dass Tobi schon dort war und die Martin & James-Platte gemacht hat. Das war dann so: Du musst da dann auch hin. Ich bin allerdings nicht der größte Fernreisetyp und immer sehr skeptisch, wenn es darum geht: Ja, okay, wir ziehen uns mal zurück. Aber irgendwie fand ich es dann schon verlockend, im Winter mal acht Tage nach L.A. zu fliegen. Wir hatten ein ganz tolles Studio, die Flüge waren auch einfach billig - obwohl ich meinen CO2-Ausgleichsfond bezahlt habe!

Man hätte wirklich auch woanders hinfliegen können, aber dass es dann L.A. wurde, war schon richtig geil. Das hat dann doch auch dieses gewisse Flair, (äfft sich selbst nach) dieses gewisse Flaaair. Wir waren da insgesamt aber nicht wegen dieses Rock'n'Roll-Versprechens, sondern eher aus logistischen Gründen. Ich hätte nie gedacht, dass es mir so gefällt - und dass die Stadt so intakt ist. Das waren wirklich tolle acht Tage.

Es gab dann einen Wechsel in der Band: Nikolai Potthoff ging, wie der neue Gitarrist heißt weiß ich noch nicht.

Martin Kelly, das ist halt der eine von Martin & James. Niko wollte einfach nur noch Produzent sein und sich um seine Tochter kümmern. Er will schon seit 15 Jahren Produzent sein und hat das mit Leslie Clio jetzt geschafft. Da war ich eben der erste, der über die Klippe gesprungen ist. Ich finde das nach wie vor nicht gut, wenn einer aussteigt. Weil ich da auch nicht dran glaube - bei mir auszusteigen. (lacht)

Ich finde das wirklich einen der höchsten anzustrebenden Bandzustände, wenn du über Jahre in der gleichen Konstellation arbeitest: Fettes Brot, Fanta Vier, Ärzte, Tote Hosen, Rolling Stones ... Das Glück war mir halt nie gegeben. Aber ich treffe Nikolai ja noch und kann das auch verstehen. Wir sind ja auch keine Millionäre, so dass man sagen könnte: Ich spiel jetzt bei Thees Uhlmann, da kann ich mich sanieren. Mir ist es lieber, er kümmert sich gut um seine Tochter, als wenn er bei mir auf Tour sitzt und sagt: Ich müsste mich eigentlich kümmern.

Mit der Rezeption deiner Platte scheint der Begriff Stadionrock als positives Merkmal in den deutschen Pop-Jargon zurückgekehrt zu sein. Auch bei Casper spricht man ständig über Stadionrock, dabei hatte ich das eigentlich eher als verpöntes Wort in Erinnerung.

Das ist eigentlich auch ein verpöntes Wort. Aber Musik verläuft nun mal in Wellen. Irgendwann ist die Akustikgitarre in, dann wieder out. Mal ist Minimal Techno in, dann wieder Big Beat und Dubstep. Wir haben ein bisschen dieses Springsteen-Fach aufgemacht, vielleicht ist das ja jetzt wieder in. Wenn du eine E-Gitarre über einer durchgeviertelten Bassdrum anschlägst, bist du halt schnell bei Stadionrock. Aber na ja, ich spiel halt in Clubs, und nicht in Stadien ...

... wehrst dich aber nicht gegen diesen Begriff.

Nö, ich wehr mich erst mal gegen gar nix.

"Ich Gebe Auf Mein Licht" war anfangs mein Lieblingssong, hat mich musikalisch aber total an "& Jay-Z Singt Uns Ein Lied" erinnert. Eine bewusste Fortsetzung?

Nee, das überhaupt nicht. Wir haben auch wirklich irsinnig lang an diesem Lied rumgeschraubt, textlich ging das wirklich über Weihnachtslied, Silvesterlied, Geburtstagslied, hin und her und hin und her. Fünf Texte fertig geschrieben, ich und Tobi gucken uns an und sagen: Nee, is nix, oder? - Ja, nee, is nix. (lacht)

Und dass "Die Bomben Meiner Stadt" ähnlich wie "Sommer In Der Stadt" diesen The Clash-Flavour mitbringt, ist auch Zufall?

