laut.de-Kritik

Vielschichtige Songs, teilweise übertrieben zeitgeistige Produktion.

Review von

Das wichtige dritte Album! Mit "The Fame" erntet Gaga erste Achtung, "Born This Way" schien danach mehr Suchen als Finden. "Artpop" soll nun endlich den keimenden Ruf als ernsthafte Künstlerin untermauern. Weder schicke Vorbilder wie Warhol und Bowie noch Wildcards im Club der coolen Leute (wie die Einladung zu Robert Rodriguez "Machete Kills") können ihr am Ende des musikalischen Tages helfen. Sobald die ersten Noten aus den Boxen quillen, bleibt jedes Image Schall und Rauch. In diesem Moment reicht es nicht mehr, im Marina Abramovic-Sack zu glänzen. Jetzt muss sie ihn auch zumachen.

Das Cover verspricht viel. Ersatz-Andy und Kitschkönig der Popart, Jeff Koons, ist als Wahl nur konsequent. Gaga gibt die personifizierte Antithese zu Pin Ups wie Miley. Wer sich so dermaßen unvorteilhaft in Szene setzt, hat nur noch die Wahl zwischen interessant und verkorkst. Die Lady kann sich den Drahtseilakt erlauben. Sie kontert mit musikalischer Substanz. "Artpop" besteht über weite Strecken aus vielschichtigen Songs. Eingebettet in eine meist bunte, gelegentlich jedoch übertrieben zeitgeistige Produktion.

Schon der Opener zeigt, dass Kreativität und Dance kein Widerspruch sein müssen, das ist eine angemessene Göttinnen-Inszenierung mit gelungenem Orientelement. Dazu als Kontrast ein dramatisch geschmetterter Refrain ganz alter Popschule. Mit spielerischer Leichtigkeit verbindet sie rhythmische und melodische Gegensätze auf Albumlänge. "I'm broken." Dazu eine ganze Herde ohrwurmiger Bridges und Refrains für die man ihr überraschend mühelos so manchen Ausrutscher verzeiht. Jene Abstecher, die sie in Richtung Billigfashionshop-Görensound unternimmt.

Rockige Lieder wie "Manicure" lässt sie dieses Mal nicht in Gegniedel ersaufen, sondern transportiert den Löwinnenanteil der Härte über die Stimme. Dazu ein paar sommertaugliche Klopper der von Daft Punk reanimierten Marke Moroder trifft Nile Rodgers ("Fashion!"). Doch lediglich Zügen aufzuspringen, reicht ihr zum Glück nicht. Sie hängt mit "Venus" lieber einen eigenen neuen Waggon an. Der nicht minder exzentrische Urvater des Space Jazz, Sun Ra, erhält zur Referenz ein verdientes Zitat aus seinem "Rocket Number Nine Take Off for the Planet Venus" ("Interstellar Low Ways", 1966).

Mit Stücken wie dem Titelsong macht Lady Gaga elegant dort weiter, wo Kylie Minogue in ihren zahlreichen guten Momenten vorausging. Doch am allerbesten ist sie, wenn sie ganz auf ein organisches Klangkostüm setzt ("Dope"), um dazu die ganze eigene Schrägheit und kafkaeske Nerdigkeit in leidenschaftliche Outlawromantik zu wandeln. "I need you more than dope.".

Dabei gibt es Kritikpunkte. Als weiß geädertes Ohrenrheuma durchzieht die Platte ein all zu demonstratives Nuckeln an den Gegenwartstrends Dubstep und ähnlich modernistischem Schmand. Das haben eigentlich gute Tracks wie das aggressive "Swine" nicht verdient. Nicht solche Songs, wohl aber ihr Sound wird in wenigen Jahren unnötig Patina-behaftet klingen. Schade drum.

Auch die überflüssige Gästeliste überzeugt kaum. "Do What U Want - Featuring R. Kelly" ist ein wenig zu nett und routiniert eingerahmt. Ebenso klingen die handwerklich durchaus perfekten Rapparts in "Jewels N' Drugs - Featuring T.I., Featuring Too $Hort Featuring Twista" kaum mehr als das öde Echo der Antwort auf eine Frage, die der Song weder stellte noch brauchte.

Trotz solcher Schwachstellen bleibt das Niveau stets überdurchschnittlich. Mit "Artpop" gelingt Lady Gaga somit die Aufwertung einer Musikrichtung, die gemeinhin über kaum mehr Persönlichkeit verfügt als eine leere Coladose.

Trackliste

  1. 1. Aura
  2. 2. Venus
  3. 3. G.U.Y.
  4. 4. Sexxx Dreams
  5. 5. Jewels N' Drugs - feat. T.I., Too $Hort, Twista
  6. 6. Manicure
  7. 7. Do What U Want - feat. R. Kelly
  8. 8. Artpop
  9. 9. Swine
  10. 10. Donatella
  11. 11. Fashion!
  12. 12. Mary Jane Holland
  13. 13. Dope
  14. 14. Gypsy
  15. 15. Applause

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Lady Gaga

Stefani Joanne Angelina Germanotta - das klingt nicht nach einem Künstlernamen. So benennt sich die am 28. März 1986 in New York geborene Sängerin …

53 Kommentare mit 142 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Uhm, okay. Weiß grad wirklich nicht was ich sagen soll, dass das Album die Geister scheiden wird war mir bewusst aber 4 Sterne?
    Habs jetzt seit ner Woche auf Rotation und finds auch wirklich richtig gut inzwischen, ist aber definitiv kein einfaches Album - hab auch mehrere Anläufe gebraucht.
    'Sexx Dreams', 'ARTPOP' und 'G.U.Y.' beste songs.

