laut.de-Kritik

Experimente mit Räumlichkeiten.

Review von

Eine ganz kurze Vorbemerkung: Auf meinem rechten Oberschenkel befindet sich seit Anfang 2023 die The National-Zeile "say goodbye to pretty boy", gestochen im Versuch, in einer emotional lange ungeklärten Trennung eine Form der Identität zurückzugewinnen. Am selben Tag wurde, und ich wünschte ich hätte mir das ausgedacht, "First Two Pages Of Frankenstein" veröffentlicht.

Eigentlich sind The National seit 2013 im permanenten Umbruch. Bis dahin, bis "Trouble Will Find Me", schien die Bandgeschichte linear zu verlaufen, hin zu immer mehr Kontrolle, immer mehr Präzision, immer mehr Dichte. "Sleep Well Beast" brach diese Enge 2017 zum ersten Mal wieder auf, mit IDM und einer neuen Lust am Experiment. Um den eigenen Sound zu erneuern, entgrenzten Aaron und Bryce Dessner ihn vorsichtig, öffneten ihn an seinen Ecken. 2019 war Matt Berninger auf einmal nicht mehr der einzige Sänger, da waren Frauenstimmen, mal mit ihm, mal ohne ihn.

"Laugh Track", das inzwischen zehnte Album der Band aus Cincinnati, Ohio, ist nun der erste wirklich erkennbare Schritt in eine neue Richtung innerhalb dieser Entgrenzung. Denn es ist keine große Erweiterung, sondern vielmehr eine Verschlankung seines Vorgängers "First Two Pages Of Frankenstein". Diese Verschlankung öffnet gleichzeitig einen unverstellteren Blick auf die Band, auf ihre Gefühle und Ideen.

Mit dieser Erkenntnis geizt das Album allerdings lange. Eigentlich bis zum bitteren Ende, dem mäandernden, fiebrigen, rohen "Smoke Detector". Live aufgenommen, mehr Improvisation als beendeter Song, deckt er auf, was "Laugh Track" von seinem Zwilling unterscheidet: Räumlichkeit. In allen Aspekten dieses Dunkelrocks sind auf einmal wieder offene, unbegrenzte Räume zu erkennen. Seien es die Figuren in Berningers Texten, die zu "Space Invader" werden oder das eigene Leben als Sitcom begreifen. Auf "Alligator" ging Berninger noch nach Astronauten Ausschau halten, immer vom eigenen Nabel aus. Nun ist er selbst der Astronaut, der als Fremdkörper auf die anderen Menschen zurast.

In "Smoke Detector" ist die neue Räumlichkeit nun sogar akustisch zu greifen. Anstelle der Enge, die Aaron Dessner ansonsten entwirft, aus der Berninger förmlich herausexplodieren muss, scheinen die Instrumente nun nebeneinander angeordnet zu sein. Das Ergebnis ist das Wiederfinden der Freiheit. Paradoxerweise scheint die Band zum ersten Mal seit langem frei vom eigenen Druck zur Erneuerung sein, just in dem Moment, in dem sie sich wirklich erneuert. Es ist natürlich ein gigantischer Gewinn, dass Bryan Devendorf wieder am Schlagzeug sitzt, statt sich mit Drumcomputern rumzuschlagen. Wie sehr seine verschrobene Rhythmik der Band gefehlt hat, zeigt sich auf "Smoke Detector" sofort. Seine Schläge sind immer diese entscheidende Millisekunde verzögert, als wäre er sich noch nicht sicher, ob er das wirklich machen will. Direkt zieht sich die Atmosphäre des Songs zusammen, alles um Devendorf herum wird von einer Verunsicherung ergriffen. Um ihn herum gniedeln Gitarren in bester 70s Schweinerock-Manier, wie man sie bei Aaron und Bryce Dessner schon lange nicht mehr gehört hatte. Berninger hingegen scheint mit all dem Raum um ihn herum kaum umgehen zu können. Wie seine besten Texte fällt er in sich zusammen, lallt in sich herein, während er von seinem größtmöglichen Triumph erzählt: "Sitting in the backyard in my pharmacy slippers, at least I'm not on the roof anymore."

An der Single "Space Invader" lässt sich hingegen ganz gut beobachten, weshalb "Laugh Track" solch ein wichtiger Schritt aus dem Korsett der letzten Alben ist. An der Oberfläche scheint der fast siebenminütige Track ein recht typisches The National-Werk zu sein. Klar hat er etwas Überlänge, aber im Großen und Ganzen sind all die Signifier eines großen The National-Songs vorhanden. Crescendo? Texte über Liebe, die vor Selbstzweifel fast zerbricht? Ein druckvolles, zirkulierendes Schlagzeug? Check, Check, Check! Dennoch ist die Struktur und damit der gesamte Song etwas Neuartiges für die Band. Denn nach der Hälfte scheint er in ein Fade Out überzugehen. Berningers Meditation über Momente, die nicht passiert sind, scheint damit bestätigt. Doch "Space Invader" verdichtet sich wieder, die angelegten Klavier-Strukturen ziehen sich zusammen, werden beschleunigt, kleiden den Song in eine Decke der Anxiety. "Quarter after four in the morning / My heart's software gore" murmelt Berninger in sich, er scheint sich hier aus dem Raum entfernen zu wollen, statt ihn zu nutzen.