Boah, jetzt! Endlich. Nee, das war tatsächlich ganz genau so, dass Tobi und ich uns über "Sommer In Der Stadt" nachhaltig gefreut haben. Denn das war halt ein bisschen anders. Als wir dann ein bisschen rumgeschrieben haben, meinte er: Lass uns noch mal so 'nen "Sommer In Der Stadt"-Song machen. "Die Bomben Meiner Stadt" wurde dann zwar doller und schneller, aber das ist tatsächlich das zweitgeborene Kind aus der Reggae-/Ska-/Punk-Familie. Ich danke dir.

"Jetzt haben wir wenigstens einen Song, den die Leute richtig scheiße finden."

Hast du denn persönliche Lieblingssongs oder einfach einzelne Lieder, die dir mehr bedeuten als andere?

(überlegt lange) Also das hab ich bis jetzt noch nicht. Das würde es vielleicht geben, wenn ich schon viele Thees Uhlmann-Platten geschrieben hätte. Da könnte ich dir dann sagen, was ich wie einordnen kann. Bis jetzt habe ich ja einfach nur 22 Songs geschrieben. Weil das jetzt innerhalb einer kurzen Zeit passiert ist, sind mir die alle noch relativ nahe. Wir haben diesen Song "Zerschmettert In Stücke (Im Frieden Der Nacht)" gemacht und ich weiß noch, wie Tobi und ich im Studio gesagt haben: Jetzt haben wir wenigstens einen Song, den die Leute richtig scheiße finden.

Juhu - so wie ich.

Das ist total gut, wenn man so einen Song hat. Und trotzdem kann man zu dem Song stehen und weiß, warum man das gemacht hat. Man hat sich mit dem Text und der Musik Mühe gegeben. Aber dann haben ganz viele Leute zu mir gesagt, dass das eigentlich ihr Lieblingssong auf der Platte ist, was ich gar nicht glauben konnte. Deswegen habe ich den irgendwie auch am meisten auf dem Zettel. Das war wirklich so: Mal was anderes machen. Ach, fuck off. In den Achtzigern hatten wir schon Schamhaare, jetzt machen wir auch 'nen Song, der sich nach Achtziger anhört. Und wir hatten auch irgendwie einen geilen Bammel vor dem Song und vor der Beobachtung der Reaktionen.

Das habe ich mir beim ersten Anhören auch gedacht: ziemlich gewagt.

Du bist zu jung. (lacht)

Okay, auch das habe ich mir gedacht. Und wenn ich das Album jetzt auf Platte höre, ist mir das Skippen natürlich auch zu aufwendig.

Damals hat sich die Musik auf jeden Fall mehr Zeit gelassen. Ich weiß hundertprozentig, was du meinst. Wenn du heute mit dem Fahrrad von A nach B musst und einfach nur Gas geben willst, dann skippst du natürlich weiter. Und früher? Man fährt Fahrrad und spult auf dem Walkman vor? Das machte kein Mensch.

Ich hab von dir noch kein Statement bzw. keine Kurzrezension zum neuen Casper-Album gehört. Dazu hast du doch bestimmt eine dezidierte Meinung.

'Ne Kurzrezension? Die Kurzrezension lautet wie folgt: Wie dieser junge Mann mit dem unerwarteten Druck des Erfolges kreativ wie auch öffentlich umgegangen ist, bedingt unser aller Hochachtung - elf von zehn Punkten.

Stilistisch habt ihr euch verglichen zu "XOXO" und deinem Debüt ja durchaus angenähert. Hast du darüber schon mal nachgedacht?

