laut.de-Kritik

Wiedergeburt mit Shaggy, Sean Paul, Aza Lineage u.v.a.

Review von

Gregory Isaacs ist seit fast 13 Jahren tot. Zugeschrieben werden dem zart vibrierenden Sänger mit der hellen Näselstimme vor allem die Reggae-Szene-Hits "Night Nurse", "Mr. Brown", "Soon Forward", "Private Beach Party", "Red Rose For Gregory" und "Cool Down The Pace". Allesamt Songs, die eine besondere Markenzeichen-Qualität besitzen, oft in seinen Konzerten auftauchten, oder, wie im Falle von "Private Beach Party", vor ein paar Jahren durch ein Cover des Bob Marley-Enkels Jo Mersa wieder den Dance Massives untergejubelt wurden.

"Cool Ruler" war der Albumtitel genau jener LP, die ihm den Durchbruch nach jahrelanger Erfolglosigkeit brachte - und wurde zu einem Beinamen. Lloyd James, der sich erst Prince und später King Jammy nannte, ist ein paar Jahre älter als Gregory, hat ihn überlebt und kümmert sich nun um dessen Wiedergeburt, "Rebirth Of The Cool Ruler", an der sich von A wie Alborosie und Newcomerin Aza Lineage bis S wie Sean Paul und Shaggy eine breite Phalanx beteiligt.

Producer-Legende Jammy aus Jamaika legte einst Hand an die Entstehung von Dub-Musik, was nur eine seiner Spielarten darstellt. In der vierten Corona-Welle erinnerte er daran und rief zu tiefen Bassresonanzen als finaler Lockdown-Maßnahme auf: "King Jammy Destroys The Virus With Dub". "Aus Liebe für die Musik. Ich bin jetzt 76, und ich mache das nicht, weil ich arm oder pleite wäre. Nein - ich liebe das, und das ist es, was mich antreibt", erklärte mir King Jammy, als ich ihn diesen Sommer traf.

"Alles, was ich produziere, hat eine Bedeutung. Beispiel: Schwarze Menschen zu unterdrücken, das ist nicht richtig, weißt du, was ich meine? In Länder mit Schwarzen reingehen, alles rauben und sie unterdrücken, das ist überhaupt gar nicht richtig. Also produzierte ich Songs darüber, rede darüber. Jedes Genre auf der Welt bringt politische Lieder hervor, aber sie tun es in verschiedenen Formen. Wir Jamaikaner legen da unser ganzes Gefühl rein, wir drücken uns darin so aus, dass mans sofort versteht. Das liegt in unserer DNA."

Jammys jüngster Sampler, "Cries From The Youth" (Juli 2023), bezieht sich ebenfalls auf die Aktualität, denn zur "World Inflation" produzierte Jammy schon 1987 ein Lied. Aus dieser Phase stammen auch die meisten der Zusammenarbeiten mit Gregory Isaacs.

Der Sänger und Texter veröffentlichte in seinen 42 Schaffensjahren ziemlich genau 100 reguläre Studioalben auf 64 verschiedenen Labels, darunter seinem eigenen. Immer wieder litt der zeitweilige Lebensmittelhändler an finanzielle Not. Sly & Robbie spielten ihn auf seinen Peak hoch, und als er mit King Jammy zusammentraf, war er bereits ein recht großer Name auf der Spielwiese zwischen Rub-A-Dub, Lovers Rock und Roots Reggae.

Jammy hatte coole Ideen für Riddims, hielt für diese aber - wie ers bis heute tut - nach viel versprechenden Artists Ausschau. Die beiden kamen für eine Reihe von Singles sowie für zwei komplette Alben und zwei weitere, an denen King Jammy als Teil-Producer mitwirkte, in den Jahren zwischen 1986 und 1991 zusammen.

In den Koops mit Isaacs kamen fast ausschließlich Liebeslieder heraus, was am Sänger gelegen haben dürfte. Dennoch umfasst die Sammlung im Unterschied zu vielen anderen Isaacs-Best Ofs mal wirklich besonders starke Tracks. Das Ganze funktioniert in jedem Stück so: Man hört Isaacs Stimme in etwa zwei Drittel des Songs. Dann hört man einen aktuellen Feature-Gast. Die Tonspuren Letzterer fügt King Jammy mit den Tonspuren des Toten zusammen.

"Ich wählte meine eigenen Produktionen aus", erläutert der King. "'Night Nurse' war zum Beispiel keine Produktion von mir. Meine Sachen habe ich auf meine Weise gemacht, die waren anders als der Rest, weißt du." Das Prinzip: An den Originalen wirkte Jammy schon mal mit, mit den Feature-Leuten arbeitete er ebenfalls schon zusammen. Zum Beispiel mit Aza Lineage, die das wunderschöne "First Class Lover" auf tollen Bässen eröffnet und sich so um Gregory schlingt, dass es klingt, als stünden die beiden einander gegenüber. Dazu trällern noch Background-Sängerinnen von damals.

