26. Mai 2023

"Die Musik soll provozieren"

Interview geführt von

Unstoppable Sparks: Das öffentliche Interesse am amerikanischen Weirdo-Duo hat dank Edgar Wrights Doku "The Sparks Brothers" weltweit zugenommen und verhilft ihnen nun zu einem verrückten Coup.

50 Jahre, nachdem sie ihre großen Erfolge auf Island Records feierten ("Kimono My House"), haben Sparks erneut bei dem Label einen Vertrag unterschrieben. "The Girl Is Crying In Her Latte" ist heute erschienen. Wir erreichen Russell Mael via Zoom-Call in seinem Zuhause in Los Angeles. Es ist 8.30 Uhr kalifornische Zeit und der Sänger führt gerade eine Tasse an den Mund.

Hallo Russell! Trinkst du etwa gerade einen Caffè Latte?

Nein. Ich bevorzuge einen Flat White mit Sojamilch. Wir fanden aber, dass ein Album mit dem Titel "The Girl Is Crying In Herr Flat White With Soy Milk" nicht so geschmeidig klingt. Künstlerische Freiheit.

Nachvollziehbar. Bis zur erfolgreichen Band-Dokumentation von Edgar Wright vor zwei Jahren wurden die Sparks immer wieder als die beste Band aus Amerika bezeichnet, die von Amerikanern ignoriert wird. Was ist seither bei euch zuhause passiert?

Sehr viel. Wobei ich einfügen würde, dass sich auch weltweit dank der Doku vieles zu unseren Gunsten verändert hat. In Amerika ist es aber sicher besonders gut sichtbar: Wir spielen in Los Angeles demnächst in der ikonischen Hollywood Bowl, die 17.000 Menschen fasst. Das ist ein sehr besonderer Moment für uns. Die Doku hat unsere Karriere einfach schön aufbereitet und unterstrichen, wie wichtig jedes Album für unsere Entwicklung gewesen ist. Gerade auch, wenn wir als Band manchmal für die Außenwelt nicht so sichtbar gewesen. Die Gruppe existierte trotzdem. Der Film vermittelt sehr gut, dass es sich lohnt, als kreative Person an der eigenen Vision festzuhalten. Und plötzlich ist diese Sichtbarkeit für uns wieder da: Die Menschen interessieren sich dank der Doku dafür, wie unser Weg genau ausgesehen hat und was wir heute machen. Auch in Japan sind Sparks dadurch bekannter geworden.

Stimmt es, dass du mit Ron in der Hollywood Bowl die Beatles live gesehen hast?

Ja, wir hatten eine coole Mum, die wusste, dass uns das Spaß machen würde. Wir waren große Beatles-Fans und so sind wir hingefahren. Sie haben nur ungefähr 25 Minuten gespielt, aber das war egal, weil man sowieso nichts gehört hat außer Kreischen. Das war ja zu einer Zeit, als es noch keine großen PAs gab und die Musik aus den Bühnen-Amps der Musiker kam. Für uns war das alles irre aufregend. Es war einfach großartig, sie zu ihrer großen Zeit in L.A. zu sehen. Und plötzlich, ein paar Jahrzehnte später, dürfen wir auf dieser Bühne stehen.

Im Zuge eurer Doku habe ich nachgedacht, wann ich auf euch aufmerksam wurde. Das war 1989, als Martin Gore von Depeche Mode euren Song "Never Turn Your Back On Mother Earth" auf seinem Soloalbum coverte. Hat dieses Cover damals etwas bewirkt, da die ausgehenden 80er Jahre vielleicht nicht zu euren Karriere-Höhepunkten zählen?

Hoch- oder Tiefpunkte sollten immer an der Kreativität und nicht an der Sichtbarkeit gemessen werden. So gesehen waren die späten 80er Jahre für die Band in der Frage der Popularität sicher kein Höhepunkt. Aber wir waren da, wir haben Platten veröffentlicht. Es hat uns gefreut, dass Martin Gore den Song damals gecovert hat. Ich glaube, er kam speziell für den Fanclub auch noch mal als Depeche Mode-Coverversion raus und wurde auch live gespielt. Wir hätten Martin Gore natürlich gerne in der Doku mit dabei gehabt, aber letztlich hat es Edgar sehr gut herausgearbeitet, was Sparks für die Karriere von zahlreichen Musiker*innen und Schauspieler*innen bedeutet hat.

"The Girl Is Crying in Her Latte" ist euer erstes Album für Island Records seit 1975. Das ist ja fast schon romantisch.

So kann man das natürlich sehen. Island haben uns damals sehr unterstützt. Sie mochten meine Stimme, sie mochten Rons Songwriting und sie haben uns nach England verfrachtet, wo wir mit englischen Musikern zusammen gekommen sind. Es war ein Neustart, denn wir hatten vorher ja schon zwei Alben aufgenommen. Der Song "This Town Ain't Big Enough For Both Of Us" war für die damalige Zeit ziemlich kompromisslos, aber Island haben uns unterstützt. Seitdem sind über all die Jahre zahlreiche Klassiker auf dem Label erschienen und es hat uns vor allem gefreut, dass sie jetzt nicht auf uns zugekommen sind, weil wir vor 50 Jahren mal etwas zusammen gemacht haben. Ihr Interesse hatte nichts mit Nostalgie zu tun, sondern mit der Musik auf unserem neuen Album.

