Aus Angst vor einer Massenpanik entfielen die Headliner-Gigs von Fatboy Slim und 2 Many DJs. Ein Planungsfehler?

Berlin (jas) - Aus Angst vor einer Massenpanik wurde das Berlin Festival in der Nacht zum Samstag vorübergehend abgebrochen. Etwa 15.000 Besucher mussten das Gelände des ehemaligen Tempelhof-Flughafens um 2.30 Uhr verlassen, dabei standen die Headliner-Sets von Fatboy Slim und 2 Many DJs noch bevor. Die Stimmung war entsprechend gereizt, es kam jedoch zu keinen nennenswerten Ausschreitungen.

Der Grund: Die Veranstalter sorgten sich um die Sicherheit, nachdem es vor den Einlassschleusen der Hangar 4-Stage zu einer Stauung einer größeren Anzahl von Besuchern kam. Mit den noch frischen Bildern der Loveparade-Katastrophe im Hinterkopf und auf Anraten der Polizei habe der Veranstalter diesen Schritt vollzogen, heißt es in einer Pressemitteilung.

Gelände-Kapazität wurde "nicht überschritten"

Ausdrücklich betont wird darin, dass nicht etwa ein Überschreiten der Gelände-Kapazität vor der Hangar 4-Stage zu dieser Entscheidung geführt habe, sondern "die sich davor befindliche Schleuse bzw. die Besucherdynamik auf dem Gelände."

Richtig überzeugend klingt das nicht, wurden doch die Sicherheitsmaßnahmen gerade aufgrund der tragischen Vorkommnisse in Duisburg wochenlang überprüft und durchgesprochen. 20.000 Tickets wurden schließlich verkauft, obwohl nur etwa 4.000 Menschen in der kleineren Halle hinter der Hauptbühne Platz finden.

Konnte man nicht schon im Voraus erahnen, dass viele Fans zu den angesagten DJs durch die Nacht tanzen wollen? Zahlreiche enttäuschte Zuschauer werfen den Veranstaltern daher Planungsfehler vor.

Herman Dune vs. Editors

Am Freitag Mittag ahnte man noch nichts vom verpatzen Festivalabend. Im Hangar 5 spielte das Lofi-Pop-Trio Herman Dune in neuer Besetzung auf.

Mit ihren sehnsüchtigen Folksongs beglückten sie einige hundert Fans, die fröhlich zu Hymnen wie "I Wish That I Could See You Soon" sangen und tanzten. Da war es auch egal, dass die Editors einige Meter entfernt auf der Hauptbühne die Massen bewegten.

Erste Stauung bei Atari Teenage Riot

Absolutes Gegenspiel dazu die lang ersehnte Rückkehr der Atari Teenage Riot. Schon bei diesem explosiven Ereignis staute sich die Menschenmenge im Problem-Hangar. Doch jegliche Panik-Anflüge wurden vom oberkörperfreien Alec Empire und seinen neuen geilen Musen per ohrenbetäubendem Breakbeat-Massaker schnell ausgelöscht.

Kein Wunder, dass dieses Sound-Getöse den Hangar schon frühzeitig in die Knie zwang. Ganz amüsant war zumindest die gemeinsame Performance von Adam Green und Macaulay Culkin. Die gaben auf der Hauptbühne eine leider nicht ganz textsichere Darbietung der Scorpions-Wiedervereinigungshymne "Wind Of Change" zum Besten.

Die Bürgersteige wurden jedenfalls wegen Überfüllung auf dem Tempelhof schon um 2.30 Uhr hochgeklappt. Da wuchs die Freude auf die Highlights des Folgetages umso mehr.

Chaos auch am Samstag

Doch die Enttäuschung kommt oft und unverhofft. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen wurde das komplette Samstags-Line Up um mindestens zwei Stunden vorgezogen, um das Programm um 23 Uhr auf allen Bühnen beenden zu können.