Das Experimentelle zieht sich wie ein Leitfaden durch "Laugh Track". Auf "Turn Off The House" mag Berninger zwar von seinem Lieblingsthema, der emotional hochkomplexen Trennung zweier Menschen, singen, doch schreibt er sich selbst beinahe vollständig heraus. Wo er in der Vergangenheit noch durch das dunkle Haus gehuscht wäre, voller Angst, die Tochter aufzuwecken, kommt er nun selbst auf einmal beinahe nicht vor. "You're bailing out / you're free of it now" haucht er der Flüchtenden zu, so zart sein Bariton das erlaubt. Frei von den eigenen Ängsten schafft er es, den Blick in die Zukunft zu werfen, auf Möglichkeiten: "Nothing you need to get back to / no one you need to see." Nur einen Wunsch hat er: "Don’t even think about me.“"

Mit der Leichtigkeit auf "Laugh Track" geht auch einher, dass sich The National eine neue, ätherische Qualität erlauben. "Turn Off The House" zirkuliert um Berninger herum, "Tour Manager" ist vielleicht der sanfteste Song der Bandgeschichte. Wie Wassertropfen perlt Devendorfs Schlagzeug um Berninger herum, im Hintergrund bietet sich Lisa Hannigan als Body Double an. "Play it like it's nothing Alice" haucht Berninger wieder und wieder, während die fein gepickte Gitarre im Hintergrund sich dezent in den Vordergrund schiebt.

Die Kehrseite dieser leichtfüßigen Balladen ist "Coat On A Hanger", das auf ähnliche Seligkeit abzielt, allerdings nie den Boden der Realität verlassen kann. Die Emotionen, sowohl in der Lyrik als auch in der Musik, sind kein emotionaler Wasserfall, sondern mehr ein trauriges Wasserspiel im Vorgarten eines Doppelhauses in den Stuttgarter Randbezirken. Mehr eine Nachbildung eines The National-Songs als ein The National-Song selbst. "Don't leave me here at this party / Like a coat on a hook" erinnert an eine Midi-Rock-Version des Einstiegs zu "Nobody Else Will Be There": "Meet me in the stairwell for a second / for a glass of gin." klang verführerisch, liebestrunken und dennoch zutiefst verzweifelt. Nichts davon trifft auf die Haus-Maus-Reime in "Coat On A Hanger" zu. Auch "Hornets" scheint kaum mehr eine schale Imitation des Vergangenen zu seins, das Motiv der Insekten war in "Wasp Nest" eindrücklicher und präziser. Außerdem erreichen die Hornissen 2023 nicht dieselbe schlaftrunkene Eleganz, die 2004 noch vorherrschte.

Eine deutlich gelungenere Aktualisierung der Bandgeschichte gelingt hingegen dem Country-Duett "Crumble (feat. Rosanne Cash)". Unverkennbar verweist die Band auf ihre Anfangstage als missverstandene Neo-Americana-Band, die sich im Gewässer von Wilco und weiteren Dadrockern (also Bands, die zu solchen geworden sind), einen ersten, kleinen Ruf erspielte. Diese Wurzeln blieben nicht lange präsent, schon das zweite Album "Sad Songs For Dirty Lovers" zog in seinen besten Momenten der Offenheit die Klaustrophobie und emotionale Ausnahmesituationen vor. "Crumble" wirkt nun mehr wie eine retrospektive Versöhnung der Countryband, die keine werden wollte, mit sich selbst. Die Post Punk-Einflüsse von 2003 sind sowieso deutlich wichtiger für sie. So ist das chorale "Deep End (Paul's In Pieces)" nicht ohne das kratzbürstige "Available" denkbar.

Wie sehr sich das Konzept The National auch für die Band The National im Verlauf von "Laugh Track" verändert haben muss, zeigt die Bon Iver-Kollaboration "Weird Goodbyes (feat. Bon Iver)" erschreckend deutlich auf. Ursprünglich im Sommer 2022 erschienen — kurz nach der eingangs erwähnten Trennung — wirkt das blubbernde Trennungslied auf "Laugh Track" trotz seiner inhärenten Qualitäten seltsam deplatziert. Der Raum für Neuartiges fehlt in all den Details der Produktion, die seltsamen Abschiede scheinen mehr eine Fortführung des Status Quo denn ein Blick in die Zukunft.

Trackliste

  1. 1. Alphabet City
  2. 2. Deep End (Paul's In Pieces)
  3. 3. Weird Goodbyes (feat. Bon Iver)
  4. 4. Turn Off The House
  5. 5. Dreaming
  6. 6. Laugh Track (feat. Phoebe Bridgers)
  7. 7. Space Invader
  8. 8. Hornets
  9. 9. Coat On A Hook
  10. 10. Tour Manager
  11. 11. Crumble (feat. Rosanne Cash)
  12. 12. Smoke Detector

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2 Kommentare

  • Vor 6 Monaten

    Gute Review!
    Mir gefällt das Album deutlich besser als der reduziertere (man könnte fast sagen simple) Vorgänger. Die Dichte im Sound ist für mich das was die Band neben der Dandy-Attitüde einzigartig macht. Hier passiert auf den einzelnen Tracks wieder deutlich mehr und Gott wie habe ich das Schlagzeug vermisst.
    Einziger Malus bleiben die Lyrics, da findet sich nur noch wenig von den Sprachbildern und der Ironie der vergangenen Großtaten. Der Trotz und die Arroganz, die die Traurigkeit gebrochen haben sind verschwunden. Stattdessen spricht Berninger jetzt das selbe Therapie Bla wie alle anderen.
    Trotzdem ein sehr schönes Herbstalbum und das Konzert in Berlin war wahnsinnig gut.

  • Vor 6 Monaten

    Bescheuertes Albumcover, bescheuerter Albumtitel, langweilige Band. Aber für mich dann doch nicht uninteressant genug, um in die Alben reinzuhören.
    „Space Invader“ gefällt. In dieser Richtung können sie gerne weitermachen.