Porträt

laut.de-Biographie

Howard Carpendale

Ende 2003 kündigt Howard Carpendale seinen Rückzug aus dem Showgeschäft an. Nach vielen Jahren im Schlager-Zirkus soll die Unrast ein Ende haben. Arg lange hält es den blonden Sänger mit Wurzeln in Südafrika allerdings nicht im Ruhestand: Immer um 20 Uhr 10, zu dem Zeitpunkt, zu dem er über Jahre hinweg die Bühne betrat, beschleicht ihn leise Wehmut. Vier Jahre nach seinem Abschiedskonzert heißt es einmal mehr: "Hello Again".

Vorchecking: Badmómzjay, David Bowie, Deep Purple
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Howard Victor Carpendale erblickt das Licht der Welt am 14. Januar 1946 als Sohn englischer Einwanderer in Durban. Umsorgt von den stolzen Eltern und zwei älteren Schwestern verlebt er eine behütete Kindheit. Sehr zum Leidwesen des Vaters und des Großvaters, die beide als Politiker aktiv sind, weigert sich der Stammhalter jedoch erfolgreich, die Familientradition fortzusetzen. Solches kommt in den besten Familien vor: Der Junge hat nichts als Sport im Kopf.

Rugby, Boxen, Cricket, später zudem Tennis und Golf ... Howard erarbeitet sich einen Ruf als Sportskanone. Auch in der Leichtathletik feiert er Erfolge: Mit 14 Jahren wird er südafrikanischer Jugendmeister im Kugelstoßen. Wie viele Altersgenossen träumt er den Traum von einer Karriere als Profisportler.

Daneben keimt allerdings noch eine andere Idee auf: Seit Howard zwei Jahre zuvor bei einem Talentwettbewerb erstmals auf einer Bühne stand, hat er Blut geleckt. Er gründet eine Schülerband, in deren Reihen er als Sänger aktiv ist. Mit seiner Gruppe The Kinsmen gewinnt er einen von einem Radiosender ausgelobten Wettbewerb: Die Combo avanciert zur Newcomerband des Jahres. Unter dem Titel "Endless Sleep" entsteht 1963 die erste Schallplattenaufnahme.

Im Jahr darauf hat der Spaß erst einmal ein Ende: Howard hat die Highschool abgeschlossen und muss seinen Militärdienst ableisten. An die folgenden neun Monate denkt er später nur ungern zurück: "Ich glaube, ich war der schlechteste Soldat in der Geschichte Südafrikas", erinnert er sich. Doch auch diese Zeit geht vorüber. Dem Vater zuliebe, der sich einen "anständigen Beruf" für seinen Sohn wünscht, nimmt Howard ein Volkswirtschaftsstudium auf.

Nach gerade einmal drei Monaten fliegen die Bücher aber bereits wieder in die Ecke: Es mangelt schlicht an Begeisterung. Statt dessen erstarkt die alte Wunschvorstellung neu: Howard zieht 1966 nach Großbritannien. Das erklärte Ziel: Er möchte Berufs-Cricketspieler werden. Offensichtlich haben die Profiteams aber nicht unbedingt auf einen jungen Einwanderer gewartet. Um sich über Wasser zu halten, nimmt Howard verschiedene Gelegenheitsjobs an. Unter anderen schreibt er Artikel für diverse Zeitungen.

Ein Zeitungsinserat öffnet ihm auch die nächste Tür: "Rock-Band sucht Sänger" - wunderbar. Howard bewirbt sich, singt vor und wird vom Fleck weg für die anstehende Europatournee eingeplant. "Wissen Sie, ich habe harte Zeiten hinter mir", erinnert er sich viele Jahre später im Interview mit Jungle World an seine Anfänge. "Mit meiner ersten Band habe ich wochenlang gespielt, in Bars, in kleinen Clubs, jede Nacht für 20 Mark. Meistens in Düsseldorf, manchmal auch auf Sylt. Von Jimi Hendrix bis zu den Rolling Stones habe ich damals alles gesungen."

Nach einem Auftritt in Wuppertal passiert es: Howard wird zum Vorsingen bei Electrola in Köln gebeten. "Dann kam ein Mann und bot mir einen Plattenvertrag. Und bis heute weiß ich nicht, warum ich hätte Nein sagen sollen." Nun, niemand sagt Nein, statt dessen schließt Howard Carpendale seinen ersten Deal ab. Zwar geht es zunächst nur um eine Single, doch: besser als nichts.

Von "Lebenslänglich" wandern stolze 60.000 Einheiten über die Ladentresen. Electrola weitet den Vertrag daraufhin aus. Als wie prophetisch sich der Titel von Carpendales Debüt-Single erweisen soll, weiß zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand. In den kommenden Jahren veröffentlicht er einige Singles, darunter eine deutschsprachige Fassung des Beatles-Hits "Ob-La-Di, Ob-La-Da", die sich als Erfolg entpuppt. Mit seinem ersten Album "Ich Geb' Mir Selbst 'Ne Party" legt er 1969 den Grundstein zu seiner umfassenden Diskografie.

