Er war 1969 verantwortlich für den Urschrei des Punk. Slash, Iggy Pop, Primal Scream, Tom Morello u.a. gedenken der Detroiter Gitarrenlegende.

Los Angeles (mis) - Der einflussreiche US-Gitarrist und MC5-Mitbegründer Wayne Kramer ist am Freitag im Alter von 75 Jahren gestorben. Die Nachricht wurde zunächst auf seinem Instagram-Account mit den Worten "Wayne S Kramer. Peace be with you. April 30 1948 – February 2 2024" verkündet. Laut Jason Heath, Freund und Partner Kramers in der gemeinnützigen Organisation Jail Guitar Doors, verstarb der Musiker im Cedars-Sinai-Krankenhaus in Los Angeles an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Bereits im Jahr 1965 gründete Kramer mit Fred "Sonic" Smith, dem späteren Ehemann von Patti Smith, die Gruppe The MC5, Kürzel für Motor City Five, in Lincoln Park, Michigan. Sie gilt als eine der wichtigsten Rockbands aller Zeiten, ihr Debütalbum "Kick Out The Jams" von 1969 gilt als Startschuss der Punk-Bewegung und kein Ranking der besten Gitarristen aller Zeiten kommt ohne Kramers Nennung aus. Gemeinsam mit Smith kreierte Kramer die wüsten Doppel-Gitarren-Attacken, die den Sound der MC5 charakterisierten. Es ist wenig verwunderlich, dass es sich bei "Kick Out The Jams" um ein Livealbum handelt, aufgenommen im Grande Ballroom ihrer Heimat Detroit: Die DNA der MC5 bestand einzig aus der rohen Energie ihrer frenetischen Live-Auftritte.

Pfeilschneller Rock'n'Roll mit Einflüssen aus R'n'B, Blues und Free Jazz ist das Rezept, das die revolutionäre Aufbruchsstimmung für zahlreiche Jugendliche in den USA musikalisch perfekt abbildet. Die MC5-Texte drehen sich um Frustration, sowohl im privaten, vor allem aber im politischen Bereich. "The time has come for each of you to decide, if you're gonna be the problem or the solution", bringt es Sänger Rob Tyner auf den Punkt.

Bis heute assoziiert jeder Rock-Fan den berühmten Ausruf "Kick out the jams, motherfuckers" mit der Detroiter Band. Es ist 1969 die erste Platte auf einem Majorlabel, die den Kraftausdruck beinhaltet. Der anarchische Beat-Dichter John Sinclair ist sofort Fan, bietet seine Dienste als Manager an und schreibt das böse F-Wort in den Liner Notes zum Debüt-Klassiker genüsslich aus. Gemeinsam mit Sinclair gründen die MC5 das linksradikale Kollektiv White Panther Party.

Der Drang zur gesellschaftlichen Veränderung ist der Motor für einen politischen Aktivismus, der Kramer fortan nie mehr los lässt. 2009 gründete er mit Billy Bragg die gemeinnützige Organisation "Jail Guitar Doors", die sich für die Rehabilitierung von Gefangenen einnetzt. Zahllose Prominente wie Tom Morello und Jackson Browne beteiligten sich an seinen Aktionen. Der Name der Organsisation geht auf den gleichnamigen The Clash-Song zurück, den Joe Strummer 1978 für Kramer schrieb, der wegen Drogenbesitzes hinter Gitter kam.

2018 jährt sich der 50. Geburtstag des legendären Auftritts in Detroit, der zum MC5-Debütalbum wurde. Kramer, damals bereits 70 Jahre alt, gründet kurzerhand die Band MC50, um noch einmal mit den alten Songs auf Tour zu gehen. Schlagzeuger Dennis Thompson, neben Kramer das letzte lebende MC5-Mitglied, spielt aus gesundheitlichen Gründen nur einzelne Shows in den USA mit. Doch für ein Musiker-Casting hat Kramer angesichts der zahlreichen prominenten Fans seiner Gruppe ohnehin die Qual der Wahl. Für den verstorbenen MC5-Sänger Tyner engagiert er Zen Guerilla-Frontriese Marcus Durant, an der Gitarre steht Kim Thayil von Soundgarden, am Schlagzeug sitzt Brendan Canty von Fugazi und am Bass Billy Gould von Faith No More. Dieses Rock-Powerhouse geht im Winter 2018 auf Europa-Tour und belegt eindrucksvoll, wie frisch Musik klingen kann, die 50 Lenze auf dem Buckel hat.

Oder in Kramers Worten: "Die Musik ist nach wie vor relevant, der Sound zeitgemäß und das Konzept, das wir vor 50 Jahren erdachten, ist über all die Jahre nicht vermodert. Auch heute leben wir in einem feindseligen Umfeld mit korrupten Staatsoberhäuptern, die nicht im Interesse der Bevölkerung Entscheidungen treffen. MC5 stand als Band immer für eine positive Grundeinstellung und für Selbstbestimmung. Unsere Message ist zeitlos: Wenn du die Welt verändern willst, musst du hart dafür arbeiten."

Traf man Kramer zum Interview, hatte man einen unheimlich nahbaren und sympathischen Mann vor sich, der sich mehrmals für das Interesse bedankte, als handele es sich bei ihm um einen Newcomer. Statt von seinen aufregenden Jugendtagen in den 60ern zu erzählen, lag sein Augenmerk weiter auf den Problemen der Gegenwart. Stolz zückte er etwa seine "Jail Guitar Doors"-Visitenkarte, um von den neuesten Aktionen seines Teams zu erzählen, die den Alltag von Gefängnisinsassen aufwerteten. Oder er fasste die Anforderungen jedes Einzelnen für den Fortbestand einer demokratischen Gesellschaft prägnant zusammen: "Begeistere deine Freunde und dir Nahestehende für Gespräche und Diskussionen. Alles beginnt mit Konversation. Das kann am Arbeitsplatz weitergehen, in deiner Gemeinde oder in anderen Organisationen. Wir müssen gegen Faschismus, Rassismus und wirtschaftlichen Opportunismus aufstehen."

Mit "The Hard Stuff: Dope, Crime, The MC5 And My Life Of Impossibilities" legte Kramer einen dicken Schmöker vor, der die ganze Geschichte seiner Karriere erzählt, zu der neben der frühen musikalischen Rebellion auch ein Gefängnisaufenthalt, Drogenabhängigkeit und das späte Happy End als Punkrock-Überlebender zählt. Ein neues MC5-Album war bereits weit fortgeschritten und dürfte voraussichtlich noch veröffentlicht werden. Zahlreiche musikalische Begleiter zollten Kramer nach Bekanntwerden seines Todes auf Social Media Tribut, darunter Iggy Pop, Slash und Primal Scream.

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laut.de-Interview MC50

Wayne Kramer über Shows vor 65.000 Zuschauern, seinen "Bruder im Kampf" Tom Morello und die Tour mit Ikonen von Soundgarden und Faith No More.

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