Na ja, wenn man darüber zu viel nachdenkt, geht einem auch irgendwie das Fan-Sein verloren. Und ich komme ja ganz häufig durchs Fan-Sein zum eigenen Song. Ein Song begeistert mich so sehr und dann habe ich irgendwie selber Bock aufs Klavierspielen. Und plötzlich hab' ich dann selber ein neues Lied geschrieben. Deswegen schaffe ich es immer noch, die Sachen einfach nur mit den Ohren zu hören. Und das will ich einfach nicht aufgeben.

Vom Lieblingslied zum eigenen Song: Diesen Prozess hat Casper mit seiner Playlist "13 Songs That Inspired Hinterland" ja auch ziemlich offengelegt.

Das find ich halt super. Das zeigt halt auch wieder, was das für ein unspießiger Typ ist. Er könnte ja auch sagen: Wir haben uns extra im Studio eingegraben und keine anderen Songs gehört. Gähn. Selbst wenn die Platte nach einer Mischung aus NoFX und Bad Religion klingt: Ist doch ne gute Mischung. Kannste ruhig zugeben.

Du warst früher mal Musikjournalist und schreibst heutzutage auch noch fürs St. Pauli-Fanzine ...

Das mit dem Musikjournalist, da überleg ich langsam echt, ob ich das mal rausstreichen lasse. Ich war nie Musikjournalist. Ich wurde immer gefragt: Hast du nicht Bock, über so was zu schreiben? Ich hatte nie das Berufsziel. Ich wollte auch nie objektiv über Sachen schreiben. Für mich war das immer nur so: Ja, klar fliegst du jetzt zu Richard Ashcroft und versuchst, eine gute Story darüber zu schreiben. Aber Musikjournalist ... die Leute, die die SPON-Sachen schreiben, haben einfach ein ganz anderes Referenz-Universum. Die können das ganz anders beurteilen.

Wenn ich zu Richard Ashcroft in den Garten komme, sag ich so: Geile Songs geschrieben und ich sitz' jetzt hier im Garten. Das ist dann meine Story. Ich kann das nicht in den großen Zusammenhang einordnen. Aber ich schreib nach wie vor gerne. Ich schreib jetzt ja auch wieder zur Tour. Und ab und zu schreib ich auch noch fürs St. Pauli-Fanzine. Auf doof gesagt: Ich mache Auftragsarbeit. Wenn jemand was hat, worüber er denkt, dass ich dazu was schreiben sollte, dann mach' ich das immer gerne.

Dass Tomte nicht aufgelöst sind, hast du bereits mehrfach bestätigt. Kannst du dir erklären, was diejenigen Fans, die "Bitte, gib' uns Tomte zurück" schreien, sich eigentlich erhoffen? Ich kann mir schwer vorstellen, dass du plötzlich unter dem Namen Tomte all deine musikalischen Vorlieben über Bord wirfst und wieder den alten Indie-Sound machst.

Ich glaube, die Leute wollen einen Zeitpunkt wiederholt haben, den sie in ihrem Leben hatten und den sie mit etwas Positivem verbinden. Ich hab genau dasselbe, weil ich mir "The Dark Knight" auch schon siebenmal angeguckt habe, nur wegen der Joker-Dialoge. Nur weil ich noch mal hören will, wie der bestimmte Sachen sagt. Das gibt mir ein wahnsinnig gutes Gefühl, weil ich das wahnsinnig lyrisch und wahnsinnig kunstvoll und wahnsinnig Action und wahnsinnig interessant finde. Das Gefühl will ich immer wieder haben. So ist das halt auch, wenn man mal wieder "Von Gott Verbrüht" hören möchte.

Aber dieses alte Gefühl zurückzubringen, kannst du den Leuten doch gar nicht versprechen.

Nö.

Das heißt, sie fordern wohl eher Tomte-Reunion-Konzerte?

Puh, ich hab ja keine Ahnung, was die fordern.

Ich hab immer nur diesen YouTube-Kommentar unter "Bomben Meiner Stadt" vor Augen: "Bitte gib' uns Tomte zurück!"