Ich bin großer Fan eurer letzten Alben "Hippopotamus" und "A Steady Drip, Drip, Drip", die auch wieder sehr erfolgreich waren. Sollte es in diese Richtung weitergehen oder was genau waren eure Ziele im Studio?

Im Prinzip hat sich an unserer Ausrichtung nichts geändert: Wichtig ist, dass wir etwas erschaffen, das nicht nach Musik von einer Band klingt, die schon 25 Alben veröffentlicht hat. Es muss frisch und hungrig klingen, die Musik soll provozieren. Nichts ist schlimmer, als sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen. Bands, die so lange im Geschäft sind wie wir, erlauben sich in der Regel den Luxus, faul zu werden. Sie wollen sich nicht mehr herausfordern. Wenn jemand unsere Musik zum allerersten Mal hört, soll er das Gefühl bekommen, dass sie einzigartig und modern ist.

"Wir wissen alle, dass Putin böse ist"

Gibt es diese Momente, wo man denkt: Tolle Melodie, so machen wir es, und kurz darauf merkt man, dass man die Tonfolge vor Jahren schon mal so ähnlich auf einem Album hatte?

Natürlich will man nichts Altes recyclen. Man versucht es zumindest. Es wird von Jahr zu Jahr eine größere Herausforderung.

Meine Lieblingszeile ist aus dem Song "Not That Well-Defined": "Because you're not that well-defined / A sketch where someone's erased the lines / I'd say that you're not that well-defined / A photograph after too much wine".

Es geht darum, dass es Platz für Menschen geben sollte, die mit ihrer Art auffallen, deren Persönlichkeit aus der Masse hervorsticht. Viele Leute haben heute vorgefertigte Meinungen über alles Mögliche, auch darüber, wie andere sich verhalten sollten. Wir finden, dass es wichtig ist, den eigenen Weg zu verfolgen. Der Ausdruck "You're not that well-defined" sollte auch positiv gelesen werden.

In "We Go Dancing" macht ihr euch über Kim Yong Un lustig. Er sei ein besserer DJ als Skrillex und Diplo. Wie kommt man darauf?

Wir hatten relativ früh den Titel, wollten aber keinen blöden Song über die Geschichte oder die Kultur des Tanzens machen. Wenn man aber Kim Yong Un als DJ dieser aufgebrezelten Militärparaden mit den durchchoreographierten Einlagen der Tänzerinnen hinstellt, die Nordkorea vor tausenden von Menschen veranstaltet, und das in diesen bläserlastigen Sound verpackt, hat man eine andere Ebene. Diese widersprüchlichen Elemente darin machen den Song für uns spannend.

Der Song hat einen hektischen, beunruhigenden Unterton, wie ein Tanz auf Messers Schneide.

Ja, das war das Ziel. Diese Spannung im Song, die Musik und Text ergeben.

Gibt es denn Tabus für einen Sparks-Song? Im Lichte des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist ein Song über einen Diktator ja durchaus gewagt.

Wenn man sich den Song genau anhört, sollte eigentlich deutlich werden, dass Diktatoren oder Autokraten darin nicht in ein glamouröses Licht gestellt werden, ganz im Gegenteil. Der Song hat die Absurdität der ganzen Inszenierung zum Thema.

Interessanterweise haben die Pet Shop Boys gerade einen Song zum Ukraine-Krieg herausgebracht. Der Text von "Living In The Past" ist aus der Sicht von Putin geschrieben und zieht eine Verbindung zur Stalin-Diktatur mit ihren geschätzten 20 Millionen Todesopfern. Wäre das für euch auch als Songthema vorstellbar?

Um es mit deiner vorherigen Frage zu beantworten: Es gibt keine Tabuthemen für uns, aber das wäre mir doch zu offensichtlich. Das ist wohl der Unterschied zwischen Sparks und Pet Shop Boys. Es ist mir zu einfach, Putin als bösen Mann darzustellen und es mit Musik zu unterlegen. Wir wissen alle, dass Putin böse ist. Die Idee einer künstlerischen Umsetzung sollte es sein, Dinge in neue Kontexte zu stellen.

Ihr habt euch jahrelang als unpolitische Band bezeichnet, bis 2006 der Song "(Baby, Baby) Can I Invade Your Country" erschienen ist, ein sarkastischer Kommentar auf die Attitüde des politischen Amerikas gegenüber dem Rest der Welt.

