laut.de-Kritik

Soul-Dramen mit Karamell in der Stimme.

Review von

"How Could I? (Insecurity)" fragte Andrew Roachford in seinem letzten nennenswerten Hit. Der datiert eine Weile zurück, auf 1997, und bringt die Roachford-Philosophie auf den Punkt. In sich hineinhorchen, Gefühlswallungen überprüfen, Unsicherheit überwinden, Impulse in Worte fassen, Konjunktive in Keyboard-Kadenzen klären und mit Hilfe der Musik die Treue in der Liebe finden. Treue, denn man sieht sich sowieso immer zwei Mal im Leben, "Twice In A Lifetime".

Im bombastischen Song "Are You Satisfied?" gelingt ihm die Darbietung dieses Konzepts ebenso wie im sehnsuchtsvollen Track "So Long" besser denn je und mit Ohrwurm-Qualität. "You're The One" könnte Phil Collins-Fans erfreuen. Das Lied kombiniert richtig schön die Keyboard-Orgeltöne mit den flockig herunter gejammten Akkorden der akustischen Rhythmusgitarre - ein schöner Rausschmeißer aus einem netten Album.

Nett heißt: Manches, wie "Written In My Heart" und "The Truth Hurts Too Much", wird wohl erst live zünden. Zum Beispiel dann, wenn man die Lieder öfter gehört und 'intus' hat. Dann können sie zu klassischen Feuerzeug-Schwenk-, heute Taschenlampen-App-Balladen reifen. Nett heißt aber auch, dass am Ende nicht wirklich viel haften bleibt. Obwohl der Engländer ein paar Volltreffer aufspielt, so auch "Gonna Be The One", ein Soul-Drama in Charles Bradley-Manier.

Der Northern Soul-Sound einer Nummer wie "Love Remedy" hat dagegen heute nicht mehr die Wirkung früherer Tage. Das liegt daran, dass nur wenige solche Musik noch hören, während früher fast jeder damit in Berührung kam. Dazu muss man den Jüngeren unter uns erläutern, dass nicht nur Roachford mal einen guten Start hinlegte. Er surfte auf einer Welle britischen Soul-Pops. Seine karamell-cremige Stimme drängte sich in Zeiten vor YouTube und Spotify als treuer Begleiter im Alltag der Menschen auf.

Dass die Texte Roachfords auch heute nur um Liebesmomente, potentielle Trennungen und Alltagspsychologie kreisen, merken auch all jene, die nur mit halbem Ohr auf die englischen Lyrics achten. "When I wake up in the morning / see the sunshine on your face (…) I can lay here and watch you the whole day", sowas singt Helene auch – da müsste mehr gehen. Entscheidend punkten kann der Sänger hier nur dann, wenn er die Arrangements etwas würzt und den Rhythmus etwas variiert. in "Give It Up And Let Go" etwa. Dort bewegt sich die Trompete zwischen dem majestätischen Traben von Marschmusik, ausgelassenen Verzierungen, auf die Herb Alpert stolz wäre, und richtig coolem Detroit-Sound. Dazu geben die Drums harten Jazzrock vor, wie man ihn von Steely Dan kennt.

Große Klasse beweist auch das Duett mit der vergessenen britischen Soul-Sängerin Beverley Knight. Auch wenn Andrews Stimme angenehm klingt, wird sie auf Dauer monoton und profitiert von Gästen. Jedenfalls von solch leidenschaftlichen Sängerin wie Beverley. Unterm Strich fragt man sich, ob das Engagement bei Mike & The Mechanics, wo Roachford die Lead Vocals seit einigen Jahren übernimmt, ein reiner Brotjob ist. Roachford ist eben kein 4/4-Takt-immer-auf-die-Eins-Sänger, sondern einer, der im Offbeat aufblüht. "Won't Think Twice" führt dies eindrucksvoll vor.

Über Wertungspunkte lässt sich trefflich streiten: Von '1/5' bis '5/5' ist hier alles drin und sehr vom Standpunkt abhängig. Mit Sympathie-Bonus für den Mann, dem ein Comeback gut täte, ließen sich fünf Punkte verargumentieren. Wenn man sich dabei ins Ohrläppchen kneift, nur das Handwerk zählt und das Kriterium 'Originalität' beiseite lässt. Immerhin steckt die Platte voller Emotionen. "So Long" besitzt allerhöchstes Hit-Potential. Leider strahlt die Platte aber bei allem technischen Können einfach zu wenig aus, ist nicht wirklich nahbar und fügt der Musikgeschichte in puncto Erfindungsreichtum nichts hinzu. "Feel" (1997) war da ein Album mit erheblich mehr Ohrwürmern, Stimmungslagen und mehr Mut, dass weniger stellenweise mehr sein kann.

Trackliste

  1. 1. High On Love
  2. 2. Love Remedy
  3. 3. Too Much To Lose
  4. 4. Give It Up And Let Go
  5. 5. What We Had (with Beverley Knight)
  6. 6. Won't Think Twice
  7. 7. So Long
  8. 8. Are You Satisfied?
  9. 9. The Truth Hurts Too Much
  10. 10. Gonna Be The One
  11. 11. Once In A Lifetime
  12. 12. Written In My Heart
  13. 13. You're The One

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