(lacht) Ja, nee, keine Ahnung. Dazu lebe ich auch zu sehr im Hier und Jetzt. Aber wenn Toco sich vor fünf Jahren aufgelöst hätten, würde ich wahrscheinlich auch darum betteln, noch mal "Jenseits Des Kanals" zu hören. Ich würde das echt wollen.

"Ich habe mit Olli Schulz viel Haftbefehl gehört."

Ihr habt bei Grand Hotel van Cleef gerade das neue Signing Paper & Places vorgestellt. Bist du denn immer noch auf der Suche nach einem Rapper, den ihr mal rausbringen könntet?

Ja.

Und wie läufts?

Schlecht, weil mein momentaner Lieblingsrapper, Grim 104 von Zugezogen Maskulin, jetzt bei Buback unter Vertrag steht. (sucht den Link zum Video heraus und schickt ihn mir per Skype) Das Ganze ist ein bisschen unangenehm: Ich hab mir das so angehört und ich bin halt sofort ... wie sagt man? Ich hab's sofort gediggt. Ich fands mega, ab Sekunde eins. Aber dann passiert in diesem Lied was. Und ich so: Das kann nicht angehen! Wenn du das hörst, verstehst du, was ich meine. Aber ich bin echt ausgeflippt. Weil ichs erst echt gut fand. Und dann hatte ich so einen kleinen Redemption-Moment.

Ich hörs mir nachher an und sag dir dann Bescheid, ob ich ihn gefunden habe.

Mach das. Aber wenn du 'nen guten Rapper für mich hast, dann gib mir einen.

MoneyBoy.

Äh ... joa. Ich mein, klar: Dadaismus und Österreich, das ist ja ein großer Strang in deren kultureller Genesung. Aber ich war nie so der Dadaismus-Fan. Aber wir waren neulich in derselben CircusHalligalli-Sendung und mein Schlagzeuger kommt ja auch aus Österreich. Dann hab ich gesagt: Ey, Leude, ihr kommt beide aus Österreich, unterhaltet euch. Haben sie dann auch nicht gemacht, aber irgendwie cool.

Da gibt es eine Sache, über die habe ich gerade angefangen nachzudenken, bin aber noch nicht weit gekommen: Diese massiven Berühmtheiten im Internet: Ist das schon dieses Punk-mäßige, dass Leute berühmt werden, weil sie - in Anführungszeichen - schlecht sind? Im Sinne von Punk: Jeder kann ein Star werden, ich mach das einfach und wenn ich einen bestimmten Nerv in der Jugend treffe, kann ich auch ein Star werden. Meine Frage ist also, ob das quasi wie Punk ist, bloß mal minus Eins, also in schlecht. Und ob das Unvermögen und dessen Darstellung die eigentliche Faszination sind und wieder zu etwas Positivem führen. Aber da bin ich noch nicht weitergekommen.

Apropos Punk: Verfolgst du diesen jungen, deutschsprachigen - wie in Das Wetter nennt - Diskurs-Punk? Messer sind da so ein Beispiel.

Messer, Die Nerven.

Love A.

Da hab ich mit dem Merchandiser abgehangen beim Bruce Springsteen-Konzert.

Hab ich gelesen.

(lacht) Das war der einzige Typ mit 'nem Slayer-T-Shirt auf dem Springsteen-Konzert. Fand ich ganz witzig. Insgesamt fällt das bei mir immer noch unter dieses - keine Zeit gehabt, mich damit auseinanderzusetzen. Und die Leute kommen mir teilweise so existenzialistisch vor. Schwarz-Weiß-Foto, ernsthaft gucken, das ist so'n bisschen ... Also ich muss mich da auf jeden Fall noch musikalisch reinhören. Vorher kann ich dazu gar nix sagen.

Und die "Schnullis mit Gitarre", von denen du damals gesprochen hast - bist du mit denen mal ein bisschen wärmer geworden?

