5. April 2004

"Edmund Stoiber ist ein Penner"

Interview geführt von

Wir trafen die Heideroosjes, Hollands Punk-Export Nr.1, vor ihrem Auftritt im Kulturladen in Konstanz und sprachen mit Sänger Marco und Gitarrist Frans, der sich im Gegensatz zu seinem Kollegen mit Äußerungen jedoch sehr zurück hielt. Marco redete dann aber gleich für zwei, und wir dürfen uns auf kurzweiliges Interview freuen. Auf jeden Fall sind die Jungs gut drauf, und wir hatten eine Menge Spaß ...

Kanntet ihr euch bereits alle, als ihr angefangen habt, Musik zu machen, oder habt ihr euch so mit der Zeit kennen gelernt?

Marco: Vor zehn Jahren spielte Frans zuerst ganz alleine.

(Zu Frans) Wie hast du das gemacht?

Marco: (Prustend vor Lachen) Nein Mann! Das war doch nur ein Witz! Natürlich haben wir gemeinsam angefangen. Wir starteten 1989, also vor ungefähr 15 Jahren, und spielen nach wie vor in gleicher Besetzung. Wir gingen damals gemeinsam zur Schule, waren gerade 15 geworden, hassten die Lehrer und alles andere um uns herum. Wir gründeten eine Band aus dem selben Grund, aus dem wohl jeder eine Band gründet: Wir wollten unserer Aggression Luft machen, sie in positive Bahnen lenken. 2004 sind wir noch immer zusammen, haben mittlerweile acht Alben auf den Markt geschmissen und, so weit ich weiß, über 1000 Konzerte gespielt.

Frans: Weit über 1000 ...

Marco: Das ist viel. Aber auf jeden Fall hatten wir eine super Zeit.

Gibt es eine politische Punkszene in Holland, in der ihr vielleicht auch selbst aktiv seid?

Marco: Nein. Eigentlich ist die Punkszene in Holland sehr klein. Es ist nicht wie in Deutschland. Hier kannst du eine ganze Tour nur durch besetzte Häuser machen - Es gibt jede Menge davon in Deutschland. Die deutsche Punkszene ist in meinen Augen außerdem sehr gespalten. Es gibt die extrem linken, politischen Punks und auf der anderen Seite die modischen, Skate- bzw. mehr MTV-beeinflussten Fun-Punks. In Holland ist die Szene stärker verschmolzen.

Wie sieht denn die Hausbesetzerszene in Holland aus?

Marco: Es gibt keine. In Amsterdam gibt es ein paar besetzte Häuser, evtl. noch in Arnheim und Eindhoven. Vielleicht sind es zehn besetzte Häuser in ganz Holland.

Naja, in Berlin ist die Zahl der besetzten Häuser auch zurück gegangen. Überall wird renoviert und restauriert. Es ist sehr teuer geworden, dort zu wohnen.

Marco: In Holland kommt dazu noch ein sehr strenges Gesetz. Wenn du versuchst, ein Haus zu besetzen, setzen sie dich spätestens nach vier bis fünf Monaten vor die Tür. Es ist schwer eine Unterkunft zu finden, besonders für junge Leute, die nicht wirklich viel Geld haben. Wahrscheinlich ist das aber in Deutschland, Belgien und auch sonst überall das selbe.

Meint ihr, dass sich die politische Lage in Holland stark verändert hat seit der Öffnung der Grenzen und der europäischen Währungsunion?