Das Thema ist etwas komplex. Die Art und Weise, wie dieser Song umgesetzt wurde, ist unserer Ansicht nach eine probate Möglichkeit, sich politischen Themen anzunähern. Weil der Geist und die Melodie von "(Baby, Baby) Can I Invade Your Country" im direkten Vergleich zum Inhalt einen übertrieben fröhlichen Charakter aufweisen. Das reine Absondern politischer Statements liegt nicht und lag auch noch nie in unserer Natur. Ich halte es darüberhinaus nicht für notwendig, der Öffentlichkeit mit Aussagen wie "Putin ist böse" unsere politische Haltung klarzumachen. Die erfährt man bei Interesse aus verschiedenen Zeilen unserer Songs. Ich glaube auch nicht, dass wir im Jahr 2023 noch damit anfangen sollten, Protestsongs zu schreiben.

"KI beseitigt jeglichen schöpferischen Drang"

Ist dir eigentlich irgendein Sparks-Song peinlich?

Nein.

Klare Aussage.

Ich fand es toll, wie Edgar Wright das in der Doku in Szene gesetzt hat. Wir selbst haben es vor Jahren ähnlich empfunden, als wir unsere damals 21 Studioalben an 21 Tagen in London hintereinander in voller Länge live gespielt haben. Wir mussten uns mit diesen ganzen alten Songs auseinandersetzen, die zum Teil zu Zeiten erschienen sind, in denen Sparks weniger populär waren. Und wir merkten in dem Zusammenhang, dass wir auf diese Songs ebenso stolz sind. Als Künstler sucht man den Fehler prinzipiell erst mal bei sich und denkt: Was ist falsch an diesen Songs? Warum wurden sie nicht bekannter? Aber es gibt eben verschiedene äußere Umstände, die ebenso ihren Teil dazu beitragen, dass manche Alben zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung nicht so hoch in der Gunst des Publikums stehen wie andere.

Sparks-Songs zeichnen sich häufig durch sehr spezifische Songthemen aus. Es gibt Songs über Rasenmäher und wir sprachen eben über einen Disco-Song, der Kim Yong Un als DJ darstellt. Woher nimmt man nach 25 Alben noch neue, verrückte Ideen?

Die Antwort ist relativ schlicht: Leidenschaft. Da draußen fliegen zwei Milliarden Ideen herum und ich verstehe meinen Job als Künstler so, dass ich versuche, daraus etwas Interessantes für einen Text oder eine Melodie abzuleiten.

Ein großes Thema im Bereich des Songwritings ist mittlerweile ChatGPT. Was denkst du, ist es möglich, den Stil der Sparks perfekt zu imitieren?

Man muss wohl davon ausgehen, dass Künstliche Intelligenz früher oder später alles perfekt nachahmt. Inwieweit das dann moralisch ist oder ob man das auch wirklich will, sei dahingestellt. Es betrifft ja nicht nur das Feld der Musik, sondern auch Filme oder Drehbücher. KI wird alles ablösen können. Überspitzt gesagt: Die Technik beseitigt jeglichen schöpferischen Drang, noch etwas Neues zu erschaffen. Von daher bin ich mir nicht sicher, ob uns KI in diesem Punkt wirklich nützlich ist.

Nick Cave hat kürzlich über die Ergebnisse des Chatbots auf seine Art des Textens gesagt, es sei eine groteske Verhöhnung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Siehst du es ähnlich?

Nick Cave hat recht. Ich sehe es absolut genauso. Er hat das sehr schön formuliert. Die Technologie ist nicht mehr aufzuhalten und wenn es im Wesentlichen nur darum geht, jemanden zu imitieren, dann ist es eine groteske Verhöhnung. Wenn KI für medizinische Zwecke genutzt wird und uns weiterhilft, dann ist es großartig.

Du hast einmal gesagt: Nostalgie ist gefährlich für Kreative, weil sie einen daran hindert, weiter relevant zu bleiben. Ich sehe hinter dir ein Plakat zur Veröffentlichung eures 1974er Albums "Kimono My House" hängen. Zuhause sind ein paar Erinnerungen also schon erlaubt, oder?

Du kannst es nicht sehen, aber gegenüber von mir hängt ein Plakat zu unserem Film-Musical "Annette", eines unserer aktuellen Projekte. Wir sind stolz auf alles, was wir veröffentlicht haben, aber deshalb wollen wir nicht zwingend das Jahr 1974 noch einmal erleben. Daher muss man auch immer aktuelle Plakate miteinbeziehen.

Eine letzte nostalgische Frage, weil ich diese Story erst im Zuge der Interview-Recherche herausgefunden habe. Ihr seid 1975 scheinbar einmal als Support-Band von Kraftwerk in den USA aufgetreten: In Buffalo am Eriesee. Hast du noch Erinnerungen an diesen Abend?

Ich habe leider keine Erinnerung mehr an diesen Abend, aber es haben mich über die Jahre immer wieder Leute darauf angesprochen und irgendwann habe ich dann ein Poster dieses Abends mit unserem Bandnamen gesehen. Kraftwerk sind eine fantastische Liveband, ich war erst kürzlich wieder auf einem ihrer Konzerte. Ich wünschte daher rückblickend, ich hätte diesem Abend damals mehr Aufmerksamkeit geschenkt.

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