Schnulli ist in Norddeutschland kein Schimpfwort. Ich hab' sogar mal Tim Bendzko Props gegeben, als wir mit dem zusammengespielt haben. Die machen halt was anderes als ich. Aber ich hab auch noch nie Mut oder Geilheit oder Distinktionsgewinn daraus gezogen, so was schlecht zu finden. Das war mir ehrlich gesagt immer zu weak. Man sollte gut durch sich selber sein, aber nicht in dem man sagt: Ich bin besser, weil die anderen schlechter sind als ich. Das macht in meinen Augen keinen Sinn. Vor allem in meinem Alter nicht mehr. Mit 22 mag das okay sein.

Also sagen wir's mal so: Es gehen 500.000 Hausfrauen zu Tim Bendzko-Konzerten und haben wunderschöne Momente. Und wer ist man denn, wenn man einen schönen Moment anfängt zu bewerten? Natürlich wär das alles besser, wenn die Moderat und Talk Talk hören würden. Wahrscheinlich, keine Ahnung, vielleicht auch nicht. Aber ich bin da nicht in der Bewerterrolle drin. Wenn Leute sich freuen und dabei keiner zu Schaden kommt, ist das für mich erst mal alles in Ordnung. Andere Sachen schlecht zu finden, diesen Habitus haben meistens Leute, die mit ihrer eigenen Sache Sorgen haben.

Welches sind deine Lieblingsplatten, die die deutsche Musiklandschaft in den letzten zwei Jahren hervorgebracht hat?

Die Eric Pfeil-Platte. Na ja, was willst du von mir? Die Casper-Platte ist zwei Jahre alt, ich hab auf einem Klassiker mitgesungen. Das ist ein schönes Gefühl. Ich will das Thema nicht überstrapazieren, stell mich aber jeder Diskussion und gehe in jeden Ring für die letzte Tote Hosen-Platte. Moderat ist jetzt nicht deutschsprachig, ist aber ne deutsche Platte. Find ich wahnsinnig gut. Und wenn das keiner mitbekommt: Ich hab mit Olli Schulz viel Haftbefehl gehört. Ich glaube, das ist ein Rapper, der mit der Zeit immer besser wird.

Weil er mehr nachdenkt?

Mit dem Nachdenken hat das gar nicht so viel zu tun. Mit 16 ist es selbstverständlich, eine Bierdose auf den Boden zu schmeißen. Mit 22 sagst du dann: Weißt du noch, wie wir damals Bierdosen auf den Boden geschmissen haben? Das ist eher so die Veredelung der eigenen Geilheit.

Wie fändest du es eigentlich, wenn Heino dich mal covert? Ist das ein anzustrebendes Ziel? Nachdem ich gestern "Kapitulation" gehört habe, musste ich daran denken.

Hat der das gecovert?! Also im Hause Tocotronic gibts dieses Jahr auf jeden Fall fette Weihnachtsgeschenke, so viel ist klar. (lacht) Ich mein, wenn Heino einen Song von mir covert, würde das wahrscheinlich bedeuten, dass ich mir für zwei Jahre keine Sorgen mehr um die Miete machen müsste. Das ist schon mal ein ganz geiler Zustand.

Andererseits ist das halt gerade aktuell, aber in den Achtzigern hat Heino mal das gesamte Lied der Deutschen aufgenommen. Die Betrachtung einer Sache verändert sich auch immer. Ich kann dazu einfach nur sagen: Amerika hat Johnny Cash und wir haben Heino. Das spricht einfach dafür, wie weit wir mit unserer Popkultur gekommen sind. Oder wie weit wir immer noch hinterher hängen.

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LAUT.DE-PORTRÄT Thees Uhlmann

Musiker, Tomte-Sänger, Autor, Labelchef – Thees Uhlmann gilt als prägende Persönlichkeit der deutschen Musiklandschaft. Am 16. April 1974 geboren …

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