laut.de-Kritik

Tilo faked it till he made it.

Review von

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel zu viel ich in den letzten Wochen darüber nachgedacht habe, ob ich mich in T-Low geirrt habe. Als er letztes Jahr sein "Everything's Purple"-Tape veröffentlicht hat, hat sich ja schon abgezeichnet, wie groß der Hype um ihn werden könnte. Ich fand das Tape schlimm. Cosplay-Rap, umständlich aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Amirap-Phrasen, vorgetragen von einem sehr durchschnittlichen Dude, dem dank solider Stimme hier und da mal was gelingt. Aber dann sind die Hits eingerollt: "Sehnsucht" und "We Made It", beide riesengroß, beide zugegebenermaßen ziemlich gut, in dem was sie tun. Zeitnah legt er mit "Percocet Party" ein ganzes Album nach. Und ich weiß nicht, ob es der Siegeszug eines neuen Superstars ist, der sich über die skeptischen Kritiker hinwegsetzt.

Dabei gehört er in diese wachsende Riege an Artists, die außerhalb ihrer Hörerschaft irgendwie keiner so richtig bemerkt und von dem die meisten intuitiv annehmen, dass er nichts kann. Liegt vermutlich daran, dass der Junge trotz aller Verweise auf seinen Modegeschmack immer noch aussieht wie das 2017 in unserer kollektiven Vorstellung angelegte Symbolbild eines wacken Rappers. Aber gleichzeitig existiert eine riesige Fanbase, für die er der Breakout-Star des Jahres ist, der Banger über Banger macht und zu echtem Tiefgang im Stande ist.

Es fällt auf den ersten Blick überhaupt nicht schwer zu erschließen, was seine Musik gut kann: Sie ist eingängig. Vielleicht hat es nur diesen Miksu & Macloud-Cosign gebraucht, um die beste Seite seiner Pop-Sensibilität aus ihm herauszukitzeln, die er schon auf Songs wie "Crashen" oder "Ordentlich" angeteast hat. "Sehnsucht" ist ein belangloser, aber süßer Lovesong mit tödlich effektivem Pop-Punk-Aufbau, der verständlicherweise wochenlang die Charts hier angeführt hat. "We Made It" führt auf dieser Platte diese Formel weiter – und macht sie sogar noch besser.

Die Gitarrenlicks klingen fantastisch, der Refrain kickt gerade am Ende des Songs absolut und sogar der Text gefällt: Wie er das broke Leben beschreibt ("wenn du vorbeikommst, bring bitte eine Pizza 'rum / mich bringt der Hunger um") und Sucht und das Verhältnis zu seinen Eltern beschreibt, gibt den abgesehen davon sehr generischen Brags doch eine ziemlich gute emotionale Basis. Aber vor allem ist es erschreckend, wie nur ein klein bisschen mehr Bewegung und eine klassische, gut ausgeführte Pop-Songstruktur seine Stimme wirklich fantastisch klingen lässt. Die Atmosphäre auf diesem Song ist nicht zu leugnen.

Mehr noch als auf "Everything's Purple" kommt hier das Gefühl auf, dass T-Low tatsächlich etwas erzählen will. Das Intro leiht sich beattechnisch Sounds aus modernem LA-und-Detroit-Rap und gibt einem ziemlich freshen Knock vor, auf dem der Junge dann tatsächlich eine ganze Weile runterrappt. Auch auf Songs wie "Curly Fries" oder "No Hook" gehen in diese Richtung. Ist er ein besonders begabter Texter? Nein. Aber er klingt, als hätte er wirklich Bock, sich als Rapper zu beweisen. Und oft schlägt Esprit in solchen Fällen Handwerk. Denn wenn jemand richtig Bock hat zu rappen, wird man es immer spüren. Und immer wieder flowt er auch wirklich solide: "Black Friday", "Red Stripe", "Überall In Bape", das ist überdurchschnittlich performte Genre-Kost mit einer eigentlich ganz geilen Stimme und klingt Beat-mäßig wie Zeug, auf dem auch ein Hotboii oder ein 42 Dugg rappen würden.

Was nicht heißt, dass bisherige Schwächen nicht weiter auftauchen: Seine Art, amerikanisches Rap-Vokabular zu übernehmen klingt immer noch sehr absurd, und oft spürt man über Parts, dass er manche Sachen so nur berappt, weil er sie gerade in seiner Amirap-Playlist gehört hat. Der Titeltrack "Percocet Party" klingt musikalisch wie etwas, das die Shoreline Mafia oder 03 Greedo so produzieren würden, aber irgendwie schafft er es nicht so recht, dieses psychedelische Gefühl aufzubauen. Er klingt viel zu oft so, als wäre er ein bisschen zu stolz, schon mal Gras geraucht zu haben und die Namen all dieser Drogen zu kennen. Zumindest lässt sich sonst nicht erklären, wieso er auf mehreren Songs die Notwendigkeit spürt, darauf zu beharren, wirklich, wirklich, wirklich (!!!) Drogen zu nehmen. Welcher andere Rapper hat denn bitte damit Kredibilitäts-Probleme?