    • Vor 10 Jahren

      Kein einfaches Album? Also das Album ist zumindest sehr viel leichter verdaulich und poppiger als Born This Way... Findest du "Dope" immernoch "schwach"? Bin immernoch der Meinung das ist einer ihrer besten Songs :)

    • Vor 10 Jahren

      Mir geht es genauso. Ich höre das Album seit Sonntag immer wieder, und mittlerweile gefällt es mir mit jedem Anhören besser. Ich bin trotzdem auch sehr überrascht über die 4 Sterne, zumal das deutlich bessere Album "The Fame" nur 3 Sterne bekam.

      Und endlich bemerkt mal jemand, dass "Dope" ein grandioser Song ist.

      Weitere Highlights sind aus meiner Sicht "Aura", "Venus", "G.U.Y.", "Jewels & Drugs", "Artpop" und "Gypsy".

    • Vor 10 Jahren

      Kein einfaches Album im Sinne von Klangbildern in einzelnen songs, grad bei 'Swine' und 'Mary Jane Holland'. Bin kein großer Fan von EDM und Dub deswegen hats da bisschen gedauert.
      'Dope' find ich inzwischen gut, 'Fashion!' find ich aber immernoch grausam. Inzwischen ist mir 'MJH' ein Dorn im Auge, weiss aber nicht genau wiso. :D

    • Vor 10 Jahren

      Und ich habs immer noch nicht gehört :( Fahr aber gleich zum Saturn :D Ja, "Dope" ist wirklich großartig. Ob The Fame wirklich besser ist als Artpop, kann ich noch nicht beurteilen, bin allerdings auch kein großer von The Fame.

  • Vor 10 Jahren

    Wenn das alles so stimmt, sollte ich mir das wohl echt mal anhören. Hab's zwar sehr bereut, das letzte Album anzuhören, aber man soll sich ja nicht auf seinen Vorurteilen ausruhen.

    • Vor 10 Jahren

      Ich hab's mir jetzt eben im Schnelldurchlauf angetan. Und ehrlich gesagt erkenne ich da keine Verbesserung zum Vorgänger - stupidestes Dancepop-Gebummse, das von oben bis unten mit allen möglichen, ach-so-angesagten Soundeffekten zugekleistert ist.
      Und das an einem Stück. Schaurig.

  • Vor 5 Jahren

    Danke für diese unvoreingenommene und aufrichtige Bewertung!

  • Vor 3 Jahren

    IMO das Meisterstück von Frau Gaga. Die Dubstep und Trap Einflüsse frischen den üblich rock poppigen Gaga Stil perfekt auf. Und die Hooks sind auch wieder geilster shit.

  • Vor einem Monat

    Abgesehen davon, dass ich kein Rap-, Rock- und Dubstep-Fan bin, bin ich von "Artpop" nur in Maßen begeistert. Das sah wohl auch das deutsche Hörerschaft 2013 so. "Arpop" fiel bei der Kritik durch und war auch nicht der geplante Erfolg. Vielleicht lag es am VÖ-Zeitraum, viel zu vielen Kostümenierungen und zu viel nackter Haut?
    LGs Management hat diesmal wohl nicht gründlich genug kalkuliert und ihrem "Kreativteam" wohl oder übel die Ideen auszugehen scheinen. Wäre "Artpop" im Februar, März oder April 2013 veröffentlicht worden, hätte sich das Album besser verkauft. Zumal ja die Chartplatzierungen zeigen, dass Gaga (wie auch schon "The Fame Monster" bewies) die deutschen Fans hat ziemlich hängen lassen. Ein paar mehr Fernsehauftritte und das "Werk" wäre Nummer eins in mehreren Ländern geworden.
    Abgesehen von diesen Tatsachen, finde ich das Electropop-Geschrammle hier nur leidlich originell. Das lyrisch mittelmäßige "Applause" hätte mit weniger Geschrei und weniger Drumgepolter das Zeug zum Top-3-Hit gehabt, die Refrains von "Gypsy", "Dope" und "G.U.Y." sind zu eintönig und hysterisch geworden. Das grässliche "Fashion!" geht mal gar nicht (will.i.am... Hilfe!!!), "Swine" ist zu glatt geleckt und nicht gefühlvoll genug gesungen. Der nette Titelsong hätte der tranceartige Klebstoff werden können, der das Album zusammenhält, stattdessen bollert "Artpop" mit rutschiger Politur über seine starren, auf mega-billig getrimmten Synthies und Snares (selbiges gilt übrigens für das verkitschte "Manicure"). Das wobbelnde "Do What U Want" gefällt auch nur solange, bis R. Kelly (Himmel!) einsetzt und Gaga anfängt, hysterisch zu werden. Die Fusion von 80er-Disco-Mucke und zeitgemäßem Dance klingt hier eher wie ein etwas schiefgegangenes Experiment, als wie ein Album aus einem Huss.
    Einzig "Mary Jane Holland", "Donatella" und "Venus" sind solide Dancefloor-Tracks. Dabei hätte "Artpop" so viel Potenzial gehabt! Man denke nur an die abwechslungsreichen Klangcollagen, die Fülle an Ideen, was Kunst und Kultur bieten...