Marco: Es gab ein paar Veränderungen in der jüngeren Zeit. Früher war Holland liberaler, z.B. in Bezug auf Drogen - alles war möglich in Holland. Auch was die Zuwanderung angeht, waren wir immer absolut offen.
So bald du fragtest, ob wir vielleicht nicht mehr "jeden" reinlassen sollten, bezeichnete man dich sofort als Rassisten. Aber so vor ca. vier Jahren begann sich das zu ändern. Die Leute dachten plötzlich "Moment mal, wir bekommen mehr und mehr Ghetto-ähnliche Zustände in unseren Städten". Und dann war da ein Kerl namens Pim Fortuyn, ein echter Rechtsextremist. Er versammelte mehr und mehr Menschen hinter sich - bis sie ihn erschossen. Dies war der erste politische Mord in Holland seit bestimmt über 100 Jahren. Danach änderte sich einiges. Politik ist wieder ein Thema. Vorher war es so, dass alle nur sagten, "Politik? Scheiß drauf ...". Jetzt auf einmal denken sie, "Hey, jemand musste wegen seiner politischen Überzeugung sterben, vielleicht sollten wir die Sache ernster nehmen". Es gibt einige Dinge in Holland, die so langsam zum Problem werden.

Ich glaube, das läuft gerade überall auf der Welt so.

Ja, mag sein. Aber wir waren so liberal. Und plötzlich rutscht selbst der extremste Linke auf die andere Seite, was schon etwas krass rüber kommt. Nicht jeder - aber es sind doch eine Menge Leute. Ich meine, einerseits ist es gut, dass man wieder über bestimmte Themen sprechen kann. Aber etwas befremdlich ist diese ganze Entwicklung doch ...

Holland ist aus meiner Sicht aber immer noch ein sehr liberales Land. Immerhin habt ihr Coffeeshops und pflegt nach wie vor einen lockeren Umgang mit Drogen. Damit bist du in Holland immer noch freier als hier. Hattet ihr schon einmal Probleme, weil ihr Gras mit auf Tour genommen habt?

Marco: Nein. Wir rauchen kein Gras. Es ist kein Akt des Protests bei uns in Holland. Wenn Du z.B. nach Frankreich kommst, wird dir an jeder Ecke ein Joint angeboten:

...führt einen Dialog mit sich selbst

"Hey, willst Du einen rauchen?"

"Äh, Nein..."

"Was Mann, ich bin gegen die Regierung - ich kiffe!"

Du fragst dich dann, was das Ganze soll. Es bedeutet bei uns einfach nichts. Ich denke mir nur: "Scheiße, warum sollte ich meine Stimme ruinieren ...".

Damit bringst du es auf den Punkt. Viele Leute kiffen nur, weil es verboten ist. Mit der Legalisierung könnte man den "Krieg gegen Drogen" beenden, und damit auch alle negativen Seiteneffekte.

Ich denke sie sollten nur die weichen Drogen legalisieren. Harte Drogen sollten nach wie vor illegal bleiben.

Zumindest für die Süchtigen sollten sie aber in Apotheken abgegeben werden, oder?

Marco: Naja, ich weiß es nicht. Ich glaube, ich bin da eher konservativ. Abhängigkeit ist eine üble Sache. Aber im Grunde sollte jeder frei Entscheiden können. Also, wenn du Drogen nehmen willst, schade - es ist deine Entscheidung.

Wie du aber selbst festgestellt hast, kiffen in Holland eher weniger Menschen, als in den Ländern, in denen es illegal ist ...

Marco: Ja, Ja. Absolut...

... also könnte man doch auch darauf schließen, dass eine Legalisierung, bzw. eine kontrollierte Abgabe harter Drogen ebenfalls zu einem Rückgang des Konsums führen müsse.

Ich weiß, was du meinst. du könntest Recht haben. In der holländischen Regierung gibt es die CDA, vergleichbar mit der deutschen CDU, und die sagen ok, Drogen sind Fakt - offiziell ist es ja auch bei uns illegal. Was sie nun aber tun, ist typisch holländisch: Sie sagen, es ist illegal, aber so lange sie es nicht sehen, ist es in Ordnung. Es gibt mittlerweile jedoch einige Leute, die der Meinung sind, wir sollten in dieser Sache härter durchgreifen. Es wird also irgendwann eher so sein wie hier in Deutschland.

Hier gehen die Behörden extrem restriktiv mit dem Drogenproblem um, gerade in Süddeutschland. Du rauchst einen auf einem Konzert, Festival, etc - und zack, wirst du von den Bullen gecasht ...

