laut.de-Kritik

Ein transzendentaler Horrortrip der Extraklasse.

Review von

Dank ihres enigmatischen Klangkosmos zählen Oranssi Pazuzu innerhalb der extremeren, angeschwärzten Spielart des Metal längst als Meister im Vertonen avantgardistischer Reisen durch Raum und Zeit. Drei Jahre nach ihrem gefeierten Durchbruch-Album "Värähtelijä" und ein Jahr nach der in Kollaboration mit Dark Buddha Rising unter dem Namen Waste Of Space Orchestra für das Roadburn-Festivals angefertigten Auftragsarbeit "Syntheosis" legt die Band mit ihrem bärenstarken fünften Album "Mestarin Kynsi" erneut einen kunstvoll ineinander verwobenen, transzendentalen Horrortrip der Extraklasse vor.

Trotz erneut reduzierter Black Metal-Elemente und verstärktem Einfluss klassischer "Electro-Alben" lauert in den brachialen Klangexperimenten fernab gewöhnlicher Hörerwartungen und Songstrukturen ein überwältigendes tönendes Unbehagen. Die radikale Idee hinter dem Album: "Einen Song aufzunehmen, der durch verschiedene Portale zu wandern scheint, während er von den dahinterliegenden Welten verstümmelt wird."

Inhaltlich dazu passend basiert "Mestarin Kynsi" (dt. "Des Meisters Klauen") auf einem Unterbau aus dystopisch verstörenden Abhandlungen über Indoktrination und Propaganda. "Ein dunkler Meister erhebt sich. Ein Zauberkünstler, der sein geheimes Wissen nutzt, um die Gedanken der Massen zu kontrollieren. Eine neue Weltordnung entsteht und die Ketzer werden mit Gewalt zum Schweigen gebracht", erklärt Basser Ontto das verstörende Konzept. Ein Spiegel der finsteren Machenschaften menschlichen Seins also. Ein Spiel mit der "ethische[n] Irrationalität der Welt", wie Max Weber es nennen würde. Als Produzent fungiert wie schon beim Vorgänger Shoegazing-Spezialist Julius Mauranen.

Zunächst beginnt im Opener "Ilmestys" (dt. "Offenbarung") alles wunderbar hypnotisch, fast schon ambientartig. Unverzerrten, dissonanten Zweiklängen der Gitarre folgt ein stetig pulsierender Drone des Basses, der sich durch das ganze Stück zieht. Nach zwei Minuten setzt Frontmann Jun-His mit seinem typisch röchelnden, gutturalen Gesang ein. Dazwischen kommen immer wieder Einspielungen flirrender Synthiefiguren und verfremdeten Klangfetzen, die wie psychotische kreischende Stimmen wirken. Erst kurz vor Ende des Tracks setzen verzerrte Gitarren ein und machen aus dem dunkelbunten Klangteppich eine bösartig brodelnde Masse.

In "Tyhjyyden Sakramentti" (dt. "Das Sakrament Der Leere") gehen die Finnen zunächst ähnlich warm wie zu Beginn des Openers aber kompositorisch ausgefuchster und melodisch schwebender zu Werke. Im Gegensatz zum Opener nehmen sie im Verlauf des chaotisch-psychotischen Stückes mit gesteigerter rifflastiger Aggressivität und kreisendem Wahnsinn allerdings deutlich Fahrt auf. Den Hörer ziehen sie dabei mit einem Gefühl unvermeidbarer Bedrohung immer tiefer in einen vernichtenden Abgrund.

Den gesteigerten Härtegrad von "Tyhjyyden Sakramentti" führen die Finnen im zehnminütigen Alptraum "Uusi Teknokratia" (dt. "Eine Neue Technokratie") fort. Dabei demonstrieren sie auch eindringlich ihr ganz eigenes Verständnis des gleichwertigen Gegenüberstellens von Konstruktion und Dekonstruktion. Nach einem wuchtigen Anfang fällt das Stück in seinem Mittelteil urplötzlich in sich zusammen, um danach nochmals mit aller Macht auszubrechen und in einer Ambient-Passage auszuklingen.

Herausstechendes Merkmal dabei: Das zweitönige, von der Spielart her an den Sound des elektrisch verstärkten Jugs Tommy Halls von den 13th Floor Elevators oder an die Akzentuierung eines Steve Reich im Stile von "The Desert Music" erinnernde Motiv einer Querflöte. Das einen Alarm nachahmende Motiv zieht sich in immer wieder leicht modifizierter Abfolge bis zur Endpassage durch und wird dabei auch von anderen Instrumenten leitmotivisch aufgegriffen. Dadurch erzeugen Oranssi Pazuzu zusätzlich ein unheilvoll beklemmendes Gefühl. Die im Stile von Fritz Langs expressionistischem Stummfilm "Metropolis" gehaltene, visuelle Untermalung des Tracks bringt diese Stimmung nochmals verstärkt zur Geltung.

Vom Stilmittel, Klänge zu modulieren machen die hippiesken Dunkelheimer auch in "Oikeamielisten Sali" (dt. "Halle Der Gerechten") Gebrauch. Die stark auffällige Verfremdung der Tonhöhe der ostinaten Violinmelodie à la Steve Reich oder Philip Glass im von maschinenhaften Stampfen der Bassdrum begleitetet Intro baut unerbittlich Spannung auf. Diese entlädt sich nach Minuten ex abrupto und mündet im Verlauf des Tracks in unglaublich detailreiche fiebertraumhafte Raserei. Die glasklare und differenzierte Produktion sowie das warme Klangbild geben diesen sonischen Details zu jeder Zeit den nötigen akustischen Freiraum.

Die neuerdings stärkeren elektronischen Einflüsse scheinen am prominentesten in "Kuulen Ääniä Maan Alta" (dt. "Ich Höre Stimmen Aus Dem Untergrund") durch. Gleichzeitig kommt dieser Track herkömmlichen Songstrukturen am nächsten. Die fächerartig aufgespaltenen Ostinati der Flöte und der Violine der vorangegangenen Stücke übernimmt hier in einem ausgedehnt-bedächtigen Schlussteil eine Orgel, die stellvertretend für die fragile Ruhe vor dem Sturm steht.

Das Finale "Taivaan Portti" (dt. "Das Tor Des Himmels") wirft den Hörer zum Abschluss in medias res in eine manisch wütende Black Metal-Attacke. Aus diesem erbarmungslosen Inferno schälen sich konstant wilde Keyboard-Figuren und nervenaufreibend hohe Töne der Violine heraus, bevor sich das Geschehen, ebenso plötzlich wie es Gestalt annahm, hallgetränkt in einem kalten Raum aus Nichts auflöst.

Einzelne Tracks in diesem dunklen, apokalyptischen und disharmonischen Stream of Consciousness herauszuheben, wäre ein sinnloses Unterfangen. Gekonnt verschmelzen Oranssi Pazuzu die stilistische wie ästhetische Vielfalt dieser nur als Gesamtwerk funktionierenden Platte, anstatt sie nur in bloße Koexistenz zu stellen. Dadurch braucht es mehrere herausfordernde Hördurchläufe, bis sich die Komplexität von "Mestarin Kynsi" erschließt. Dieses einzigartige Album steht nicht nur als Anwärter auf den Thron der Platten des Jahres für sich.

Trackliste

  1. 1. Ilmestys
  2. 2. Tyhjyyden Sakramentti
  3. 3. Uusi Teknokratia
  4. 4. Oikeamielisten Sali
  5. 5. Kuulen Ääniä Maan Alta
  6. 6. Taivaan Portti

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