laut.de-Kritik

Wenn das Liebe ist, was ist dann Hass?

Review von

"Was ist das, Liebe? / Liebt der Papa sein Auto, liebt die Mama den Kaffee? / Liebt das Baby seine Windeln wie der Weihnachtsmann den Schnee? / Lieben Kinder Schokolade wie die Hausfrau den Herd?! / Oder ist da mehr, oder ist da mehr? / Oder ist das, oder ist das, oder ist das alles Lüge", sang Rio Reiser 1986 in "Alles Lüge". Bis heute hat sich nichts verändert.

Die Liebe hat es schwer, denn nichts wird in der Film-, Musik- und Werbe-Industrie so ausgenutzt wie sie. Sie ist eine gebrochene Seele, die für ein bisschen Aufmerksamkeit und vorgeheuchelte Verbundenheit von Hand zu Hand gereicht wird. Weil sie Landliebe ist.

Mark Forster, Autor der Songs "Oh Love" und "Ey Liebe", reiht sich in die Reihe der Nutznießer munter ein. Seine "Liebe" bleibt dabei leer wie die Hallen eines Threatin-Konzerts. Leere eckt nicht an, und so läuft man gar nicht erst Gefahr, jemanden mit textlicher Tiefe oder Meinungen zu verschrecken oder gar zu verärgern.

Mit einem kleinen Kniff grenzt sich "Liebe" immerhin von den bisherigen Forster-Alben und den anderen Songpoeten ab. Seinen ebenso professionellen wie leblosen Deutsch-Pop verbindet der Kaiserslauterer mit Weltmusik-Einflüssen, die zwar weitestgehend so oberflächlich wie seine Texte geraten, sich aber gut in das lebensbejahende Umfeld seiner Musik einfügen.

Sie bleiben zudem nur schmückendes Beiwerk und haben keinerlei Einfluss auf das Songwriting und die - räusper - Geschichten. Am deutlichsten tritt dies in "Chip In" zutage, das mit den aus Uganda stammenden Maro und Maurice Kirya entstand. Auf Deutsch, Englisch und in Swahili singen die drei von der Freude am Leben, Feierei und "Liebe". Also eigentlich alles beim Alten.

Derlei Weltoffenheit kommt bei einem Mann, der bisher nicht gerade mit Statements zum grassierenden Hass um sich warf, aber fast schon einer politischen Stellungnahme gleich. Steckt vielleicht sogar der raffinierte Plan dahinter, so die Radiosender und die Charts mit anderen Kulturen zu unterwandern und so die Menschen mit ihnen vertraut zu machen, um Ängste abzubauen? Jedenfalls eine begrüßenswerte Abwechslung. (Hallo.)

Textlich zieht es Forster um die ganze Welt. Im unangenehm angeberischen "194 Länder" protzt der Protagonist damit, dass er in den "Hills von L.A.", im "Hafen Marseilles", "am Herzen Urgandas" war und "Wein in Florenz" trank. Seinen CO2-Fußabdruck mag man sich gar nicht vorstellen. Und was macht er dort überall? Glotzt die ganze Zeit auf sein Smartphone, da die Freundin nicht mit- und bei diesem Reisepensum wohl über Jahre hinweg alleine das Sofa hüten darf. "Mann, wann seh' ich dich endlich? / Ich schick' 'n Herz in Rot zu dir." Mensch, dann nimm sie doch einfach mal mit, du Dödel. Zumindest Florenz sollte doch drin sein.

Wie von Land zu Land reist der Cap-Träger von einer möglichst allgemeingültigen Erinnerung zur nächsten. Es müssen so viel Menschen wie möglich angesprochen werden. Quer über den Longplayer verteilt er die erste Freundin, jugendliche Besäufnisse, Camping und irgendwas mit Fußball, dazu noch etwas Familiäres wie das Glück des ersten Kindes und der traurige Abschied von Oma. Alle mitnehmen, wie Mario Barth. Bei dem würde "Was Du Nicht Tust" dann etwa so klingen: "Weeste, ich beim ersten Fußballtrainig, kennste, kennste? / Fall ick hin und mach mir mein Knie kaputt, kennste, kennste? / Und mit Fünfzehn auf'm Weinfest? Weinfest! Kennste / Die Nina hält mein Bein fest."

Dazu gibt es in Songs wie diesem oder dem "Einmal"-Schluckauf Lebensweisheiten wie "Manches kommt und geht und kommt nie mehr, nie mehr / Und dadurch ist es noch mehr wert" und "Du bereust nicht, was du tust / Du bereust, was du nicht tust" mit auf den Weg. Sprüche, die ein Glückskeks angewidert ausspucken würde. Wenn in der "Was Du Nicht Tust"-Bridge eine kindliche Stimme "It's never too late / It's never too late" anstimmt, klingt das so übersüßt wie die Weltmusik-Version von The Kelly Familys "An Angel".

In die durchgehend heile Welt von "Liebe" platzt (wieder einmal) Sido in "Danke Danke" wie ein Fremdkörper. Nachdem Forster sich bei seinem "kleinen Städtchen" bedankt hat, denkt der Rapper an die "Jungs ausm Hochhaus", "die Clubs in Berlin und die Klofrau". "Killer" spielt auf dem Level eines braveren Culcha Candela-Tracks, lässt nur das "Killah" weg und kleistert dafür alles mit Streichern zu. Ein bisschen mit Kumpels Gin und Bier saufen und dann lallend und mit Alkoholfahne die arme Frau an der Bar mit den besten Anmachsprüchen anbaggern, die einem dann noch so einfallen: "Killer, ich lieb' dich so eiskalt / Killer, mit dir werd' ich nicht alt / Mein Wille schon lang weg, das gibt's nicht / Ey, ey Killer, du killst mich." Seltsamerweise schmilzt sie trotzdem dahin.

Die "Liebe" in Mark Forsters Texten gilt hauptsächlich einem Wort: dem "Ich". Die ganze Welt seiner Lieder dreht sich darum. Am liebsten würde er es knuddeln, mit ihm schaukeln und in die Abendsonne reiten. Vielleicht sogar ein Kind zeugen, das können die beiden dann "Mich" nennen. Kleine Nebenrollen besetzen "Wir", "Du" und "Ey!".

Das finale Fazit zu "Liebe" überlasse ich nun aber dem großen Rödelheimer Poeten Moses Pelham: "Wenn das Liebe ist / Warum bringt es mich um den Schlaf / Wenn das Liebe ist / Warum raubt es mir meine Kraft / Wenn das Liebe ist / Sag mir, was es mit mir macht / Wenn das Liebe ist / Was, was, was ist dann Hass?" ("Wenn Das Liebe Ist" - Glashaus)

Trackliste

  1. 1. Comeback
  2. 2. Einmal
  3. 3. Liebe
  4. 4. Was Du Nicht Tust
  5. 5. 194 Länder
  6. 6. 747
  7. 7. Danke Danke
  8. 8. Nimmerland
  9. 9. Killer
  10. 10. Genau Wie Du
  11. 11. Chip In
  12. 12. Irgendwann Happy
  13. 13. Gerade Jetzt

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