laut.de-Kritik

Der Hallo Wach-Effekt.

Review von

Beginnen wir die Review der 14. Platte von In Flames mit einem Vergleich der Gniedel-Götter Chris Broderick und Jeff Loomis. Loomis ist mittlerweile bei Arch Enemy als Sidekick von Michael Amott aktiv und lässt durch seine Skalen-Zuarbeit zur großen Melodic Death Metal-Formationen seinen Schornstein rauchen. Ehemals als kreativer Pol von Nevermore verantwortlich für einige Metal-Klassiker neueren Datums, fristet er nun ein Schattendasein im Rampenlicht.

Ähnlich verhält es sich bei Chris Broderick, der bereits Megadeth-Mastermind Dave Mustaine zu Saitensprüngen verholfen und mit Jag Panzer einige Hymnen des gepflegten Power Metals ("Take To The Sky") verfasst hat. Seit 2019 soliert Broderick bei In Flames und bringt Björn Gelottes grundsolidem Gibson-Spiel die Flötentöne bei. Gelotte - Gralshüter des Markenkerns - der mit Blick auf die musikalische Leitung seit dem Abgang von Jesper Strömblad weitestgehen konkurrenzlos das Feld bestellt, tut das Hirnupdate in Sachen handgemachter Musik gut.

Er lässt die Finger von Elektronik und poppigen Wendungen und bewegt das Melodic Death-Flaggschiff wieder hin zu mehr Virtuosität und klassischen Metal-Elementen. Musikalisch lautete mit Blick auf Alben wie "Battles" die Devise "Schlimmer gehts immer". "I, The Mask" gelang eine Kurskorrektur hin zum härteren Kern. Headbanging mit Kopfsocke war gestern, heuer regiert das Riff.

Der Klargesang ist hingegen grottig wie bei Arch Enemys Alissa White-Gluz. Anschauungsunterricht böte hingegen Soilworks Björn Strid, der durch sein AOR-Projelt The Night Flight Orchestra entsprechende Übung hat. Bei "Pure Light Of Mind" steigt Vocal-Aggrobat Anders Fridén in die Kitsch-Kanone, falsettiert wie einst Thomas Anders, was leider in einem Angriff auf die Geschmacksnerven mündet. Am besten schließt man Frieden mit Fridéns Vocal-Layern, die in exorbitanter Weise kreisch, brüll, kotz und cleane Vocals übereinander schichten, was in der Kombination emotional eindringlich klingt.

In Flames gelten gemeinhin als moderne Band. Doch während des Lockdowns entstand keine Note für die neue Platte. Digitale Kommunikation als Ersatz für den Proberaum kam nicht in Frage. Die Bedenkzeit mündet definitiv in einige starke Songs wie "Meet Your Maker", das brachial wie majestätisch Aggressivität und Melodik verbindet. Eine coole Hook untermalt von einer hypnotischen Gitarrenfigur, ein verspieltes Solo und spannend verteilte Breaks hieven diesen Track auf "Cloud Connected"-Niveau.

Spannend gelingt die Machart des zweigeteilten Titelsongs: "Foregone Pt 1" beginnt mit einem Blast Beat und mündet in ein Thrash Metal-Brett über das im tenären Metrum der Refrain eingeflochten wird. "Foregone Pt 2" ist hingegen als Power Ballade im 3er Metrum aufgebaut. Der Todeswalze in Teil 1 folgt der Walzer der Verdammnis.

Beim Barte des Proleten: Die Lyrics-Lines eignen sich perfekt dazu, um in Pessimismus zu versinken oder zumindest den nächsten Patch für die Kutte zu bestücken. In "The Great Deceiver" spendiert Anders Fridén den netten Querverweis zu den schwedischen Kollegen von Europe und deren größten Hit The Final Countdown: "Joey was right this is the final countdown". Die zentrale Zeile in "In The Dark" ist leider tagesaktuell und lautet: "This is a war and no one will win it", während "Hell is overcrowded and heaven's full of sinner" zeitlosen Metal-Sprech darstellt.

Fridéns Flirt mit dem Übernatürlichen zeigt in der Pay Back-Metapher in "Meet Your Maker", nach der sich jeder oder jede nach Lebensende für die Taten verantworten müsse oder dem Austausch mit dem Geist im Kopf respektive der inneren Stimme im mitreißenden "Dialog In B Flat Minor". Personell sind die Götenborg Melodic Deather eine inkonstante Band. Die Konkurrenzveranstaltung The Halo Effect besteht aus fünf ehemaligen In Flames Mitglieder und legte 2022 die Mischung aus Göteborg-Getrümmer und Melodienseligkeit vor, die viele Anhänger vermisst haben. Möglichweise ist die Formierung der All Star-Truppe ein Hallo-Wach-Effekt für Gelotte und Co. gewesen.

Wem bei Alben wie "Colony", "Clayman" oder "Reroute To Remain" die Laune steigt, dürfte bei Foregone feuchte Augen kriegen. Die Möglichkeit der Kunst ist es hoffentlich, zu berühren. Die Reise in die Melodic Death-Vergangenheit verfängt unmittelbar und taucht die untergehende Sonne auf den kommenden Headliner-Slots in tiefrotes Licht.

Trackliste

  1. 1. The Beginning Of All Things That Will End
  2. 2. State Of Slow Decay
  3. 3. Meet Your Maker
  4. 4. Bleeding Out
  5. 5. Foregone Pt 1
  6. 6. Foregone Pt 2
  7. 7. Pure Light Of Mind
  8. 8. The Great Deceiver
  9. 9. In The Dark
  10. 10. A Dialog In B Flat Minor
  11. 11. Cynosure
  12. 12. End Of Transmission

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12 Kommentare mit 31 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Geiles Album. Dass The Halo Effect In Flames beeinflusst haben sollen, ist natürlich grober Unfug, weil beide Alben ungefähr zum selben Zeitpunkt entstanden sind und man anzweifeln kann, dass die Herren sich allesamt in demselben Studio getroffen haben.

    • Vor einem Jahr

      Sehe ich genauso - ob In Flames das The Halo Effect Album allerdings noch nie gehört haben, wie sie in den letzten Interviews behauptet haben, wage ich zu bezweifeln!

    • Vor einem Jahr

      Mag sein, juckt mich aber auch nicht. Wäre ich bei In Flames, würde mir die Fragerei auch auf'n Sack gehen, zumal die The Halo Effect Platte nun auch nicht so überragend, monumental oder gottgleich ist, wie sich manch einer gerne einredet. Ist ein tolles nostalgisches Album und das war's dann auch schon.

  • Vor einem Jahr

    Für mich das beste Album seit Sounds of a Playground Fading. Und The Great Deceiver ist ohnehin der beste Song seit Come Clarity. Die letzten beiden Nummern fallen gegenüber dem Rest etwas ab, aber verglichen mit den letzten Alben sind es noch immer sehr gut Songs. Von mir 4/5.