laut.de-Kritik

Süßer die Scratches nie klingen.

Review von

Auf seinem 17. Longplayer "The Prophet And The Child" entfacht Solomon Childs gemeinsam mit dem aus New York stammenden und in Kalifornien tätigen Producer Tone Spliff ein wahres Scratching-Feuerwerk. Nach Westcoast klingt dieser mit vielen, sehr raren Samples gespickte Boom Bap-Sound insoweit, als dass er stimmungsmäßig an "California Soul" erinnert (u.a. ein früher Hit für Marvin Gaye). Vermutlich weil Solomons Sample-Sound ähnlich klingt. Die Stories in den Texten spielen dagegen in Staten Island, Richmond, New York, home of Wu-Tang. Im Umfeld dieses Kollektivs ist Solomon seit zwanzig Jahren unterwegs.

Das nachdenkliche, Kriminalität und Solidarität thematisierende Stück "N.R.4.S. (feat. Recognize Ali & Sadat X)" gestaltet sich wie eine Sozialreportage mit Posse Cut-Verses ganz im Stile der Wus. Es läuft auf harten Beats, und gescratcht wird - das ist mal spannend - die Stimme in der Hook Line, und zwar in so kleine Teile zerhackt, dass die Stimme zum Schlagzeug mutiert und zugleich - gerade noch und nur zum Teil verstehbar - die Botschaft trägt: "There's no room for snitchers, to maintain [...], that's the way we live". Kein Platz für Verräter, wenn wir hier über die Runden kommen wollen.

Auch in "Representin' Lovely (feat. Inspectah Deck & Realio Sparkzwell)" wendet Produzent Tone Spliff, der gerne mal als 'deeply rooted', tief verwurzelt im Old School East Coast-Rap und nostalgisch im Umgang damit bezeichnet wird, besagte Hervorhebung der Refrain-Silben wieder an. Die ganze Platte trägt viel Melodie und Soul-Seligkeit in sich. Für Liebhaber gerät das in starker Soundqualität gemasterte Album zum Festival guter Melodieriffs und Rhythmen, die einen immer mindestens kopfnicken, wenn nicht tanzen oder vor Freude hüpfen lässt.

Im "News Flash (Skit)" setzt Solomon dem 2017 erstickten Kollegen Prodigy von Mobb Deep ein Denkmal, ebenfalls eine New Yorker Legende, wenngleich aus einem anderen District ("even though you were from Queens"). Überhaupt bersten die Intros und Skits vor Mitteilungsfreude. "Prince Akeem (Skit)" entspinnt sich als Dialog zwischen Mann und Frau. Er will sie näher kennen lernen, doch sie will ihm gefallen, indem sie keine eigene Meinung hat. Als er sie fragt, ob sie für ihn wie ein Hund bellen würde, bellt sie für ihn wie ein Hund, und der Skit fadet aus.

Es sind gerade die kleinen Momente und die gut verarbeiteten Samples, die "The Prophet And The King" so hochwertig und unterhaltsam machen. Sie bezeugen die Abbildung Solomons kleinen Universums in wenigen Songs und ohne Leerlauf. Scratching-Technik, Dekonstruktion der gescratchten Teile und das Verschieben von Beats beeindrucken ebenfalls. So entsteht ein äußerst undigital und spontan wirkendes Album, Hip Hop im Sinne des Wu-Tang Clans der 90er - un-clean im Sound und als Kollektiv erarbeitet. Die zahlreichen Gäste sind so auch mehr als bloßes Schaulaufen. Die Intensität erscheint insgesamt so oldschoolig, dass man sich kurz kneifen muss, ob das Album wirklich neu ist.

Die enorme rhythmische und stimmliche Wucht, die sich etwa in "2 Middle Fingers Up (feat. Rock, Conway & B.Dvine)" entfaltet, unterscheidet sich von Solomons Soloalben schon dadurch, dass viel Manpower drinsteckt. Man höre etwa das Scratching von Minute 4:08 bis 4:20: Die Samples sind nicht einfach nur zur Verzierung da oder um die Struktur der Tracks zu stützen, sondern als Gegenpol zu den wilden Scratchings. Die Zusammenarbeit mit Tone Spliff hat sich gelohnt.

In "Scrimmage (feat. Stryfe, Mazzi & Sav Killz)" entfalten sich interessante Lyrics über mentale Stärke und dem Ausbrechen aus einem geistigen Gefängnis. Sie führt von Marihuana ("Sativa") weiter zu musikalischen Vorbildern (LL Cool J, Harry Belafonte), erzählt, wie man sich von E-Gitarren und Heavy Metal-Elementen im Hip Hop abgrenzt. Ähnlich freestyle-assoziativ laufen alle Texte ab. Es gibt keine 'Was ich schon immer mal teachen wollte'-Haltung, sondern vor allem Sehnsucht nach einer "True Definition", "a true definition of rhyme". Nur das anrührende Denkmal an die Toten, "Fallen Memories", hat Storytelling-Stringenz, wenn Solomon von verlorenen Freunden erzählt.

Ein paar wenige Samples seien kurz angesprochen: Das Intro aus "Day By Day (Every Minute Of The Hour)" von Continental Four steckt in "2 Middle Fingers Up". Das Arrangement aus "You Don't Want My Love" von Erroll Gaye & The Imaginations liegt in "Rise Up (Intro)", und "Wishing On A Star" mit Randy Crawford steckt in "Wishin' (Bonus Track)".

Sicher setzt diese Platte" keine neuen Maßstäbe, erinnert aber zu Recht an vorhandene und vergessene Koordinaten. Und eEs geht erfrischender Weise nicht um Opferrollen, Rassismus und die böse Polizei in der hundertsten Auflage. Explizit politischen Querverweise fehlen ebenfalls, was beim Titel "The Prophet And The King" fast zu erwarten gewesen wäre. Das mag man vielleicht feige finden, doch ein Album, das sich auf Stimmfarben, Reimqualität, einprägsame Wortwahl, den Sound und viele Scratching-Variationen konzentriert, tut auch sehr gut.

Trackliste

  1. 1. Rise Up (Intro)
  2. 2. N.R.4.S. (feat. Recognize Ali & Sadat X)
  3. 3. Stank A$$ Rappers (Skit)
  4. 4. Bullsh!t Refusal
  5. 5. Representin' Lovely (feat. Inspectah Deck & Realio Sparkzwell)
  6. 6. Prince Akeem (Skit)
  7. 7. She Was Fine
  8. 8. 2 Middle Fingers Up (feat. Rock, Conway & B.Dvine)
  9. 9. Scrimmage (feat. Stryfe, Mazzi & Sav Killz)
  10. 10. True Definition
  11. 11. News Flash (Skit)
  12. 12. Fallen Memories
  13. 13. On Fire (Bonus Track)
  14. 14. Wishin' (Bonus Track)

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