"Aza Lineage hat Talent, und ich habe sie auch vorher schon aufgenommen, sie ist mein Artist. Eine aufstrebende Künstlerin, ein Artist für morgen. Projexx ist mein Enkel", fährt Jammy fort. Auch "You Can Have The Bits ft. Projexx" zählt zu den perfekten Nummern, die nur nicht allzu bekannt sind , aber ein neues Hinhören lohnen. "Du kannst die Teile meines zerbrochenen Herzens haben", maunzt Isaacs, während Projexx mit einer noch viel höheren Stimme aufwartet und optimistische Kuss-Szenarien ausrollt.

Anders als beim ähnlich gestrickten Dennis Brown-Album, das Jammy 2018 unter dem Titel "Tracks Of Life" produzierte, geht die Idee hier prima auf: Durch das Zusammenfügen der Stimmen behebt King Jammy ein Manko, das Gregory stets im Weg stand: Er wirkte nach einiger Zeit auf Platte einfach monoton. Seine großen Würfe waren denn auch in aller Regel Live-Alben, während Studioaufnahmen trotz seines einmaligen Timbres eher sedierten. Das oben erwähnte Dialog-Prinzip macht "Rebirth Of The Cool Ruler" spritzig und dynamisch.

Dabei eint die Tracks eine dermaßene Ähnlichkeit, dass man es, höflich ausgedrückt, homogen nennen muss. Abwechslung kommt durch die Stimm-Kontraste auf. Besonders hörenswert stechen "Flirting Around ft. Claire Angel", "It Go So ft. Shaggy", "You're Like An Angel ft. Brandon The Messenjah" und "Lost My Happiness ft. Chaka Demus" heraus. Claire Angel aus Birmingham versucht seit vielen Jahren auf verschiedenen Wegen, groß rauszukommen. Die quirlige Perfomerin lässt sich mal zum Publikumsliebling eines Festivals wählen und bekommt einen Talentscout-Slot auf großer Bühne, oder macht bei Casting-Shows im TV mit.

Ihre durchdringende Dancehall-Soul-Stimme ist mindestens ebenso unique und gewöhnungsbedürftig wie die maulfaule Gregorys, der seine Worte oft geradeso andeutet. Manchmal klingt er wie ein kleiner Junge, der absichtlich naiv wirken will, damit man nicht errät, welche Streiche auf sein Konto gehen. Wäre er noch am Leben, wäre es sicher lustig, beim "Flirting Around" von Claire und Gregory zuzusehen.

Tausendsassa Shaggy hat in den letzten Monaten schon alles Mögliche angefasst, von Weihnachtsliedern und Frank Sinatra über Disco (Marcias "Electric Boogie") bis hin zu Soca aus Trinidad. Aktuell gastiert er auch auf Beenie Mans neuem Album. Hier trägt er zu "It Go So" seinen unlimitierten Coolness-Faktor bei. Seine Ich-bin-hier-der-King-Stimme funktioniert in dem gemütlichen Schunkel-Stück perfekt.

"You're Like An Angel ft. Brandon The Messenjah" nutzt einen Riddim mit schiebendem Flow und romantischer Stimmung. Der Texaner Brandon The Messenjah punktet mit einer angenehmen, unaufgeregten Stimme, süßen E-Gitarren-Licks und Loops. "Lost My Happiness ft. Chaka Demus" erscheint als bisher völlig zu Unrecht übersehener Gregory-Classic. "Ich hab' mein Glück vor ein paar Monaten verloren / Wo es abgeblieben ist, weiß keiner / Wo ist es hingegangen? Keiner weiß es / Niemand, nie-niemand weiß es." Der Track arbeitet sich dann zur Ursache vor: Da gibt es eine "Sweet little woman", die ihn schmählich abgewiesen hat.

Chaka Demus, auch einer, den Sly & Robbie förderten, sogar mehrmals rein in die deutschen Top 40, illustriert das Prinzip "Die-eine-oder-keine" wortreich. Seine tiefe Einheizer-Stimme bildet in diesem Stück einen smarten Kontrast zu Isaacs' Gejammer. Der zeichnet den Mann hier oft als gefühlsduseligen Loser, "I don't have a house or a fancy car", wie es in "Counterfeit Lover ft. Ras Shiloh" heißt - einer, der auf Tinder gnadenlos zur Seite geswipet würde. Wobei, wenn wir von Bildern sprechen: In diesen Apps wäre er in seinen schicken Hemden, Sakkos und Hüten vielleicht doch ein "First Class Lover".

Trackliste

  1. 1. It Go So ft. Shaggy
  2. 2. Another Try ft. Sean Paul
  3. 3. Don't Take Your Love From Me ft. Jesse Royal
  4. 4. First Class Lover ft. Aza Lineage
  5. 5. Dance With Me ft. Ras Demo
  6. 6. You're Like An Angel ft. Brandon The Messenjah
  7. 7. Dreadlocks Bridge ft. Alborosie
  8. 8. Another Warning ft. Bounty Killer
  9. 9. Never Give Your Love ft. Junior Reid
  10. 10. Counterfeit Lover ft. Ras Shiloh
  11. 11. You Can Have The Bits ft. Projexx
  12. 12. Flirting Around ft. Claire Angel
  13. 13. Lost My Happiness ft. Chaka Demus
  14. 14. Don't Go ft. Flinix
  15. 15. My Pride Won't Let Me ft. Bunny General

Noch keine Kommentare