laut.de-Kritik

Mit Experimentierfreudigkeit durch das nächtliche Manila.

Review von

Während Guendoline Rome Viray Gomez unter seinem Künstlernamen No Rome inzwischen ein etablierter Bestandteil des Londoner Indie-Labels Dirty Hit ist und seinen Lebensmittelpunkt als Schützling und enger Freund von Matty Healy schon vor einigen Jahren in das Königreich verlegte, musste er für den Großteil der Arbeit an seinem Debütalbum "It's All Smiles" unfreiwillig in seiner Heimat Manila auf den Philippinen verweilen. Den Schlingen der Pandemie zum Trotz ließ sich Rome jedoch nicht unterkriegen und bastelte in einem improvisierten Home-Studio weiter an seinem Erstlingswerk, nach dem sich Fans bereits lange sehnten. Und was soll man sagen? Gelohnt hat sich die Wartezeit allemal.

Co-produziert von BJ Burton und George Daniel, setzt sich "It's All Smiles", dessen musikalische Ausrichtung Rome selbst als "shoegaze R'n'B" bezeichnet, keinerlei Grenzen und sprengt jegliche Erwartungen. Gerade Daniel, seinerseits Drummer und Produzent von The 1975, kann sich an der Seite von Rome endlich vollends auslassen. Nachdem er in der Vergangenheit auf "A Brief Inquiry Into Online Relationships" und "Notes On A Conditional Form" mit Songs wie "How To Draw / Petrichor" oder "Having No Head" flüchtige Einblicke in sein Faible für ausgefallene Produktionstechniken und Sound-Experimente zeigen durfte, kommt er hier über die Länge eines gesamten Projekts voll auf seine Kosten.

Demnach gleicht der durchweg verzerrte und verrückte Kosmos des Albums weitestgehend einem Production-Overkill. Während derart viele Spielereien durchaus in einem erzwungenen, unfokussierten und übermotivierten Chaos münden können, sorgt der Kontrast zwischen den pompösen Arrangements und Romes smoothen Gesangs- und Harmonie-Passagen wie in dem energetischen "How Are You Feeling?" jedoch vielmehr für eine mitreißende Klangwelt, die sich sich in den kommenden Jahren durchaus zu einem einzigartigen, unverkennbaren Signature-Sound entwickeln könnte.

Denn immer wieder gelingt es dem jungen Philippiner, seinen Tracks mit extravaganten, unkonventionellen und oftmals auch überraschenden Komponenten eine charakteristische Note zu verleihen, die selbst auf den ersten Blick unscheinbare Songs aus vorhersehbaren Rastern ausbrechen lässt. Während "I Want U" als eingängige Rap-Pop-R'n'B-Mischung beginnt, endet es mit mehreren Stimm-Modulationen, einem Tempowechsel und einem experimentellen Horn-Instrumental. "When She Comes Around" glänzt in den Versen wiederum mit einem beißenden und krachenden Drum-Groove, der wie auch beim Opener "Space-Cowboy" analoge und digitale Elemente durch unzählige verzerrte Soundschnipsel zu einem intensiven und einzigartigen Rhythmus-Pattern verschmelzen lässt.

Bei all diesen sonischen Eindrücken, ist es sogar ganz angenehm, dass Rome seine Emotionalität auf lyrischer Ebene in einem leichten Gewand verpackt, auch wenn einige Passagen durch etliche Wiederholungen derselben Phrasen dann doch etwas uninspiriert wirken. Zwar spielen für ihn laut eigenen Aussagen die Lyrics ebenfalls eine erhebliche Rolle, dennoch ist es offensichtlich, dass der Fokus im Rahmen dieses Projekts auf der Produktionsseite liegt. Die Vocals stehen weniger im Mittelpunkt, sondern sind vielmehr mehr eine organische Unterstützung für das atmosphärische Gesamtbild, das ohnehin auch die größte Stärke des Albums ist, an dem Rome hauptsächlich in der Nacht arbeitete und für das er seine Erinnerungen an das facettenreiche Nachtleben in Manila als Inspirationsgrundlage nutze.

Er fängt die mystische und abwechslungsreiche Atmosphäre einer Großstadtnacht authentisch ein, die von wilden Partys über melancholische Erinnerungen bis hin zu neuen Freundschaften, chaotischen Auseinandersetzungen und schmerzhaften Herzbrüchen reicht. Im Kontext des unvorhersehbaren und vielfältigen Nachtlebens finden deshalb selbst unterschiedlichste Tracks wie das passend betitelte Interlude "Issues (After Dark)", das Semi-Ambientstück "IT'S *N0T* LOV33 (Winter In London)" oder das aus Garage- und 8-Bit-Music fusionierte "Remember November / Bitcrush*Yr*Life" ihre Nische, ohne dabei neben einem weitestgehend ruhigen Vertreter wie der träumerischen Ballade "A Place Where Nobody Knows" störend oder deplatziert zu wirken.

So präsentiert Rome mit gerade einmal 24 Jahren ein durchdachtes und kohärentes Debütalbum mit Substanz, Charakter und einer genauen künstlerischen Vision, dessen ohnehin nur geringe Laufzeit von 28 Minuten wie im Flug vergeht. Bereits jetzt hat er in einem Interview mit dem NME allerdings angekündigt, dass auf "It's All Smiles" in geraumer Zeit schon eine weitere Platte folgen soll, um eine Art Doppelalbum zu formen. Bis es aber soweit ist, kann man weiterhin ein gutes paar Kopfhörer aufsetzen, auf den Einbruch der Dunkelheit warten und sich in der Welt von "It's All Smiles" verlieren, in der Hoffnung, dass Romes nächstes Projekt qualitativ genau dort anknüpft, wo dieses aufgehört hat.

Trackliste

  1. 1. Space-Cowboy
  2. 2. How Are You Feeling?
  3. 3. I Want U
  4. 4. IT'S *N0T* LOV33 (Winter In London)
  5. 5. When She Comes Around
  6. 6. Secret Beach
  7. 7. Issues (After Dark)
  8. 8. Remember November / Bitcrush*Yr*Life
  9. 9. A Place Where Nobody Knows
  10. 10. Everything

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