Marco: Wirklich? Das gibt es bei uns nicht. Aber jedes Mal, wenn wir mit holländischem Kennzeichen nach Deutschland fahren, werden wir angehalten und gefragt, wo wir denn unsere Drogen versteckt hätten - wir haben keine! Aber es ist immer das selbe, nur weil wir aus Holland kommen. Ich meine, wir sind doch nicht bescheuert. Selbst wenn wir rauchten, wären wir nicht so blöd, das Zeug mit in andere Länder zu nehmen. Das wäre einfach absolut krank - sieben Jungs mit abgefahrenen Frisuren und holländischem Kennzeichen - hey, das ist, was jeder Bulle will, oder?

Alle lachen

Aber wir haben keine Probleme damit ...

Stille

(energisch) Los, mehr Politik!

Auf eurem aktuellen Album "Sinema" habt ihr einen Song über ein kleines Dorf in Bayern namens Ebersberg. Bayern - ich meine, dass sind die absoluten Hardliner, politischer Konservatismus in Reinkultur ...

Marco: Ist dort nicht die CSU an der Macht?

Genau. Das ist Bayern. Stoiber ...

Marco: Er ist ein Penner.

Die Bayern scheinen ihn zu mögen. Es hat mich einfach etwas gewundert, dass ihr der Meinung seid, dass gerade dort die Leute noch am meisten rocken.

Marco: Das ist wahr. Auch hier in Konstanz gehen die Leute gut auf Punk ab. Und ich denke, es liegt gerade daran, dass die Kids in Bayern strenger erzogen werden.
Du siehst es an anderen Ländern, die ein strengeres Regime haben. Die Leute wollen aus ihrem Alltag ausbrechen und haben jede Menge Wut, die sie dann bei einer Punkshow rauslassen. Bist du in einem freien Land, wie Holland, interessiert sich keiner mehr für politischen Punk. Dort sagen die Leute "Fuck, es interessiert mich nicht, wenn du gegen die Regierung wetterst!", oder "Was? Es gibt eine Regierung?". Wir haben z.B. in Ex-Jugoslawien gespielt. Da ist Punk durchaus noch sehr politisch. Die Leute sehen die Musik als Waffe gegen die Regierung und flippen bei der Show dann auch total aus ...

Also ist Punk in Holland definitiv tot?

Marco: Nein. Das habe ich nicht gesagt.

Politisch!

Marco: Ja. Ich meine, es gibt zwar ein paar Bands, die politischen Punkrock machen. Aber wenn du in einem reichen Land wie Holland lebst, solltest du dich auch nicht wirklich beschweren. Es gibt Plätze auf dieser Welt, da ist jeder Tag ein Kampf ums nackte Überleben. Das Leben in Holland - das ist wie ein Leben im Himmel!
Also, scheiße Mann, beschwer dich nicht!

Es ist wirklich schön dort, sicher. Ich gehe jedes Jahr nach Holland um Urlaub zu machen. Kennst Du Zandvoort?

Sicher. Das ist dort, wo alle Deutschen hin gehen. Dann graben sie Löcher am Strand, um sich mit ihren Bierbäuchen rein zu legen und fahren nach Amsterdam, was zu kiffen holen - das ist das typische Bild, das wir von Deutschen haben.

Gibt es nicht dennoch genug Dinge, über die man sich beschweren kann? Kapitalismus, Ausbeutung der sog. dritten Welt ...

Sicher. Es gibt Dinge, die uns aufregen.

Hattet ihr denn schon mal selbst Probleme, weil ihr eure Meinung frei geäußert habt?

Wir spielten einmal in einem Dorf namens Ede, wo der Großteil der Einwohner sehr strenge Christen sind. Keine Katholiken, sondern orthodoxe Christen. Es war eine sehr große Veranstaltung auf dem dortigen Marktplatz mit ca. 10.000 Besuchern. Als ich die Bühne betrat, sagte ich "Hallelujah, my name is Jesus, ladies and gentleman". Die Verwaltung der Stadt war daraufhin extrem angepisst und wollte wegen Gotteslästerung gerichtlich gegen uns vorgehen. Es war damals ein echter Skandal bei uns, und überall in den Zeitungen wurde darüber berichtet. Wir hatten unseren Spaß und fanden es einfach nur albern, dass die Leute scheinbar nichts Besseres zu tun hatten, als eine Punk-Band wegen irgendwelcher Äußerungen auf der Bühne zu verfolgen.