Aber hier kommt auch die Krux an diesem ganzen Tape: "Percocet Party" ist ein gigantischer Life-Imitates-Art-Moment. Tilo faked it till he made it. Irgendwie sind seine ganzen dummen Phrasen an die Hater, über sein Geld und über seinen Szene-Status graduell wahr geworden. Das heißt Dinge, die er jetzt noch nicht so richtig glaubhaft rüberbringen kann, stimmen, obwohl sie wie dreiste Lügen klingen. Oft verfließt deshalb die Grenze zwischen absurder Rap-Fantasie und genuinem Realtalk auf seinen Songs auf eine Art und Weise, die mir das Hirn schmilzt. Manchmal rappt er darüber, wie Drogen sein Leben zerfressen, und es wirkt echt und authentisch, dann sagt er wieder im ernstesten Ton, dass er nicht mehr für Blödsinn reingehen wolle oder dass er Hitjobs veranlasse. Und bevor ich T-Low glaube, ein kaltblütiger Gangster-Boss zu sein, glaube ich, dass Majoe die Grünen wählt.

Leben und Fantasie sind in seinen Texten nur durch eine hauchdünne Membran voneinander getrennt, aber er rappt kontinuierlich so durch, als würde er all das bitterernst meinen. In einer Sekunde wirkt er wie ein sympathischer Hänger, dem man den Erfolg gönnt, in der nächsten wie ein komplett aufgeblasener Idiot, der nicht merkt, dass er nicht Future ist. Aber vielleicht läuft das ja, wie sie im Film "Burning" Pantomime erklärt haben: Wer eine imaginäre Orange essen will, darf nicht so tun, als würde er eine Orange essen, sonder muss vergessen, dass er keine Orange isst. Vielleicht muss man um Future zu werden nicht so tun, als wäre man Future, sondern man muss vergessen, dass man nicht Future ist. Selbst die Features scheinen das begriffen zu haben: Ich will gar nicht wissen, auf was für einem Server Ufo361, Negatiiv OG und Heinie Nüchtern dieses Spiel des Lebens spielen.

Aber vielleicht ist das ja der große Massen-Appeal an seiner Figur hinter den eingängigen Refrains: T-Low ist der Beweis, dass man es alles materialisieren kann. Sprich dein interessantes, erfolgreiches Leben einfach ins Existieren. Ich habe es in der letzten Review schon gesagt, aber im Grunde unterscheidet er sich da wenig von den LGoonys und den Yung Hurns, die aber immer noch die Gnade mit uns hatten, ein Augenzwinkern unter ihre Rapstar-Fantasien zu setzen. T-Low zieht einfach durch. Er hat seine lächerlichen Tagträume solange mit bierernstem Gesicht durchgerappt, bis sie war geworden sind. Und ganz ehrlich? Vielleicht hatte er damit von Anfang an recht. Warum sollte sich auch irgendwer nicht zu seinen megalomanischen Rockstar-Fantasien stellen?

Fakt ist: Dieses Album hat seine textlichen Schwächen, ein paar musikalisch durchwachsene Momente (das Crazy Town-Sample auf "Come My Baby" ist fürwahr schmerzhaft), aber: Meistens klingt dieses Tape gut, in den richtigen Momenten sogar fantastisch. Es ist bisweilen schwer auszuhalten, wie ungefiltert T-Low auf den Dingen beharrt, die er haben will, aber auch nur, weil er im Grunde allgemeingültige Wunschträume ohne Scham ausspricht. Und ich will nicht sagen, dass der Erfolg ihm recht gibt. Aber da ist dieser Dude, der in die Szene gekommen ist und sagte, dass er überhaupt nicht real und überhaupt nicht kredibel ist. Als "Everything's Purple" gekommen ist, hab ich meine Gatekeeper-Hosen angezogen und gesagt: Junge, du bist überhaupt nicht real und überhaupt nicht kredibel, verzieh dich. Aber Stand jetzt sieht es doch so aus, als hätte eher er recht als ich.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Perc Party
  3. 3. Black Friday (feat. Heinie Nüchtern)
  4. 4. Come My Lady
  5. 5. 2 Leben (feat. Sevi Rin)
  6. 6. Red Stripe
  7. 7. Cream Soda (feat. Negatiiv OG)
  8. 8. We Made It (feat. Miksu / Macloud)
  9. 9. Lucid (Loves Hommage)
  10. 10. OMG (feat. Luis)
  11. 11. Curly Fries
  12. 12. Airbnb
  13. 13. No Hook (feat. Lexika & Funeral Fantasies)
  14. 14. Überall In Bape
  15. 15. Harte Medizin
  16. 16. 10 Jahre (feat. Heinie Nüchtern)

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