Man musste sich also damit abfinden, dass die eigenen Lieblingsbands teilweise zeitgleich auf den Bühnen spielten, falls man die Nachricht der kurzfristigen Neuplanung überhaupt rechtzeitig erhielt.

Soziale Netzwerke als Rettungsanker

Dank sozialer Netzwerke schafften es einige doch noch rechtzeitig auf das Festivalgelände und durften Indie-Ikone Edwyn Collins nach langer gesundheitlicher Pause wieder live erleben.

Die Orange Juice-Legende war gezeichnet von seiner Krankheit und bewältigte das Konzert im Sitzen. Dafür gab er seine Solo-Songs mit viel Begeisterung zum Besten und natürlich durfte auch sein 90er Hit "A Girl Like You" zum Abschluss nicht fehlen.

Ernüchterung bei Gang Of Four

Der nächste Höhepunkt sollte mit einer Band folgen, die aufgrund zahlreicher Referenzen jüngerer Bands wieder schwer angesagt ist: Gang Of Four. Doch es folgte zunächst Ernüchterung: Anstatt einer coolen Punk-New-Wave-Band musste man sich einen Sänger ansehen, der wie von der Tarantel gestochen und mit aufgeknöpftem Schmier-Lederhemd über die Bühne fegte. Ein eher peinlicher Versuch, die ewigen 20 zu halten.

Dafür entschädigte das traditionelle Vermöbeln einer Mikrowelle für den etwas zu euphorisch geratenen Auftritt. Die Band hatte gleichwohl Spaß und auch so einige Papis in den ersten Reihen, die ihren Kids stolz die eigenen Helden präsentierten. Und der Hit "Damaged Goods" wurde auch noch mal aufgerockt, so dass alle mitsingen konnten.

Wie immer grandios gestaltete sich der Auftritt des Entertainist: Chilly "musical genius" Gonzales rockte seinen Flügel wahlweise mit Händen, Ellenbogen und Füßen und flippte bei der Rapversion von "Never Stop" dann endgültig aus.

Geheimtipp: Fang Island

Absoluter Geheimtipp (der fast keiner mehr ist): Fang Island. Eine unglaubliche Rock-Truppe aus Brooklyn/New York, die vorwiegend instrumental (mit drei Gitarren!) ihr Publikum zum Toben brachte. Eine wilde Noise-Mischung mit gelungenem Harmony-Gesang und toller Bühnenperformance.

Zusatz-Event in Planung

Für die enttäuschten Fans von Fatboy Slim, 2 Many DJs und den möglicherweise verpassten Samstag-Bands versucht der Veranstalter derzeit ein Zusatzevent auf die Beine zu stellen. Details wolle man in Kürze bekannt geben. Die Festivaltickets sollten in jedem Fall einbehalten werden.

4 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Jetzt bin ich aber von den Socken. Macaulay Culkin ist noch nicht den Drogentod gestorben..?
    Schade um die Headliner, ich wäre bestimmt auch enttäuscht gewesen. Aber Sicherheit geht vor!

    Übrigens ein sehr sehr lesenswerter Artikel, Lob an jas.

  • Vor 13 Jahren

    ich wollt grad das gegenteil schreiben :) "geile musen", "hangar in die knie zwingen"...

    und bürgersteige werden nicht wegen überfüllung hochgeklappt, sondern wegen gähnender leere. vielleicht wurden nach der räumung die bürgersteige hochgeklappt, jedoch benutzt man diese redensart um auszudrücken, dass irgendwo gaaar nix los ist, und nicht weil unfreiwillig nichts mehr los ist. habt ihr niemanden, der wenigstens noch mal kurz rüberschaut, bevor ihr den publish-knopp drückt?

    naja, wenigstens sind keine inhaltlichen fehler drin, das ist wirklich super am artikel.

  • Vor 13 Jahren

    Massenandrang is the new pink!

  • Vor 13 Jahren

    Wie sich alle freuen, den kleinen Kevin allein zuhaus wieder zu sehen - ich glaub, wenn der abends durch die Clubs von Berlin-Mitte ziehen würde, der könnte jede haben!