Ein Jahr zuvor verlegte er bereits seinen Wohnsitz nach Deutschland: Hier liegt ihm das Publikum zu Füßen. 1970 gewinnt Howard Carpendale mit "Das Schöne Mädchen Von Seite 1" den Deutschen Schlagerwettbewerb. An sich sieht alles gut aus. Es erscheint brav Jahr um Jahr ein Album. Howard erfüllt sich 1971 mit seiner Teilnahme an einem Formel-3-Rennen auf dem Nürburgring einen Herzenswunsch und fährt immerhin als Neunter durchs Ziel.

Allein der musikalische Erfolg hält sich in Grenzen. Howard tingelt durch die Diskotheken des Landes. Die Plattenverkäufe dümpeln derart dahin, dass ihm sein Label 1973 nahelegt, den geschlossenen Vertrag freiwillig zu lösen. Dieses Ansinnen scheint kämpferischen Ehrgeiz zu entfachen: "... Da Nahm Er Seine Gitarre".

Howard Carpendale - Let's Do It Again
Howard Carpendale Let's Do It Again
Der Anti-Wendler spielt erneut mit der Möglichkeit des Abschieds.
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Howard Carpendale packt seine Karriere nun selbst an: Gemeinsam mit seinem Gitarristen Joachim Horn verlegt er sich auf Eigenproduktionen und landet plötzlich wieder Hits. Dabei geht das bewährte Erfolgskonzept, international bekannten Nummern einen deutschen Text unterzuschieben, gleich mehrfach auf, denkt man an "Armer, Alter, Reicher Mann" ("Sittin' On The Dock Of The Bay") oder "Tür An Tür Mit Alice" ("Living Next Door To Alice").

Letztgenannter Ohrwurm stammt, ebenso wie Carpendales bisher größter Erfolg "Ti Amo" aus dem Jahr 1977. Die Talsohle scheint durchschritten. Inzwischen verheiratet, freut sich Howard über die Geburt seines Sohnes Wayne. "Ich mache Unterhaltungsmusik", so die treffende Selbsteinschätzung. Howard Carpendale sieht sich nicht als politisch aktiven Künstler. Dennoch spielt der Titel "Johannesburg" auf seinem Album "Jede Farbe Ist Schön" auf die Zustände in seiner von Rassismus gebeutelten Heimat Südafrika an.

Howard Carpendale sackt in den kommenden Jahren Preis um Preis ein und entwickelt sich zu einem wahren Tournee-Tier. Bei EMI Electrola möchte man inzwischen nichts mehr davon wissen, dass man einst versuchte, den Sänger loszuwerden, und schließt 1979 einen Sieben(!)-Jahres-Vertrag mit ihm ab, der die Musikwelt in Erstaunen versetzt. Der Deal zahlt sich für beide Seiten aus. Carpendale tourt unermüdlich und steht 1980 zwischendurch noch für seine eigene ZDF-Sendung "Mein Weg Zu Dir" vor der Kamera.

Der Stress fordert Tribut: Privat ereignen sich einige Turbulenzen, die Carpendales Ehe nicht übersteht. Er trennt sich von seiner Frau, ohne sich jedoch scheiden zu lassen. 1982 verkündet er, er brauche eine schöpferische Pause und meldet sich quasi in ein Urlaubsjahr ab. Die Fachwelt beäugt diesen Schachzug skeptisch. Kann man sich so etwas leisten?

Man vielleicht nicht. Howard Carpendale kann. 1974 sagt er einfach "Hello Again" und meldet sich triumphal mit neuem Album zurück. Ganz ohne zu singen gibt er im Sommer in "Niemand Weint Für Immer" sein Schauspieldebüt. Zudem profiliert er sich als tauglicher Sportreporter: 1985 co-moderiert er fürs Fernsehen das Golf-Turnier German Open. Seine "Mittendrin"-Tour zum gleichnamigen Album soll 1986 die erfolgreichste der ganzen Konzertsaison werden. Wo immer Carpendale antritt, rast das Publikum in ausverkauften Hallen.

Anschließend gönnt sich der Sänger erneut eine einjährige Auszeit. Auch diese Pause zieht keinen merklichen Karriereknick nach sich. 1989 veröffentlicht Carpendale in Zusammenarbeit mit Dieter Weidenfeld seine Autobiografie "Von Oben Sieht Alles Anders Aus". Sein Album "Carpendale '90" markiert das Ende einer langen, fruchtbaren Zusammenarbeit mit EMI. Nach einem Labelwechsel fühlt sich Carpendale fortan bei Polygram zu Hause.

Seinen Lebensmittelpunkt verlegt er in dieser Zeit nach Florida in den USA. Trotzdem bleibt er seinem deutschen Publikum treu. Verschiedene Aktivitäten als Schauspieler, unter anderem im Streifen "Wiedersehen In Kanada" und seine Rolle in der RTL-Serie "Matchball" sorgen dafür, dass sein Gesicht nicht in Vergessenheit gerät. 1995 allerdings hat ihn das mittlerweile zur Heimat gewordene Europa wieder.

