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Cloudrap oder: Wo furchtbare Vocals alles richtig machen.

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Sobald eine Bewegung zu ominös wird, fangen ihre Hauptgesprächspunkte an, sich selbst zu reproduzieren. Deswegen gibt es in diesem Jahrzehnt an wirklich jeder Ecke Triplet-Flows und Autotune, auch wenn die Anwender manchmal nicht einmal zu verstehen scheinen, warum eigentlich. Interessanterweise wendet sich das gleiche auch auf negative Talking Points an; Thaiboy Digital zum Beispiel, eine Ausgeburt der schwedischen OGs des tatsächlichen "Mumble Raps", macht den oftmaligen Vorwurf der völligen Versumpfung der Rap-Vocals zum Aushängeschild.

Drain Gang nennt sich seine Crew der Yung Lean-Gefolgsleute (wenn auch zeitgleich und im Sound vor allem durch die Produzenten Yung God und Yung Sherman entstanden), die neben dem thai-schwedischen Thaiboy auch Bladee und Ecco2k enthält. Eine Formation an Musikern, deren eigenwillige, teils sperrige Cloud Rap-Klangwelt oft verwirrend wahrgenommen wurde. Und in der Tat: Guter Rap ist "Legendary Member" mitnichten. Ein gutes Album möglicherweise aber schon.

Der originale schwedische Cloud Rap, der nur in einem Hip Hop post Soulja Boy und post Lil B überhaupt möglich war, rotiert um diese horrenden, klischeebeladenen und dem Fremdscham immer nur knapp entkommenden Vocal-Performances, die zwar gleichzeitig der klar schlechteste Aspekt der Musik und trotzdem deren Dreh- und Angelpunkt sind. Am besten fasst das der Opener "Drainstar Rock" zusammen. Insgesamt gibt es hier vielleicht vier verschiedene Zeilen, die die Laufzeit der Nummer auffüllen. Zwei davon sind reine Phrasen. Zwei Lines, ein Song.

Es bleibt demnach der Verdacht, dass Thaiboys Cloud Rap einfach nur Electro mit einem Hypeman ist. Und der Verdacht wäre nicht unangemessen. Aber vergleicht man es mit den Künstlern, deren Instrumentalmusik die Produktionen von Gud inspiriert haben, dann merkt man, dass keine Blank Banshee, kein DJ Tiesto und kein SuicideLightyear in irgendeinem ihrer Projekte eine derartige Immersion in ihre Musik erlangen.

Thaiboy ist aus dem selben Grund hier, wie Clams Casino seine Meisterwerke im frühen Jahrzehnt an Lil B abgegeben hat: Die Drain Gang macht Electro mit Protagonisten. Thaiboy Digital ist ein Rapper zweifelsohne, aber weniger im Sinne eines MCs als im Sinne eines Tourguides, eines Tripsitters und eines Mediums, das die Gefühle dieses Opiat-Trips durch Stimme und Peformance vorlebt.

Um so effektiver werden die minimalen Synthesizer-Spielerein auf dem Outro von "IDGAF" oder über die Gesamtheit von "Beijing". Um so mehr verliert man sich in der hypnotischen Repetition der Klanggerüste auf "Nervous" oder "Can't Tell". "Legendary Member" ist eine andere musikalische Erfahrung als ein Electro-Album, weil die Präsenz eines Protagonisten sie anders begreifbar macht. In dieser Hinsicht hört man das Projekt in der Tat eher wie ein Rap-Album, vor allem auch, weil Thaiboys Texter-Ansatz die Musik-Passagen in semi-traditionelle Hip Hop-Strukturen zwingt.

Was bleibt ist ein Album, dass die psychedelischen Reize von Post-Internet-Electro Genres mit vielschichtigen, wunderbar gesampleten Synthesizer-Kulissen mit der Form und der Struktur eines Rap-Albums kreuzt. Thaiboy muss da sein, um diesen Effekt zu erzielen, aber er muss seine Präsenz als MC minimieren, um nicht vom eigentlichen Appeal abzulenken. Dementsprechend macht er mit seiner beeindruckend unbeeindruckenden Performance auf "Legendary Members" alles richtig.

Trackliste

  1. 1. Drainstar Rock
  2. 2. Nervous
  3. 3. Can't Tell
  4. 4. Kiss Me Through The Scope
  5. 5. IDGAF
  6. 6. Bentley (feat. Bladee)
  7. 7. Kit Kat
  8. 8. Lip Service (feat. Ecco2k)
  9. 9. Bejing
  10. 10. Spinnin
  11. 11. Baby (feat. Ecco2k)
  12. 12. Legendary Member (feat. Bladee, Ecco2k & Yung Lean)

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