Fred der Bassist kommt rein.

Fred: Ich hole nur etwas Bier ...

Wieso nennt ihr euch Heideroosjes? Bedeutet das so viel wie Mauerblümchen auf deutsch?

Eigentlich Heideröschen, aber Mauerblümchen ist, denke ich, eine passende Übersetzung. Als wir damals begonnen hatten, Musik zu machen, hatten alle Bands so hart klingende Namen wie Dead Kennedys, The Exploited usw. Wir überraschten die Leute dann mit einem niedlich-dümmlich klingenden Namen.

(zu Fred) Sind schon viele Leute da?

Fred: Was schätzt du?

Marco: Sechs bis Zehn?!

Fred: Du denkst zu positiv!

Marco: Verdammt. Es ist echt zum Kotzen, an einem Montag zu spielen. Keiner geht Montags zu einem Konzert. Das bringt's echt nur, wenn du wirklich populär bist. Es macht keinen wirklichen Spaß, vor 20 Leuten oder so zu spielen.

In Konstanz kannst du froh sein wenn mehr als drei Leute vor der Bühne stehen. Punkshows sind hier zwar noch recht gut besucht, aber bei manchen elektronischen Acts hier im Kulturladen, selbst bei wirklich guten, kommt einfach keine Sau. Das ist oft sehr enttäuschend für die Künstler, denke ich.

Marco: Montags erst recht. Keiner will Montags ein Konzert besuchen, ich meine, ich würde auch nie an einem Montag zu einem Konzert gehen.

Wenigstens ist der Preis ok.

Marco: Oh ja. Sechs Euro sind echt in Ordnung. Anderswo, z.B. in der Schweiz und Österreich ist es weit teurer. In Italien z.B. haben sie 15 € verlangt. Das ist auf jeden Fall zu viel für eine Band, die man nicht kennt. Da gehe ich lieber einen saufen von der Kohle.

Wie denkt ihr über kostenlose Musik aus dem Netz?

Grundsätzlich finde ich es gut, auf diesem Weg mehr über eine Band zu erfahren. Man muss sich ja nicht gleich das Album kaufen. Aber wenn man eine Band mag, sollte man sie unterstützen, damit ihre Plattenfirma sie nicht rausschmeißt. Man muss schließlich eine Menge Leute bezahlen, und dafür muss auch mal was reinkommen. Wenn du es genau nimmst, ist das Downloaden von Musik nichts anderes als Diebstahl. Ich meine, die Leute erwarten von der Musik, dass sie fett klingt und teuer produziert ist, aber zahlen wollen sie dafür nicht.

Ich sehe das anders. Ich mache auch Musik. Aber für mich ist jeder Musiker wie ein Straßenmusikant. Jeder läuft mal vorbei, schaut ihn sich an, hört die Musik, und wenn er Bock hat schmeißt er einen Cent in die Mütze. Musik ist omnipräsent - und dabei manchmal echt nervig

Marco: So wirst du jedenfalls nicht reich von deiner Musik ...

Seid ihr zufrieden mit eurem Label?

Wir sind auf Epitaph, wo wir eine Menge Freiheit haben. Sie lassen uns unsere Freiheit - das ist es, worauf es ankommt: (brüllt) FREIHEIT!

Ihr seid im Grunde die ganze Zeit auf Tour? Ist das nicht zu stressig auf Dauer?

Es ist einfach unser way of life. Du gewöhnst dich daran, auf dem Sofa zu schlafen und diese Dinge. Reich wirst du davon nicht. Aber es macht Spaß.

Solltet ihr nicht langsam auf die Bühne?

Wir sollten seit 15 Minuten dort stehen.

Ok, vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Show.

Das Interview führten Andreas Hierling und Daniel Krimmling

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