Trotz kostspieliger Werbekampagnen behaupten sich Carpendales Songs in den ausgehenden 90er Jahren nur schwer gegen die meist englischsprachige Konkurrenz und werden selten im Radio gespielt. Die Fangemeinde erweist sich jedoch als zäh, außerdem bleibt so Zeit für ein Golf-Video: "Was Sie Schon Immer Über Golf Wissen Wollten ..."

Das Jahrzehnt endet mit allerlei privaten Differenzen: Nicht nur, dass ihn seine Lebensgefährtin verlässt und den gemeinsamen zweiten Sohn gleich mitnimmt. Der Sänger bekommt zusätzlich einen Vaterschaftsprozess an den Hals. Eine 14-Jährige behauptet, das Produkt Carpendale'scher Lenden zu sein und zieht vor Gericht. Ein Gentest ergibt allerdings: Howard ist nicht der Erzeuger des Mädchens.

"Alles OK": Der Titel seines Albums von 2001 scheint Programm. Der Prozess ist ausgestanden, private Differenzen wurden beigelegt. Es herrscht wieder Eintracht im Hause Carpendale. Howard spielt in der amerikanischen Serie "Realm" mit. Die ARD dreht eine Sondersendung unter dem Titel "Howard Carpendale: Mein Südafrika". Dass ihn dort allerdings kaum jemand kennt, tut dabei nichts zur Sache. 2002 zieht Carpendale erneut nach Florida um.

2003 dann der große Abschied: Howard Carpendale kündigt seinen Rückzug aus dem Musikgeschäft an. Er wolle sich fortan neuen Herausforderungen stellen und beispielsweise seine Schauspielkarriere weiter ausbauen. In der Kölnarena gibt er am 13. Dezember 2003 das angeblich letzte Konzert seiner Laufbahn. Sein Abschiedsalbum "Danke ... Ti Amo" schließt mit dem Titel "Ich Würd' Es Immer Wieder Tun".

Tatsache: Gerade einmal vier Jahre hält es den Bühnenveteran im selbst gewählten Ruhestand. Währenddessen werden seine LPs aus den Jahren zwischen 1969 und 1990 sämtlich neu herausgegeben. 2004 wird Howard Carpendale mit einem Echo für sein Lebenswerk geehrt. 2007 sickern allerdings für Fans hochgradig interessante Neuigkeiten durch: Angeblich schraube der Sänger bereits heimlich an einem Comeback. Im September 2007 kündigt er für Anfang des kommenden Jahres neue Konzerte an.

Sein Comeback-Album "20 Uhr 10" erscheint im November 2007 und erklimmt mühelos die Hitlisten. Carpendale ist wieder da, als sei er nie weg gewesen. Mit seiner Einschätzung "Ich weiß nicht, unersetzbar ist ein großes Wort, aber ich habe das Gefühl, da ist noch Platz für mich und meine Musik" liegt er goldrichtig. Musikalisch bewegt sich "20 Uhr 10" deutlich weg von früheren Schlagerzeiten hin zu glattem, eingängigen Pop. Die Texte wirken, obwohl sie nicht aus Carpendales eigener Feder stammen, stark autobiografisch gefärbt.

Mit "Durban, South Africa" nimmt Carpendale erstmals ein Lied in sein Repertoire, das teilweise in Zulu, der Sprache seines Herkunftslandes, gesungen wird. Abgesehen davon fühlt er sich nach wie vor zum Schnulzen-Interpreten berufen:

"Ich glaube nach wie vor, dass mein Platz in dieser Branche in erster Linie war und ist, schöne erwachsene Liebeslieder zu singen. Ich war noch nie einer, der politische Themen musikalisch umsetzt. Ich habe mich nie geschämt, dass ich ein Sänger von Liebesliedern bin."

Seinen vierjährigen Vorruhestand kommentiert Howard Carpendale im Interview: "Was es gebracht hat? Ich glaube, eine gute Portion Weisheit, sehr viele Gedanken, die ich mir gemacht habe. Ich habe meine ganze Karriere Revue passieren lassen, aber leider feststellen müssen, dass es nicht viel gibt, das das Showbusiness ersetzt."

Howard Carpendale macht also weiter, wo er schon mehrfach aufgehört hat - auch diesmal wieder, als sei er nie weg gewesen. Auf seinem Album "Das Ist Unsere Zeit" 2015 und in der 2016 erscheinenden Autobiografie "Das Ist Meine Zeit" blickt er auf eine lange und bewegte Karriere zurück, nur um festzustellen:

"Und heute, nach all den Jahren, fühlt es sich immer noch genauso an. Es ist alles noch da. In jedem Lied leben Geschichten aus Musik."

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Lanxess Arena, Köln 2018 Howard im Rheinland.

Howard im Rheinland., Lanxess Arena, Köln 2018 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Howard im Rheinland., Lanxess Arena, Köln 2018 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Howard im Rheinland., Lanxess Arena, Köln 2018 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Howard im Rheinland., Lanxess Arena, Köln 2018 | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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